Lebenslauf und künstlerische Entwicklung
Elternhaus/Schule
Adam Radermacher erblickt am 8.8. 1952 das Licht der
Welt. Er stammt aus einer ländlich-konservativen Fami-
lie, die im nordrhein-westfälischen Ameln (Landkreis Düren) zuhause war. Die Gegend ist durch landwirt-
schaftliche Gehöfte, durch Dörfer und Dorfgemein-
schaften, durch Vereine und die katholische Kirche ge-
prägt. Eine Zuckerfabrik (Pfeiffer & Langen) raffinierte bis zu ihrer geschäftliche Aufgabe in den späten 80er Jahren in Ameln Zucker. Die Rübenanlieferung wie auch der Abtransport des fertigen Zuckers über einen eige-
nen Verladebahnhof verlieh dem Ort Ameln eine gewis-
se überregionale Bedeutung. Über Adam Radermachers Familie und seine Jugendzeit in Ameln ist aktuell nur wenig bekannt.
Der kleine Adam war der einzige Sohn der Familie. Er hatte mehrere Schwestern. Das Verhältnis zu seinem Vater war- nach eigener Aussage - "nicht ungetrübt". Der Vater hielt seinen Sohn für einen Schwächling, der - nach väterlicher Meinung - ein "Drückeberger und völlig aus der Art geschlagen" sei. Adam war tatsächlich ein stilles, eher nachgiebiges Kind. Er ging in Ameln auf die katholische Volksschule und wechselte von dort auf's Gymnasium. Der damit verbundene Umzug brachte ihn "aus der Reichweite des Vaters".
Priesterseminar
Wohl durch die gymnasial-
humanistischen Ausbildung
geprägt, entschied sich Adam,
nachdem er 1973 sein Abitur
abgelegt hatte, zu einem
Studium der Philosophie und
Theologie in Bonn.
1975 tritt er dem Priester-
seminar des Bistums
Aachen bei, um - ergänzend
zum Studium der Theologie -
zum Priesterkandidaten aus-
gebildet zu werden.
In Vorbereitung auf seinen Beruf als katholischer Geistlicher nimmt Adam in der Folgezeit an teils mehrwöchigen Exerzitien und Pilgerfahrten teil. Unter anderem erwandert er alleine den spanischen Jakobsweg von Ronnevalles (Frankreich) bis nach Santiago de Compostella. Ihn plagen zunehmend tiefe Zweifel, ob er tatsächlich geeignet ist, Priester zu werden. Es geht ihm da nicht anders als anderen Priesterkandidaten seiner Jahrgangsstufe.
Im Priesterseminar freundet er sich mit anderen Seminaristen an und stellt bald fest, dass vier seiner engsten Freunde "schwul" sind. Sie kämpfen alle mit den gleichen Vorurteilen, versuchen, ihre homosexuelle Veranlagung zu unterdrücken, sie zu verstecken oder zumindest nicht öffentlich zu machen. Das schweißt zusammen. Die gleichgeschlechtliche Liebe unter Männern galt zum damaligen Zeitpunkt noch als schweres Sexualdelikt und stand nach § 175 unter strenger Strafe.
Auf Dauer kann Adam den äußerst bigott empfundenen Widerspruch zwischen den Lehren der katholischen Kirche - sie fordert von ihren Priestern Keuchheit und ein striktes Zölibat - und dem eigenen Sexus nicht lösen.
Er erkennt und steht zu seiner Homosexualität, outet sich und steigt - ebenso wie drei seiner Weggefährten - aus dem Aachener Priesterseminar aus.
Arbeit als Bühnenbildner
Adam orientiert sich neu, studiert zunächst weiter Philosophie und hört nebenbei Vorlesungen in Literatur- und Theaterwissenschaften. Sein gestalterisches Talent wird durch intensive Beschäftigung sowohl mit antiken wie mit zeitgenössisch-modernen Literaturvorlagen geweckt. Er stellt sich Szenen und Szenenabläufe bildlich vor und stellt fasziniert fest, welch immensen Einfluß das Bühnenbild und die Kostümgestaltung auf die inhaltliche Auslegung der Stoffe hat. Adam erlernt in der Folgezeit systematisch das Zeichnen. Weniger, um sich eigenkünstlerisch auszudrücken, als vielmehr, um Theaterszenen in ihrer unterschiedlichen emotionalen Aufladung gegenüber Dritten darstellen zu können.
