Künstlerprofil Wilhelm Roth (1870-1948)
1870 Wilhelm Roth erblickt am 9. Juni 1870 als 9. Kind
des Bergmanns und Tagelöhners Mauritius
(Moritz) Roth (1819-1875) und seiner Ehefrau
Adelheid Maria Roth, geborene Höffer (1835-
1894) in dem Weiler Honsbachermühle im un-
teren Aggertal das Licht der Welt. Der Vater
arbeitet in einer der vielen, damals noch voll
erschlossenen Erzbergwerke der Gegend
(möglicherweise in der "Grube Pilot" im Kirch-
bergsiefen, in der noch bis 1918 Blei, Zink
und Kupfererze abgebaut wurden). Der Weiler
Hohnsbachermühle ist "konfessionell" dem Ort
Neuhohnrath zugeordnet. Neuhohnrath mit
seiner katholischen Kirche Sankt Mariä Him-
melfeld) stellt historisch den katholischen
"Gegenpol" zum protestantischen Hohnrath mit seiner evangelischen Pfarr-
kirche auf der gegenüberliegenden Seite der Agger dar. Eine tiefe Gläubig-
keit kennzeichnet das Leben der Familie Roth.
Bis zur kommunalen Neugliederung 1969 gehörte Neuhohnrath zur Ge-
meinde Wahlscheid. Es ist heute ein Stadtteil von Lohmar.
1875 Nach dem frühen Tod des Vaters Mauritius Roth zieht der 5-jährige Wilhelm
Roth mit seiner Mutter nach Köln, wo bereits einige seiner Geschwister
wohnen. Hier wird er zu Ostern 1877 eingeschult. Nach seiner Schulzeit
- wohl gegen 1887 - geht er bei seinem ältesten Bruder Joseph Roth, einem
angesehenen Kölner Maler- und Anstreichermeister, in die Lehre. Die Arbeit
mit Pinsel und Farbe gefällt ihm. Er hat offensichtlich ein ausgesprochen
malerisch-künstlerisches Talent. Und so besucht er - wohl mit Unterstützung
seines Bruders Joseph - ab dem Herbst 1887 die nur wenige Jahre zuvor
(1879) eingerichtete "Abteilung für Kunstgewerbe" an der "Gewerblichen
Fachschule der Stadt Koln".
1887 Der Kölner Historienmaler Johannes Niessen (1821-1910) wird auf das
malerische Talent des jungen Wilhelm Roth aufmerksam (gemacht).
Johannes Niessen ist 1866 - nach seiner Düsseldorfer Akademiezeit - in
seine Heimatstadt nach Köln zurückgekehrt. Er wird in Köln Leiter des
angesehenen Wallraf-Richartz-Museums, das eine der weltweit be-
deutensten klassisschen Gemäldesammlungen beherbergt. Niessen fördert
junge Künstler und ist dafür bekannt, dass er begabten aber mittellosen
Schülern kostenlos Kunstunterricht erteilt. Wilhelm Roth ist einer seiner
Schüler. Ein anderer ist der fast gleichaltrige Wilhelm van der Kaaij.
Offensichtlich vermittelt Johannes Niessen seinen Schülern "zusätzliche
Ausbildungsimpulse", in dem er sie zeitlich befristet - während der
gewerbeschulfreien Zeiten - als Praktikanten und Gehilfen bei renommierten
kunsthandwerklichen Kölner Betrieben (u.a. Firma Ruhrig & Mausz) arbeiten
läßt. Wie auch immer: Johannes Niessen erreicht es, dass seine Schützlinge
auch ohne eine einschlägige akademische Ausbildung an einer Kunsthoch-
schule einen erstaunlichen malerischen Reifegrad in ihren künstlerischen
Arbeiten entwickeln.
Frühe Studienarbeiten
Abbildungsreihe oben:
links: "An der Agger" , Aquarell, datiert 1901
rechts: "Mülheim an der Ruhr", Aquarell, datiert 3.6. 1902
Abbildungsreihe unten:
links: "Honsbacher Mühle" (Wirtschaftsgebäude), Öl auf LW, datiert 1904
rechts: "Abendstimmung", Aquarell, undatiert
Zum damaligen Zeitpunkt profiliert sich die sogenannte "Dekorations-
malerei" zu einer eigenständigen kunstgewerblichen Disziplin. Neben der
klassischen Ausmalung von Kirchen und Kapellen findet die "neue Deko-
rationsmalerei" zunehmend auch bei Bühnenbildern, vor allem aber in
der (modernen) Ausgestaltung der Treppenhäuser und Salons von Patri-
zierhäusern als raffinierte Trompe-l'oeil-Malerei (architektonische Illusions-
malerei) Anwendung. Wilhelm Roth und sein Kollege Wilhelm van der Kaaij
verstehen offensichtlich ihr "dekoratives" Geschäft.
1894 Gemeinsam mit Wilhelm van der Kaaij gündet Wilhelm Roth das "Dekora-
tionsmalergeschäft "Roth & van der Kaaij" in der Händelstraße 12 in Köln.
