Johannes Reinarz (1920 - 2004)

Portrait Johannes Reinarz

1920     Johannes Reinarz wird am 05.03 1920

             in Honnef geboren. Schule und Kindheit

             verbringt er in Bad Honnef. Johannes ist

             ein "aufgeweckter" Junge. 

1933     Schon früh - er ist gerade 13 Jahre alt -

             wendet er sich dem Malen und Zeichnen

             zu.

1934     Nach Absolvierung der Volksschule geht

             Johannes Reinarz bei einem ortsansäs-

             sigen Malermeister in die Lehre. Er

             schließt die Lehre als gelernter Maler

             und Anstreicher mit dem Gesellenbrief 

             ab.

1938     Johannes wird als 18-Jähriger zum Ar-

             beitsdienst eingezogen. Gleich anschlies-

             send wird er als Soldat rekrutiert. Unter

             anderem wird er an der Russland-Front

             eingesetzt.

1945      Johannes Reinarz kehrt aus dem Krieg in sein Elternhaus nach Bad Honnef

              zurück. Er sucht nach einer Anstellung und findet sie bei dem Steinmetz-

              meister Anton (Toni) Stockheim (1890-1969) in Köln. Toni Stockheim ist

              ein rheinischer Bildhauer, der an der Kölner Gewerbeschule bei Georg

              Grasegger und danach an der Kunstakademie in Düsseldorf (bei Karl

              Janssen) studierte. Seinen Abschluß machte er bei Louis Tuaillion an der

              Berliner Kunstakademie. Toni Stockheim nimmt Johannes Reinarz unter

              seine Fittiche. Der Wiederaufbau hat begonnen und so wird Johannes

              zum "Assistenten" des Steinmetzmeisters Toni Stockheim, als dieser

              einen Unterauftrag zur Neueinrichtung der Kölner Werkschulen am

              Ubierring annimmt. Johannes Reinarz lernt bei seiner Arbeit einige der

              Lehrkräfte an den Werkschulen kennen, die dort bis zur offiziellen

              Wiedereröffnung selbst Hand anlegen, um die Werkstätten nach der

              Ausbombung in einen einigermaßen vernünftigen Zustand zu bringen.

1947      Mit der Wiedereröffnung des Lehrbetriebes im Herbst 1947 ist Johannes

              Reinarz einer der ersten Studenten, die ein Studium der Bildhauerei bei

              Prof. Wolfgang Wallner an den Kölner Werkschulen aufnehmen. Wolfgang

              Wallner (1884 bis 1964) ist ein österreichischer Bildhauer, der - beeinflußt

              von den spätgotischen Bildwerken Michael Pachers - ab 1912 bis zu seiner

              Emeritierung 1950 als Professor für Bildhauerrei und Plastik in Köln tätig

              ist. (Von Wallner stammt u.a. auch die Figurengruppe auf der Attika über

              dem Hauptportal der Universität Bonn).

               Das notwendige Geld zum Studium der Bildhauerrei verdient sich Johannes

               Reinarz als Gelegenheits- und Aushilfsarbeiter u.a. bei der Köln-Bonner

               Eisenbahn, die damals die "Rheinuferbahn", wie auch die "Vorgebirgsbahn"

               betreibt. Johannes ist schon in jungen Jahren ein großer, starker Mann,

               der handfest zupacken kann und insofern gerne zum überaus anstrenden-

               den und schweißtreibenden Austausch maroder Bahnschwellen herange-

               zogen wird (Bahnschwellen werden später noch eine besondere Rolle in

               Reinarz künstlerischem Schaffen spielen).

1952        Johannes Reinarz verläßt als ausgebildeter Bildhauer die Kölner Werk-

                schulen. Ein Berufsstart als künstlerisch tätiger Bildhauer fällt in der

                Nachkriegszeit nicht eben leicht. Johannes hat - wie viele seiner Kol-

                legen - zunächst eine "Durststrecke" zu überwinden. Freie, künstle-

                rische Aufträge sind nur spärlich gesät: In der Folgezeit ist Johannes

                Reinarz überwiegend im Auftrag von Pfarreien und Klöstern (unter

                anderem in Rheinbreitbach) tätig. Neben Steinmetzarbeiten - meist

                im Zusammenhang mit der Ausbesserungen sakraler Bauwerke ver-

                geben - wird er gelegentlich auch mit eigenkünstlerischen Arbeiten,

                wie mit der Gestaltung von Taufbecken und individuelleren Grab-

                plastiken beauftragt.

                Es braucht seine Zeit, bis er sich als als Künstler halbwegs "freige-

                schwommen" hat.

Frühe Arbeiten: Sandstein und Muschelkalk

links + rechts oben:  Kapitäle in der Kirche von Rheinbreitbach  (1949)    

links unten:  Altarstein (1950)               rechts uinten: Tor-Schlußstein (1950)

 

Bronzeguss

links + rechts oben: Madonnen-Skupturen

links unten: Bronze: Das Abendmahl       rechts unten: großer Taufbeckendeckel

Holzschnitzerei

links: Die Brotvermehrung (Ausschnitt)   rechts: Christusfigur (Ausschnitt)

1960         Anfang der 60-er Jahre läßt sich Johannes Reinarz im Bonner Raum

                 nieder. Die Stadt Bonn verzeichnet als Folge der Wahl zur provisori-

                 schen Bundeshauptstadt eine rasante Aufwärtsentwicklung, an der

                 auch Johannes Reinarz teilhaben will. Er sondiert die Künstlerselbst-

                 organisationen in Bonn, vor allem die regional dominierende "Künstler-

                 gruppe Bonn" den "Bundesverband Bildender Künstler (BBK)", den

                 "Bonner Kunstverein" sowie die Aktivitäten der diversen diplomatischen

                 Clubs, Vertretungen und Botschaften (mit ihren Kulturattaches etc.).