Zeichnen ist für ihn in dieser Zeit in erster Linie ein Werkzeug, um Ideen und Vorstellungen zu literarischen Vorlagen erproben und umsetzen zu können. Er erkennt, dass die "visuelle" Dramaturgie (zumindest) gleichberechtigt neben der "literarischen" Dramaturgie steht und genau darin sieht er sein zukünftiges Betätigungsfeld.
1984 erhält er sein erstes bezahltes Engagement als Bühnenbildner in der Theater- und Schauspielwerkstatt Deutzer Freiheit in Köln.
Neben dem Bühnenbild ist Adam
Radermacher für die Kostümgestal-
tung und - ganz nebenbei-auch für
das Programmheft verantwortlich.
Für das Programmheft zur Vorstel-
lung zeichnet er den Szenenablauf
in Comic-Form, wobei er drama-
turgisch wichtige Elemente durch
Einzelzeichnungen plakativ hervor-
hebt. In dem überwiegend aus
"Schulgeld" der freien Schauspiel-
werkstatt finanzierten Theaterstück:
"women beware women" des eng-
lischen Dramatikers Thomas
Middleton geht es um "haarsträu-
bende" Liebe, Sex und Macht.
Im Kritikerkreis ("Theater heute")
findet die "grell travestierte Tra-
gödie aus der Shakespeare-Zeit"
zwar ihre Anerkennung, verfehlte
aber mangels Publikumsresonanz
das selbst gesteckte Ziel einer halb-
wegs kostenneutral subventionierten
Theaterproduktion. Immerhin erhält Adam Radermacher aufgrund seines Kölner Engagement weitere Aufträge als Bühnenbildner, mit denen er sich in der Folgezeit "über Wasser hält".
Zeichnerische und malerische Orientierung
Parallel zur Theaterarbeit baut er seine zeichnerische und malerische Befähigung weiter aus. Intensiv analysiert er die Bildkompositionen, Skizzen-, Zeichnungs- und Malweisen anerkannter bildender Künstler aus verschiedenen Jahrhunderten. Jacobo Tintoretto (1518-1594), Francisco Goya (1746-1828) und Francis Bacon (1909-1992) haben es ihm besonders angetan. Die Hintergründigkeit ihrer Werke fasziniert und fesselt ihn.
Er reist eigens zum Studium der Werke Tintorettos nach Venedig (Scuola di San Marco, Scuola di San Rocco).
Er besucht "seinen" Goya in Madrid (Prado, Museo Galdiano, Academia de San Fernando) und er verpasst keine Ausstellung des damals 76-jährigen Francis Bacon, von dessen revolutionär neuen Bildvisionen er geradezu überwältigt ist.
Auch Francis Bacon ist homosexuell veranlagt, auch er kämpft verbissen gegen bürgerliche Vorurteile, gegen scheinheilige "Schönrederei", gegen religiöse und staatliche Sitten- und Normenansprüche. Intuitiv fühlt Adam sich mit Bacon verbunden. Nach seiner Meinung hat dieser Maler aus seiner inneren Zerrissenheit heraus einen eventuell auch für ihn - Adam- gangbaren Weg gefunden, seinen Protest in geradezu obszön-destruktiven Bildern auszudrücken. Adam Radermacher kann die tiefe Einsamkeit und die verzweifelte Hoffnungslosigkeit, die aus vielen von Francis Bacons Werken sprechen, persönlich sehr gut nachempfinden.
Nach und nach reift in Adam Radermacher der Entschluss, sich verstärkt durch das Mittel der Malerei mit sich, seinen Gefühlen, seiner Sexualität und den Reaktionen seines Umfeldes auseinander zu setzen. Künstlerisch - so ahnt er - kann ihm die Malerei mehr bieten, als die Theaterarbeit.
