Künstlerischer Werdegang Heinz Brustkern
Schriftstellerische Aktivitäten
1948 Entsprechend dem Rat seines Arztes bei der Entlassung aus der
Rehabilitationsklinik - beginnt Heinz damit - wohl aus ureigenstem
persönlichen Bedürfnis heraus - seine Kriegserlebnisse schriftstelle-
risch aufzuarbeiten und - zunächst nur für sich - zu dokumentieren.
Hierüber ist wenig bekannt. Erste, durchgängig in Erzählform bear-
beitete Manuskripte entstehen, werden aber von Heinz gegenüber
der Familie, Freunden und Bekannten- zumindest in den Anfangs-
jahren - "strikt unter Verschluß gehalten".
Mit den Gesetzmäßigkeiten der Librettos in Oper und Schauspiel ver-
traut, ist Heinz Brustkern sich wohl der Unzulänglichkeit seiner ersten
eigenen - ausschließlich autodidaktisch angeeigneten - schriftstelle-
rischen Tätigkeiten durchaus bewußt. Konsequenterweise belegt er
in der Folgezeit (bis in die späten 90-er Jahre) Schriftstellerkurse, die
über die VHS und das Literaturhaus Bonn angeboten werden.
Heinz Brustkern hat eine Vielzahl von Manuskripten - sowohl Prosa
wie Lyrik - hinterlassen. Sie liegen aber aktuell noch nicht in einer
aufgearbeiteten Form vor. Nur seine Erzählung: "Der Mahlstrom"
wurde 2008 in einer limitierten Auflage von seinem Sohn Jan
Brustkern editiert.
Neben dem ganztägigen Besuch der höheren Handelsschule, den
abendliche Weiterbildungskursen und dem gelegentlichen Schwarz-
markt-Handel (mit dem er - zumindest bis zur Währungsreform -
seine wirtschaftliche Existenz absichern muss), bleibt Heinz relativ
wenig Zeit, seine musischen Ambitionen gezielt weiterzuentwickeln.
Zur Zersteuung besucht er - soweit er es sich
leisten kann - aktuelle Kinofilme in der Bonner
Südstadt. An der Kinokasse des Lichtspielhauses
"Scala" in der Maxstraße steht er hinter einer
ausnehmend hübschen jungen Frau.
Sie will sich - ebenso wie er - den Spielfilm:
"Die Sünderin" (mit Hildegard Kneef in der
Hauptrolle) ansehen. Im Kino kommen sie
ins Gespräch.
Sie sind sich auf Anhieb sympatisch, verab-
reden sich und gehen bald regelmäßig mit-
einander aus.
1951/52 Heinz Brustkern und Marlies (Maria Elisabeth)
Weingart heiraten.
Marlies stammt aus einer in Mayen (Eifel) an-
sässigen Steinmetzfamilie (Firma: Gebrüder
Weingart). Udo Weingart, ein Vetter von Marlies,
hatte sich bereits zu Lebzeiten einen Namen als
Bildhauer, Pionier und Erstbesiedler des "Lapidea-Geländes" in
Mayen gemacht. Auf seine Initiative hin fand dort regelmäßig das
auch im internationalen Rahmen bekannte Bildhauersymposium
"LAPIDEA" statt.
Nach dem Tod ihrer Mutter und der Wiederverheiratung ihres
Vaters lebte Marlies bis zu ihrer Heirat bei ihrer Ziehtante in
Mayen.
Das frisch verheiratete Paar hat Glück: Eine Witwe vermietet dem
jungen, berufstätigen Paar auf Vermittlung von Professor Riede
eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung im Dachgeschoss des Eckhau-
ses "Am botanischen Garten 26" zur Reuterstraße.
(Das Haus existiert heute nicht mehr, da es dem geplanten Ausbau
der Reuterstraße als verkehrstechnisch wichtige Hauptdurchfahrts-
straße durch Bonn im Wege stand und Anfang der 60-er Jahre ab-
gerissen wurde.)