Die Händelstraße liegt im Belgischen Viertel Kölns unweit des Brüsseler
Platzes. Als gläubiger Christ engagiert sich Wilhelm Roth in der Kirchenarbeit
der Kölner Pfarrgemeinde Sankt Michael am Brüsseler Platz. Sein Leben lang
zeigt er immer wieder grossen carikativen Einsatz für kranke und notleiden-
de Mitbürger. Später erhält er für seine Verdienste den päpstlichen Orden:
"Pro Ecclesia et Pontifice" sowie andere ehrenvolle Auszeichnungen wie das
"Caritaskreuz" für seine langjährige Arbeit im Kölner Vinzenzverein. Die
katholische Kirchenverwaltung des Bistums Köln - ebenso wie die Kölner
Stadtverwaltung wird mit der Zeit zum Hauptauftraggeber des Dekorations-
malergeschäftes "Roth & van der Kaaij".
1895 Wilhelm Roth heiratet Margarethe Kruth (1866-
1932) aus Köln. Der Ehe entstammen 7 Kinder,
die allesamt im katholischen Glauben erzogen
werden und es von Kindesbeinen an lernen,
sich aufrecht und unerschrocken für Schwache
und Unterdrückte einzusetzen. Bis auf die bei-
den ältesten Jungen, Albert Roth (1897-1914)
- im Foto unten am Tisch sitzend links - und
Joseph Roth (1896-1945) - mittig stehend -
wählen alle Knaben später einen geistlichen
Beruf: Thaddäus Maria Roth (1898-1952),
Ernst Moritz Roth (1902-1945) und Karl Gustav
Roth (1905-1987) werden Priester. Josef Roth
wird Volksschullehrer, Zentrumspolitiker und
Publizist in Bonn-Friesdorf. Er wird später von
den Nazis im KZ Buchenwald eingesperrt und verstirbt 1945 als Märtyrer an
einer ihm dort bei seiner Entlassung verabreichten "Benzinspritze". Albert
Roth verstirbt bereits mit 17 Jahren. In ihm lag die Hoffnung des Vaters. Er
sollte den Dekorationsmalerbetrieb in Köln übernehmen und den Familien-
unterhalt - natürlich vor allem die Altersversorgung seiner Eltern - Wilhelm
und Margarethe Roth - sicherstellen.
Allen Kindern der Familie Roth ist das künstlerische Talent ihres Vaters
mit in die Wiege gelegt worden. Sowohl der Dominikanerpater Thaddäus
Maria Roth als auch der in Schwarzrheindorf bei Bonn von 1940 bis 1945
als Kaplan eingesetzte Ernst Moritz Roth betätigen sich später ebenfalls
künstlerisch. Sie malen und zeichnen - neben ihrer Tätigkeit als Geistliche -
in einer ausstellungsreifen Qualität. Posthum wurden Ernst Moritz Werke -
sowohl seine Gemälde als auch seine Gedichte - in einer Gedächtnisaus-
stellung im Rathaus von Beuel gezeigt (1968).
Der Zeichner Wilhelm Roth
Abb. links: Portraitstudie von Sohn Joseph, der sich auf einen Hammer auf-
stützt; Auszug aus Skizzenbuch von Wilhelm Roth (um 1912)
Abb. rechts: Entwurfszeichnung; städtische Gasse mit Sicht auf die roma-
nische Kirche "Groß Sankt Martin" in Köln.
(möglicherweise Vorstudie zur Anlage eines Ölbildes 1911/12)
1895 Schon bald nach der Gründung floriert das "Dekorationsmalergeschäft Roth
& van der Kaaij". Man erhält zum Teil recht umfangreiche Aufträge zur
Ausmalung von katholischen Kirchen, so der katholischen Pfarrkirche Sankt
Servatius in Bonn-Friesdorf, der im romanischen Stil neuerrichteten Kirche
Sankt Willibrord in Nöthen in der Eifel, der Hospitalkirche (frühere Kapuziner-
kosterkirche) in Euskirchen und anderer Kapellen und Klosterstätten im
Köln-Bonner Umfeld. Neben der Freskomalerei bietet Wilhelm Roth den
Pfarreien und Kirchenträgern auf Wunsch auch eine neue Bilderausstattung
der Kirchen - Namenspatrone, Heiligenbilder und Kreuzgänge - in Öl auf
Leinwand an. Zudem wird "Roth & von der Kaaij" mit anstehenden Maler-
arbeiten im Zusammenhang mit der Renovierung des Brühler Schlosses
beauftragt. Die große malerisch-anwendungsorientierte Erfahrung wirkt sich
auch auf Privataufträge aus. Die Firma steht - dem Vernehmen nach -
bereits vor dem 1. Weltkrieg im Ruf, auch im Bereich der "Trompe 'l oeil-
Malerei" besondere Lösungen für Privathäuser anbieten zu können.
Beispiele für die illusionistische "Trompe l' oeil-Malerei", die zwischen 1900
und 1930 auch bei der Gestaltung Kölner Wohnhäuser in Mode kommt. Hier-
bei werden perspektivische Motive direkt auf flache Wände gemalt, die da-
durch eine besondere Tiefe und überraschende Ein- oder Ausblicke erhalten.