Ein "Schlüsselwerk" - entstanden im Jahr 1983 - erhält von Adam Radermacher den Titel: "Ave (Maria) gratia plena" und nimmt damit explizit Bezug auf eines der Grundgebete der katholischen Kirche und die biblische Anrede Marias durch den Erzengel Gabriel bei der Verkündigung des Herren:
Gegrüßest seist du, Maria, voll der Gnade,
der Herr ist mit dir.
Du bist gebenedeit unter den Frauen
und gebenedeit die Frucht deines Leibes, Jesus
Das Motiv der "Verkündigung" findet sich - allerdings unter Aussparung beziehungs-
weise unter einer verklärenden Verschleierung und Umgehung jedes sexuellen Bezuges - in der gesamten christlichen Ikonografie wieder. Natürlich setzt sich der damals 30-jährige Philosophiestudent und Priesterkandidat Adam Radermacher mit der "unbefleckten" Empfängnis Mariens auseinander. Diverse literarische Werke, wie auch Bühnenwerke, thematisieren den offensichtlich "übernatürlichen" Zeugungs-vorgang recht drastig und entreißen ihm die Unschuld. Adam Radermacher, als
Bühnenbildner an der Schwelle zwischen Wort und Bild stehend - nimmt den Gedicht-zyklus: "Der Auftrag" von Toni Müller zur Vorlage, um die dortige "Verkündigung" auf seine Weise interpretatorisch zu illustrieren:
Die Verkündigung
Als der Engel zu ihr trat,
sah sie schon durch ihn hindurch
auf das Ende.
Doch sie erkannte es nicht.
Wie sehr sie auch starrte.
Schrecken zerbrach ihr den Raum,
als die Botschaft ins Fleisch drang
und sie bäumte sich auf unterm Wort,
wie ein Weib
im Augenblick der Empfängnis.
Dann gerann ihr das Blut.
Weiß hingestreckt lag sie
mit aufgerissenen Augen,
als die Mutter sie fand.
Es kommt zu einem Paradigmenwechsel in Adams Leben: Aus dem Bühnenbildner wird ein Maler.
Er wendet sich nicht schlagartig vom Theater ab, fühlt aber, dass auch das kreativste Bühnenbild immer an eine Vorlage, an ein Stück, an bestimmte Szenen und Auftritte gebunden ist. Als "freier Maler" hat er da andere Möglichkeiten. Er kann viel ungebundener, innovativer und selbstinitialisierend arbeiten, kann neue Wege gehen, gänzlich anderes ausprobieren und Türen in sich öffnen, die ihm in seinem bisherigen Leben verschlossen waren oder es zumindest doch schienen.
Es ist ein langsamer, über Jahre dauernder Reifeprozess, der sich in Adam vollzieht und der - konsequenterweise - nach einer anders gearteten Ausbildung verlangt.
Akademie der bildenden Künste München
Adam Radermacher
war sicherlich einer
der begabtesten Stu-
denten, die ihre ma-
lerische Ausbildung
zum Ende der 80-er
Jahre in der Akademie
der bildenden Künste in München absolvierten. Das mag zum einen daran gelegen haben, dass er sich - bedingt durch sein vorheriges Philosophie- und Theologiestudium sowie durch seine anschließende Arbeit als Kostüm- und Bühnenbildner - bereits in Theorie und Praxis mit den bildenden Künsten und ihren Einsatzmöglichkeiten im experimentellen Theaterumfeld auseinandergesetzt hatte.
Als er das Studium der freien Malerei in München aufnahm, verfügte er bereits über hervorragende zeichnerische Kenntnisse, um Ideen, Konzepte und Eigenerfahrungen bildnerisch umsetzen zu können.
Die nebenstehende Portraitskizze gibt ein beredetes Beispiel für Adam Radermachers Talent, Stimmungs- lagen zeichnerisch exakt "auf den Punkt" bringen zu können.
Sie zeigt den Schauspieler und Theaterregisseur Anton (Toni) Müller während einer Aufführung im Theater am Markt Rosenheim, wo Adam Radermacher seine zweite Hospitanz als Bühnenbildner absolvierte.
Malerische Prägung durch Helmut Sturm
Nur ein Jahr, nachdem Helmut Sturm (1932-2008) von Berlin nach München wechselte und im Jahre 1985 den Lehrstuhl für freie Malerei an der Akademie der bildenden Künste in München angenommen hatte, schrieb sich Adam Radermacher bei ihm ein.