Das Paar richtet sich in der Dachgeschosswohnung häuslich ein.
Sohn Jan Brustkern erblickt am 30.07.1952 das Licht der Welt.
Malerische Aktivitäten
1952 Heinz Brustkern beginnt zu malen. Eines seiner frühen Ölbilder zeigt
in thematischer Anlehnung an ein von August Macke häufig verwen-
detes Motiv den Blick aus dem Fenster der Dachgeschosswohung
quer über die rückwärtigen Gärten auf den Ortsteil Bonn-Poppelsdorf
mit dem markanten Kirchturm von Sankt Sebastian.
links: Heinz Brustkern o.T. (1952 rechts: Heinz Brustkern o.T; Öl auf Lw;
Ausblick aus dem Dachgeschoss- (Blick über die Felder auf die
fenster des Hauses: "Am bota- Kirche Sankt Sebastian in Bonn
nischen Garten 26") Poppelsdorf)
Ganz allmählich bessern sich die Zeiten. Das deutsche Wirtschafts-
wunder beginnt und nimmt zunehmend "Fahrt" auf. Bald schon zeigen
sich erste Auswirkungen im Alltagsleben der Menschen.
1959 Das Haus "Am Botanischen Garten 26" wird
abgerissen. Die dreiköpfige Familie zieht in
den ersten Stock einer Neubauwohnung in
die "Niehbuhrstraße 2" in Bonn um. Das
Stadtviertel gilt in den frühen Nachkriegs-
zeiten als Szenetreff der Bonner Künstler.
Nur ein wenig weiter die Straße herunter
liegt beispielsweise das ehemalige Atelier-
haus des Bonner Malers Carl Nonn, der
"um die Ecke herum" -in der Weberstraße -
eine Kneipe besaß und diese vor dem
Wiederaufbau vermietet hatte. Auch andere
Künstlerkneipen und Literatentreffs sind in dem Viertel rund um die
Niehbuhrstraße zu finden.
Man kann sich (im bescheidenen Umfang)
endlich wieder etwas leisten. Kunst und
Kultur blühen auf, was sich nicht zuletzt
in einem erheblich erweiterten kunstver-
mittelnden Kursangebot an allgemeinbil-
denden Schulen und in der Erwachsenen-
bildung (Volkshochschul-, Museums und
Atelierkurse) zeigt.
Heinz Brustkern nutzt als einer der ersten
dieses Angebot. Er belegt an der VHS Bonn
die Kurskombination "Malen und Zeichnen".
Sein Lehrer ist Hans Dotterweich. Hans
Dotterweich (1920 - 1988) - ein Schüler
von Herm Dienz - ist ein ausgebildeter
Kunstpädagoge und lehrt im Hauptberuf
das Fach: "Kunst und Gestaltung" an ei-
nem Gymnasium in Waldbröhl.
Dotterweich hatte ein Faible für besonders
große Bilder, für Szenarien und Theater-
kulissen und so signiert er spasseshalber
einige seiner Werke mit "Don Juan
Dotterweich", was zu seiner klammheimlichen Freude in der dama-
ligen Kunstszene zu "Johann Dotterweich" uminterpretiert wird. Um
das Verwirrspiel um seinen Namen noch weiter zu treiben, zeichnet
Hans Dotterweich fortan alle seine Werke nur noch mit dem Alias-
namen: "Juan." (Auf den Punkt hinter Juan legte er Wert!)
Dotterweich - alias Juan. - erkennt schon bald das malerische Talent
seines Schülers Heinz Brustkern. Er nimmt den jungen Mann unter
seine Fittiche, gibt ihm privat Unterricht und vermittelt ihn an seinen
Freund und Malerkollegen Willy Maria Stucke.