1906 Das Dekorationsmalergeschäft "Roth & van der Kaaij" expandiert. Man
gründet in Bonn eine Zweigniederlassung. Es ist vor allem Wilhelm Roths
aquisitorischer Verdienst, dass die Firma in dieser Zeit größere Aufträge
- vor allem von kirchlichen Auftraggebern - erhält. In der Regel sind es
weitergefaßte Entwürfe, die er akribisch ausarbeitet und vor der Ausfüh-
rung seinen Kunden zur Genehmigung vorlegt. Das Spektrum der angebo-
tenene Leistungen ist weitgespannt und umfaßt neben allgemeinen Maler-
arbeiten die Anfertigung künstlerischer Fresken und Ölbilder sowie der
Entwurf von Glasfenstern und anderen Wanddekorationen.
1914 Wilhelm Roths Sohn Albert stirbt bereits im frühen Alter von 17 Jahren. Er fällt
gleich zu Beginn des 1. Weltkrieges. Damit ist der Plan seines Vaters, Albert
zum seinem Nachfolger im Geschäft zu machen, hinfällig. Nun ist es an Sohn
Ernst Moritz, in dessen Fußstapfen zu treten. Er macht eine Malerlehre im el-
terlichen Betrieb und schließt diese (1921) mit Erfolg ab. Zwischenzeitlich be-
sucht er - wie Jahre zuvor sein Vater - die Kunstgewerbeschule Köln, wo er
u.a. von Prof. Robert Seuffert in Zeichentechnik und Malerei unterrichtet wird.
Seine nachfolgende Gesellenzeit verbringt Ernst Moritz in Nürnberg. Auch
dort besucht er - in Vorbereitung auf den Meistertitel als Dekorationsmaler -
die Kunstgewerbeschule. Welche Umstände ihn letzendlich zu einer beruf-
lichen Umorientierung veranlasst haben, ist nicht ganz klar.
Sicherlich ist es ein ganzes Bündel von Beeinflussungen gewesen, die ihn
bewogen haben, sich gegen den Willen des Vaters für eine seelsorgerische
Tätigkeit zu entscheiden. Ernst Moritz Roth nimmt ein Studium der Theologie
an der Rheinischen Friedrich Wilhelms-Universität in Bonn auf. Nach Absol-
vierung des katholischen Priesterseminars wird er 1929 im Kölner Dom zum
Priester geweiht.
1929 Wilhelm Roth ist 59 Jahre alt und plant, sich
nach und nach auf's Altenteil zurrückzuzie-
hen. Den Lebensunterhalt für sich und seine
Familie bestreitet er nun überwiegend durch
Atelierarbeiten. Er fertigt zum einen Ölbilder
mit religiös - christlichen Motiven und malt da-
neben auch "freie" Stillleben in einer wahr-
haft meisterlichen Qualität. Die kommen beim
kunstbeflissenen Kölner Bildungsbürgertum
gut an und lassen sich - unabhängig von den
zunehmend nationalsozialistisch-völkischen
Strömungen dieser Zeit - auch gut verkaufen.
1932 Wilhelms Ehefrau Margarethe stirbt im Alter von
66 Jahren. Da kein Nachfolger aus der Familie
für die beiden Dekorationsmalerbetriebe in Köln
und Bonn in Sicht ist, veräußert Wilhelm Roth
seine Firmenanteile an zwei ortsansässige Un-
ternehmer. Damit hört der Dekorationsmalerbe-
trieb "Roth & van der Kaaij" auf zu existieren.
Das Geschäft wird unter anderen Namen noch
einige Zeit weitergeführt. Wilhelm Roth selbst
bleibt in Bonn und unternimmt von dort aus
weite Exkursionen, die ihn in die Eifel, ins Sie-
bengebirge und in die Nähe seines Geburts-
ortes an der Agger führen. Er skizziert Land-
schaftsdetails, legt farbige Aquarelle an und
malt ausgewählte Motive in Ölfarben.
Abb. oben: Möglicherweise eines der letzten Werke des Malers Wilhelm Roth: "Kirchgarten in der Altstadt von Köln" (Wahrscheinlich ist hier der frühere, rück-
seitige Zugang zur Kirche St. Severin in der Kölner Südstadt dargestellt).
1948 Wilhelm Roth verstirbt am 8. Dezember 1948 im Alter von 78 Jahren. Er
wird neben seiner Frau Margarethe in Melaten begraben. Das Grab ist in-
zwischen aufgelöst. Wie viele Bonner und Kölner Künstler, die um die
Jahrhundertwende gelebt und den Kulminationspunkt ihres künstlerischen
Schaffens während und zwischen den beiden Weltkriegen hatten, gehört
auch Wilhelm Roth zu einer leider weitgehend "Vergessenen Künstler-
generation". Es wird Zeit, ihn und sein Werk wieder mehr in den Fokus der
Öffentlichkeit treten zu lassen.
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