Damit hatte er einen Lehrer für sich gewonnen, der ihm konsequent neue, gestalterische Wege eröffnete.
Helmut Sturms Maxime:
- Wer Kultur schaffen will, muss Kultur zerstören!
- Kunst hat nichts mit Wahrheit zu tun! Sie ist pure Illusion. Man muss sich von ihr trennen, muss inneren Abstand gewinnen, um Neues schaffen zu können!
- Suche stets das Elementare, den Dreck, den Urschlamm, die Wüste!
- Suche die Irrtümer, um einen "ehrlichen" Nihilismus zu finden!
- Kunst machen heißt, gesellschaftlich relevante Situationen zu schaffen!
- Deine Bilder müssen neue, provozierend kraftvolle Lebensentwürfe ohne die üblichen Hierarchieebenen aufzeigen!
- Male gestisch, male dynamisch, male polydimensional!
Helmut Sturm , Adams Lehrer in München, zählt heute zu den bedeutendsten Vertretern des abstrakten Expressionismus in Deutschland. Mit Gründung von SPUR, einer zunächst anarchisch-nihilistischen, gesellschaftskritischen und demonstrativ-provokanten Künstlergruppe gelang es ihm, München ab 1957 nach und nach zu einem Zentrum der deutschen Avangarde-Malerei zu machen.
Mit dem SPUR-Manifest (1958), Flugblättern und den SPUR-Zeitschriften (1962) setzte die Gruppe originäre künstlerische und kunsttheoretische Impulse zur Profilierung einer neuen, auf Tachismus, Dada, Futurismus und Surrealismus aufbauenden Formensprache.
Zwischen "Informell" und "Neuer Figuration" angesiedelt, entsteht so der nachkriegsdeutsche "abstrakte Expressionismus", der durch spontane Expressivität, Mehrschichtigkeit (Polydimensionalität) und einer enorme, energetischen Vitalität in der Ausprägung der Gestalt-, Form- und Farbelemente geprägt ist.
Als Meisterschüler von Helmut Sturm ist auch Adam Radermacher dem "abstrakten Expressionismus" zuzurechnen.
Künstlerische Entwicklung
Schon in seiner ersten Einzelaus-
stellung 1982 stellt Adam Rader-
macher Zeichnungen und Collagen
aus, die im Anklang an den Stil
von Francis Bacon, die physische
und psychische "Zerrissenheit"
des Menschen aufzeigen:
"certain energies come only
when you burn.
if you long for belief,
sit down in the fire!"
Adam Radermacher 6/81
Physisch ein ungeschützt-nacktes Einzelindividuum fühlt sich der Mensch psychisch von dominanten sozialen, religiösen, sexuellen und ästhetischen Normen bedroht. Er ist ihnen zwang-
haft ausgeliefert. Adam konstatiert diesen normativen Zwang nicht einfach nur als Faktum, sondern er pointiert und betont das zwanghafte "Ausgeliefertsein", in dem er die eigentlichen Träger von Macht und Einfluss in seinen Bildern verhüllt, verdeckt, manchmal auch gänzlich unkenntlich macht.
Betonen durch demonstratives Verdecken!
Normative Zwänge durch Sozialisation, Religion, Sexualität und Ästhetik sind (latent) immer und überall vorhanden, wenn auch nur selten direkt erkennbar.
Man muss sie im wahrsten Sinne des Wortes erst "entdecken" also aufdecken und bewußt machen.
Dies macht Adam Radermacher auf eine ganz eigene Weise, in dem er in seinen Bildern alles Gegenständliche, alles , was normative Bedeutung haben könnte, systematisch zerstört, übermalt und abdeckt. Und genau in diesem demonstrativen Verdecken hat Adam Radermacher sein Thema gefunden.
Ein Thema, mit dem er sich zu Lebzeiten im künstlerischen wie im profanen Leben (als homosexueller Mann) mit voller Intensität auseinandersetzen musste.
Fortsetzung des Künstlerprofils siehe Untermenue Ausstellungen
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