Stucke (1909 - 1987) ist eine sehr umtriebige
Persönlichkeit im Bonner Kunst- und Kultur-
leben. Als Vorsitzender des Bonner Künstler-
bunden (BKB) und der Künstlergruppe Bonn
verfügt Stucke über sehr gute Beziehungen
zu Politik und Wirtschaft. Er kennt nahezu alle
lokalen Politiker, Industrielle und Künstler im
Köln-Bonner Raum persönlich. Zusammen mit
Professor Lützeler initiiert er bereits unmittelbar
nach Kriegsende die Einführung eines freien,
fakultätsübergreifenden Kunst- und Kulturange-
bots an der Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn.
Willy Maria Stucke gibt Heinz Brustkern den Rat, sich als Gasthörer
in einen mehrsemestriegen Malkurs im Rahmen des "Studium Gene-
rale" am Institut für Kunsterziehung der Universität Bonn (ehemalige
Pädagogische Hochschule Bonn) einzuschreiben.
Hier lernt Heinz Brustkern die verschiedenen
künstlerischen Darstellungsweisen und Repro-
duktionstechniken im Detail kennen. Heinz ab-
solviert den Kurs mit Bravour und nimmt an-
schließend weitere Privatstunden bei Dotter-
weich und Stucke, die gemeinsam in der
Beethovenstraße in Bonn einen Atelierraum
für ihre private Zeichenschule angemietet
hatten.
Dotterweich und Stucke führen den zurückhal-
tenden, eher einzelgängerischen jungen Mann
in die Bonner Künstlerszene ein, die sich da-
mals im Künstlerkeller "Zur Kerze" in der
Bonner Königstraße (unweit der Niehbuhrstraße) trifft. Hier lernt
Heinz Brustkern am wöchentlichen Künstlerstammtisch unter an-
derem die Maler: Franz M. Jansen (1885-1958), Joseph
Fassbender (1903 - 1974) und Hann Trier (1915 - 1999)
näher kennen. Man besucht sich gegenseitig im Kreis der Familien.
Viele dieser Bonner Nachkriegskünstler sehen sich mit ihren
Werken in der direkten Nachfolge des "Rheinischen Expressio-
nismus".
Die Rheinischen Expressionisten (Hauptvertreter neben August
Macke u.a. Heinrich Campendonk, Max Ernst, Franz S. Henseler,
Franz M. Jansen, Carlo Mense. Heinrich Nauen und Hans Thuar)
machten 1913 durch die "Ausstellung Rheinischer Expressionisten"
im Obergeschoss der Bonner Buchhandlung Cohen (später
Bouvier, heute Thalia) erstmals auf sich aufmerksam.
August Macke organisierte diese inzwischen
legendäre Ausstellung in Bonn, womit er im
Titel wie auch in der künstlerischen Auffas-
sung einen unter Künstlern und Kunstkriti-
kern viel und heiß diskutierten Kontrapunkt
zur zeitgleichen "Dresdener Brücke" sowie
zum "Blauen Reiter" in München setzte.
(Macke war selbst auch Mitglied der Münch-
ner Künstlergruppe "Blauer Reiter").
Was Wunder, dass Heinz Brustkern (in dieser
Umgebung) seine eigenen künstlerischen An-
sätze ebenfalls zunächst in einer (Wieder-)Aufnahme der rheinisch-
expressionistischen Malweise und der diesbezüglichen Bildästhetik
sieht?
Unter Anleitung seiner Lehrer - Dotterweich und Stucke - setzt er sich
in der Folgezeit sehr intensiv mit dem Werk August Mackes auseinan-
der, studiert detailliert dessen Bild- und Motivgeometrien und ver-
sucht, die spezifische Farbigkeit, die auf eigentümlich einprägsame
Weise charakteristisch für August Mackes Gesamtwerk ist, zu analy-
sieren und für sich umzusetzen.
Insbesondere das "Farbuniversum", das August Macke im letzten Jahr
vor seinem frühen Tod (1914) in Form seiner "farbigen Formen I bis
III" sowie der "Farbkompositionen I und II" schuf, beeindruckt ihn
zutiefst.
August Macke 1913 August Macke 1913 August Macke 1913
"Farbige Formen I" "Farbige Formen II" "Farbige Formen III"
August Macke 1913 August Macke 1913
"Farbkomposition I" "Farbkomposition II"
Die analytische Beschäftigung mit dem Rheinischen Expressionismus
- insbesondere mit dem Werk August Mackes - beeinflusst Heinz
Brustkerns weiteres malerisches Werk in starkem Maße.
Dabei ist es weniger die Malweise der Expressionisten als vielmehr
die anmutungsgeladene Wirkung der "Macke-Farben" sowie die Wir-
kung der Farbkontraste, die ihn interessiert und der er in einer ihm
eigenen künstlerisch-analytischen Art nachspürt.
Um das Wesen des (Macke'schen) Expressionismus besser kennen-
zulernen, reduziert Heinz Brustkern die Bildmotive in Mackes Werken
auf die ihm wichtig erscheinenden Bild- und Motivgeometrien sowie
auf das gegeneinandergesetzte "Farbspiel" in den Werken.
Macke-Zyklus
Im Rahmen seines Macke-Zyklus entstehen eine Vielzahl farbana-
lytisch-abstrakter Werke, die in unterscheidlichen Malmittelarten
(Aquarell-, Tempera-, Kasein-, Acryl- und Ölfarben) auf diversen
Bildträgern (Tapetenrückseiten, Zeichen- und Malpapiere, Malpappen,
Hartfaserplatten und Leinwänden) gemalt, immer wieder neue
Aspekte des "Macke'schen Farbuniversums" aufgreifen.
linke und mittlere Reihe: rechte Reihe:
Bildvorlagen von August Macke Geometrie- und Farbanalyse
(zur Verdeutlichung sind hier alle Werke von Heinz Brustkern
fast größen- und formatgleich dargestellt) (abstrakt, ohne Motivbezug)
Insbesondere die Farbigkeit der Aqua-
rellserie aus Mackes "Tunisreise" ver-
innerlicht Heinz Brustkern so sehr, dass
er sich Mitte der 70-er Jahre veran-
lasst sieht, ähnliche Reisen nach Ma-
rokko und Tunesien zu unternehmen,
nur um das Erlebnis dieser "shpäri-
schen Farbigkeit in eigenen Aquarellen
und Bildern umzusetzen und damit in
gewisser Weise auch wieder "loszu-
werden". Seine frühen Arbeiten, die
als "Reiseaquarelle" noch ganz dem
Macke-Stil verbunden sind, wandeln
sich mit der Zeit.
Heinz Brustkern malte seine
"Reiseaquarelle" überwie-
gend nach Motivskizzen, die
er in den 60-er und 70-er
Jahren von seinen Urlaubs-
reisen mitbrachte. Neben
Marokko und Tunesien be-
reiste er - zusammen mit
seiner Frau - Ober-und Mittel-
italien, Südfrankreich, Jugos-
lawien und die deutsche
Nordseeküste.
Hier hatte es ihm vor allem
die nord- und westfriesischen Inseln mit ihren besonderen Licht-
verhältnissen, die "opulenten" Sonnenuntergänge und vor allem
die unvergleichlichen, meist von Wind und Wellengang geprägten
Wetterphänomene über dem Meer angetan.
In den späten 70-er Jahren verändern sich Heinz Brustkerns Aqua-
relle zunehmend. Die Farben werden kräftiger, die Konturen kontrast-
reicher. Die zuvor flächenorientierte Darstellung geht mehr und mehr
in eine linien- bzw. strichorientierte Darstellung über. Seine Reise-
aquarelle aus Dubrovnik und dem Montenegro markieren deutlich
einen Wendepunkt in seinem Schaffen. Heinz Brustkerns Arbeiten
lösen sich nun zusehend aus der Gegenständlichkeit, die Farbe
gewinnt als Anmutungsträger eine neue Qualität.
Heinz Brustkern: Stadtansichten von Dubrovnik
Heinz Brustkern findet seinen Weg zur Abstraktion über das Gestal-
tungsmittel Farbe. Was in seinen Geometrie- und Farbanalysen (des
Macke'schen Farbuniversums) bereits angelegt ist, verdichtet sich zu
einem persönlichen Credo:
Das Wesen eines Gegenstandes (oder einer Motivszene) lässt sich
nicht durch seine naturgetreue Abblildung, nicht durch die Doku-
mentation seiner äußerlichen Verfassung, sondern nur durch seine
Wirkung, seinen psychischen "Eindruck" (auf den Betrachter)
wiedergeben.
Farbe ist dabei der stärkste, weil emotionalste Wirkungsträger. Farbe
besitzt - stärker noch als Gestalt und Form - eine eigene Ausdrucks-
qualität, die direkter und unmittelbarer wirkt, als die physische
Form:
"Psyche geht vor Physe!"
Besonders deutlich wird Heinz Brustkerns Credo in seinen Aquarell-
studien zur wetterabhängigen Farbstimmung am Meer:
Wie gut Heinz Brustkern mit der Anmutungsqualität von Farben "zu
spielen" weiß, lässt sich auch anhand einiger Aquarellstudien bele-
gen, die er zunächst ohne jeglichen Motivvorsatz gemalt hat und die
dennoch - ganz ungegenständlich - das Wesen blühender Blumen
ganz elementar - nur durch das "Setzen von Farbe" charakterisieren.
Auf ausgedehnten Kunst- und Kulturreisen, die Heinz Brustkern mit
seiner Frau Marlies in den Folgejahren unternimmt, lernt er die Werke
bedeutender Nachkriegskünstler vor Ort in Museen und Ausstel-
lungen u.a. in New York, Paris, Venedig sowie zur Dokumenta in
Kassel kennen.
Die Werke inspirieren ihn. Er beschäftigt sich mit den Künstlern, ihren
Ideen und Kunstauffassungen. Häufig stellt er eigene Versuche an,
die den (Farb-)Stil seiner Vorbilder aufnehmen. Später übermalt er
diese Bilder (mit wenigen Ausnahmen) aber wieder.
Er begegnet dem "Pariser" Kubismus von Pablo Picasso, George
Braque, Juan Gris und Robert Delaunay, dem "russischen" Konstruk-
tivismus von Wassily Kandisky und Kasimir Malewitsch, dem
"amerikanischen" Neo-Expressionismus eines Jackson Pollock und
Marc Tobey, dem "europäischen" Dada in den Werken von Max Ernst
und Hans Arp sowie der Farbzonen- und Tachismus-Malerei von Marc
Rothko und Sam Francis.
ab 1975 Zeit der Suche und der malerischen Orientierung
Das alles prägt ihn und gibt ihm eine vage Vorstellung
davon, in welche Richtung sich seine eigene Malerei weiter-
entwickeln könnte.
Heinz Brustkerns malerische Prägungen:
Heinz Brustkern löst sich Mitte der 70-er Jahren aus der "engen
Umarmung Mackes" (wie er es selbst ausdrückte). Er beginnt unter
dem stilistischen Einfluß der "großen Nachkriegsmaler" (s.o.) mit dem
Ausdrucksmittel Farbe zu experimentieren. Aus dieser Zeit sind ver-
hältnismäßig wenige Bilder heute noch vorhanden. Die wenigen zei-
gen aber deutlich Heinz Brustkerns konsequentes Bemühen, die Geo-
metrieen und Farbstile der Nachkriegsmaler zu analysieren, zu ver-
arbeiten und für sich zu "subsummieren".
Werkreihe Farbstrichgrafiken
In der Folgezeit entsteht eine eigenständige Reihe von Farbstrich-
grafiken, die - ohne jeglichen Motivvorsatzes und bar jeder Gegen-
ständlichkeit - ausschließlich die Farbwirkung im Voreinander, Neben-
einander und Übereinander von Strichen thematisiert und somit letzt-
endlich die reine Ästhetik und Harmonie von "Farbe" erkundet:
Die Eindrücke und Erfahrungen, die Heinz Brustkern aus seinen Farb-
experimenten zieht, lässt er bewußt sehr langsam "sacken", um sie
auf diese Weise "bis auf ihre Essenz einzudampfen".
Tatsächlich ist kaum ein Werk von Heinz Brustkern "in situ", also un-
mittelbar vor Ort - quasi im physischen Anblick einer Farbharmonie
entstanden!
Er ist der festen Überzeugung, dass nur nachhaltig überdachte und
verarbeitete Eindrücke Eingang in ein künstlerisches Oevre finden
dürfen.
Anders als die von ihm geschätzten Expressionisten sollen seine
Werke "eben nicht aus dem Moment heraus" entstehen und somit
Gefahr laufen, flüchtig und oberflächlich zu sein. Insbesondere in
seinem bildnerischen Werk bemüht er sich, nur nachhaltig überdachte
oder zur ästhetischen Eigenerfahrung verdichtete künstlerische
Lösungen zu entwickeln.
Dieser Drang ist so groß, dass Heinz Brustkern mit allen seinen
Werken regelmäßig "in Revision geht" und diese - soweit sie ihm in
seinem ästhetischen Empfinden noch nicht "gefestigt" genug erschei-
nen - in seinem Atelier aussortiert und komplett übermalt!
Zwei Maler sind ihm besonders wesensnah. Sie sind ihm - Zeit seines
Lebens - Wegweiser und Inspiratoren in einem:
Ernst Wilhelm Nay geb. 11.06.1902 Berlin
gest. 08.04.1986 Köln
Deutscher Maler mit internationalem Rang
und weitgehend paralleler Werkentwicklung
zu Heinz Brustkern (vom gegenstandsbezo-
genen Expressionismus zur abstrakten Poly-
phonie von Form und Farbe). Nay wird we-
gen seiner starken Farbklänge und Farb-
kontraste dem "deutschen Informell" zuge-
rechnet. Nay lebte und arbeitete seit 1951
bis zu seinem Tod in Köln. Er ist auch als
Dozent und Farb-Theoretiker: "Vom Gestalt-
wert der Farbe" (1955) bedeutsam.
Serge Poliakoff geb. 08.01.1906 Moskau
gest. 13.10.1969 Paris
Serge Poliakoff zählt zu den bedeutensten
Vertretern der abstrakten Malerei und gleich-
zeitig zu den "großen Farbmystikern", die
sich in den späten 30-er Jahren in Paris zu-
sammengefunden haben. Spätestens seit
seiner Teilnahme an der Bienale in Vendig
und der Dokumenta II und III in Kassel
sind seine Werke zum kulturellen "Allge-
meingut" geworden.
Heinz Brustkern erahnt, dass eine Lösung, mit der er als Maler die
verschiedenen künstlerischen Ansätze zu einem neuen Ganzen ver-
binden kann, aus einer individuellen "Kombination" von klarer Farbe
(Faktor 1) und klarer abstrakter Fläche (Faktor 2) bestehen muss.
Der Besuch der Ausstellung
"Serge Poliakoff" vom 24.03
bis 10.04. 1964 in den
Städtischen Kunstsamm-
lungen Bonn leitet Heinz
Brustkerns Hinwendung zur
Abstraktion als eigenes sinn-
lich erlebbares Gestaltungs-
ziel ein. Poliakoffs Werke
sprechen Heinz Brustkern
ganz direkt und unmittelbar
an. Er spürt, dass diese
Werke "in sich völlig stimmig sind". Das künstlerische Credo Serge
Poliakoffs macht sich Heinz auch selbst zu eigen: "(Äußerliches)
Weglassen heißt (Innerliches) Zufügen! Was ich suche, ist die
Reinheit in der Farbe, denn Farbe ist ein ganz eigenes Universum
mit ganz eigenen Gesetzen".
1950 malt Ernst Wilhelm
Nay mit dem nebenstehen-
den Bild ein Schlüsselwerk
der "Modernen Malerei" und
beeinflusst damit eine gan-
ze Generation deutscher
Nachkriegskünstler, die
dem abstrakten Expres-
sionismus, auch als "Infor-
mell" bezeichnet, zuzu-
rechnen sind. Auch Heinz
Brustkern unterliegt der
Faszination dieses Werkes. Er spürt, dass jedes Detail in diesem
Bild einfach "stimmig" ist. Jede Linie, jede Farbe, Form und Fläche
kann und muss nach seinem Empfinden nur so und nicht anders
gestaltet sein.
Es reizt ihn ungemein, gleichartig stimmige Bilder zu schaffen.
Heinz Brustkerns Adaptionsprozess startet damit, dass er die Ge-
staltungsstile seiner Vorbilder nachempfindet, um sich dann in einer
zweiten Phase in einem Prozess von Übermalungen wieder soweit
von ihnen zu lösen, bis nur das "Verbindende und Essenzielle" übrig-
bleibt. Seine früheren Studien zur expressionistisch-sphärischen
Farbigkeit und zur Bild- und Motivgeometrie in August Mackes Werk
helfen ihm dabei, das "Verbindende und Essenzielle" zu erkennen und
dementsprechend herauszuabeiten.
Ende der 70-er Jahre fokussiert sich Heinz Brustkerns Bildwelt zu-
nehmend auf eine Art "individualisierter Farbflächenmalerei". Eine
Vielzahl von abstrakten Ölgemälden - mal im Stile Nays, mal im Stile
Polikoffs gemalt - entstehen als separate Werkreihen parallel
zueinander.
Und obwohl die beiden Werkreihen zunächst sehr unterschiedlich
erscheinen, gibt es doch eine starke Verbindung zwischen ihnen.
Alle gemalten Farbflächen sind in Form, Farbe und Verteilung klar und
einfach, vor allem aber "in sich stimmig".
Nay-Zyklus
Poliakoff-Zyklus
Heinz Brustkern hält Zeit seines Lebens alle seine Werke akribisch
zusammen. Obwohl mehrfach von seinen Lehrern (und Galeristen)
dazu gedrängt, verweigert er sich als "eingefleischter" künstlerischer
Einzelgänger komplett dem neu aufkeimenden Nachkriegs-"Kunst-
betrieb".
Er leht die ihm von Hans Dotterweich und Willy Maria Stucke angetra-
gene Mitgliedschaft - beide wollen für ihn bürgen - in der Künstler-
gruppe Bonn sowie jegliche Beteiligung an Ausstellungen und
Galerieveranstaltungen kategorisch ab.
Dem Druck des "Kunstproduzieren-Müssens", dem einige seiner Be-
kannten und Freunde aus der Künstlerkneipe "Die Kerze" aus nahe-
liegenden familiären und finanziellen Gründen ausgesetzt sind, will er
sich auf keinen Fall unterwerfen.
Nein, der "Kunstbetrieb" ist nicht seine Sache !
Dies mag einerseits daran gelegen haben, dass er als Betriebs-
kostenrechner kaum echte Chancen für sich und seine Familie sah,
mit dem Verkauf seiner Werke ein vergleichbar gesichertes Ein-
kommen wie in der Industrie zu erzielen. Zum anderen mag ihm als
abschreckendes Beispiel ein Künstlerkollege aus seinem näheren
Bekanntenkreis vor Augen gestanden haben, der "auf Teufel heraus
Kunst produzieren musste" und "alles, aber auch wirklich alles - egal
ob gut oder schlecht" - an seinen Galeristen vertragskonform abzu-
liefern hatte.
(Anmerkung des Autors: Wahrscheinlich ist damit Joseph Fassbender
gemeint, der damals von der Galerie: "Der Spiegel" in Köln vertreten
wurde. Siehe Künstlerprofil: Joseph Fassbender)
Stichwort: Künstlerische Freiheit
Heinz Brustkern wollte frei bleiben, frei - seine Bilder zu jeder Zeit
nach eigenem Gusto überarbeiten und ändern zu können.
Nur wenige seiner Kasein-, Öl- und Acrylbilder betrachtete Heinz als
wirklich vollendet und fertiggestellt.
Er nimmt sich die Freiheit, einen Großteil seiner Werke im Jahres-,
manchmal auch im Mehrjahresrhythmus - erneut herauszuholen, um
sie nach längerem - teilweise mehrwöchigem Betrachten vollständig
zu übermalen. Tatsächlich hat Heinz Brustkern den größten Teil
seiner frühen Werke nachweislich sechs- bis siebenmal komplett
übermalt, so dass aus der frühen Nachkriegszeit eigentlich nur
Aquarelle und einige grafische Übungsarbeiten in ursprünglicher
Fassung und somit unverändert überliefert sind.
Alle anderen Werke sind - bis auf wenige Ausnahmen - erst mit ihrer
endgültigen Fertigstellung - und somit erheblich später signiert und
datiert worden.
Bei den wenigen Ausnahmen sind frühere Signierungen erkennbar
"ummalt" worden, woraus zu entnehmen ist, dass Heinz diese
Arbeiten eigentlich schon zu einem früheren Zeitpunkt als vollendet
ansah, sich dann aber entschloss, die Arbeiten nach einer weiteren
Revision doch noch einmal final zu überarbeiten.
1996/97 In Heinz Brustkern festigt sich die Überzeugung, dass er nunmehr
künstlerisch "auf dem richtigen Weg zu einer eigenen Handschrift"
sei. Er hat sich über die Jahre hinweg einen gesicherten eigenen
Form- und Farbkanon für die Aneinanderreihung, Überlagerung und
Kontrastierung von Farbflächen erarbeitet und dabei seinen eigenen
Gestaltungsstil gefunden.
Zwei Gemälde, die er um das Mileniumjahr 2000 herum gemalt hat,
markieren einen gewissen Höhepunkt seiner künstlerischen Arbeit.
Fast programmatisch hängen sie an der Stirnseite seines Ateliers und
zeugen dort - inmitten seines umfangreichen bildnerischen Lebens-
werkes - von einer unverkennbar eigenen künstlerischen Hand-
schrift:
Eben der Handschrift von Heinz Brustkern!
Zu seinen ureigensten künstlerischen Überlegungen und Überzeu-
gungen hat sich Heinz Brustkern zu Lebzeiten nie in der Öffentlich-
keit und im privaten Kreis leider nur sehr selten geäußert.
Er war und blieb künstlerisch ein Einzelgänger.
Das macht es im Nachherein so außerordentlich schwierig, seinem
malerischen - wie sicher auch seinem literarischen - Werk in allen
Nuancen gerecht zu werden.
Am 8. November 2008 hat Heinz Brustkern friedlich und ohne zu leiden diese Welt verlassen. Er wurde auf dem Kottenforst-Friedhof in Bonn-Ückesdorf beigesetzt.
Dorffriedhof
Der Ahnen Gräber
bewegen mich kaum,
räumt die Grabsteine ab
und macht Platz für Andere.
Als ich das sagte,
wußte ich nicht,
was ich mir vorenthielt.
Ich hatte die Rechnung
ohne den Wirt gemacht.
Von einem Tag auf den anderen
fühlte ich mich plötzlich allein.
Die Bilder vergangener Tage
holten mich ein.
Dorfleben in mir erwachte,
entrücktes Gemeinschaftsgefühl.
Die da beieinanderlagen
hatte der Tod verschwistert.
Rings war das Hügelland
als Wellen des Lebens.
Im Zickzack der Fluren
übte ich mein eigenes
Requium ein.
Heinz Brustkern
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