                 So richtig "fündig" wird er nicht. Immerhin kommt er in Kontakt mit

                 dem Bonner Bildungswerk, zu dem neben der Volkshochschule Bonn

                 auch die Abendschule Bonn sowie die Angebote der außer- und neben-

                 beruflichen Bonner Weiterbildungsinstitutionen gehören.

                 Bis dahin hatten die städtischen Organisationen in Bonn auch die

                 Interessen des damaligen Landkreises Bonn zu vertreten, doch zeich-

                 net sich schon früh eine Kommunalreform in NRW ab, die Bonn ab

                 1966 zu einer kreisfreien Stadt werden läßt. Das hat zur Folge,

                 dass die nunmehr "befreiten" Kreiskommunen eigene Bildungswerke

                 aufbauen müssen und so bewirbt sich Johannes Reinarz um die Leitung

                 der Volkshochschule des neu gebildeten "Rhein-Sieg-Kreises". Er wird

                 mit der Leitung der VHS-Kreisdependancen in Alfter und in Meckenheim

                 betraut. Damit verfügt Reinarz über einen gesicherten Lebensunterhalt,

                 der es ihm erlaubt, ohne pekuniäre Einschränkungen seine künstle-

                 risch-kulturvermittelnden Ambitionen zu verfolgen.

Künstlergruppe SEMICOLON

1968          Johannes Reinarz initiiert und gründet die Künstlergruppe SEMICOLON,

                  die vom "Bonner Platzhirsch" -  der "Kunstergruppe Bonn" - zunächst

                  als konkurrierende Institution angesehen und daher in ihrem Wirken

                  durchaus kritisch beurteilt wird. Zu den SEMICOLON-Künstlern der

                 "ersten Stunde" gehören:  Alf Bayerle, Christoph Fischer, Alexander

                  Opaska, Franz Josef Osterloh, Johannes Reinarz und Peter Wartenberg. 

                  Man rauft sich zusammen. Die 68-er Revolte wirkt sich aus. Johannes

                  Reinarz wird zum Vorsitzenden der Künstlergruppe SEMICOLON gewählt.

                  Es bedarf schon eines ausgeprägten pädagogischen Talents, die diver-

                  sen Künstlerpersönlichkeiten in eine gemeinsame Arbeit einzubinden:

                  Johannes Reinaz schafft es, alle seine Künstlerkollegen "unter einen

                  Hut" zu bringen. Das SEMICOLON-Postulat klingt einfach. Es ist an die

                  Rheinisch-Kölnische Lebensweisheit: "Jeder Jeck es anders" angepasst

                  und lautet:

                  o  Keine interlektuelle "Bevormundung" der Künstler!

                  o  Kein "Einschwören" auf eine gemeinsame Stilrichtung!

                  o  Keine künstlerischen Postulate!

                  Statt dessen:

                  o  Betonung der "Außenwirkung" (Funktion) der Kunst als freie Hand-

                      lungsform für jeden Menschen.

                  o  Betonung der individuellen künstlerischen Kreativität jedes Menschen.

                  o  Betonung der selbstverantwortlichen, künstlerischen Eigeninitiative.

                  o  Betonung des gesellschaftlich-sozialen Miteinanders, zu dem insbe-

                      sondere auch der freie, ungehemmte Zugang aller Menschen zur

                      Kunst gehört. Frei nach Joseph Beuys ist "Jeder Mensch potenziell

                      ein Künstler, respektive eine Künstlerin".

Ateliergebäude in der Schöntalfabrik

1969          SEMICOLON mietet im Dezember

                  1969 eine Fabrikhalle im Schön-

                  tal (zwischen Oedekoven und

                  Witterschlick) als Gemeinschafts-

                  atelier für die Künstlergruppe an.

                  Johannes Reinarz bezieht dort

                  priat ein angebautes altes Fach-

                  werkhaus. Mit Hilfe angeworbe-

                  ner fördernder Mitglieder gelingt

                  es, die Maschinen, Geräte und

                  Utensilien zur Ausübung nahezu

                  aller wesentlichen künstlerischen

                  Techniken anzuschaffen und allen Künstlern im Gemeinschaftsatelier

                  zugänglich zu machen. Das ist vor allem für junge Künstler aus dem

                  Bonner Raum interessant, die sich (und ihren Arbeitsstil) erst noch

                  finden müssen. Die Künstlergruppe ist damit sowohl räumlich als auch

                  personell in der Lage, eine Wochenend-Akademie sowie Kunstkurse

                  im Rahmen des Duisdorfer VHS-Kultur und Bildungswerkes anbieten

                  zu können. Zudem werden auch Malkurse für Kindergarten- und Schul-

                  kinder eingerichtet. Die Räumlichkeiten der Schöntal-Fabrik bietet auch

                  genügend Platz für eine künstlereigene Produzentengalerie ("Mühlen-

                  galerie Oedekoven"), in der sowohl Einzel- als auch Gruppenausstel-

                  lungen stattfinden können.

SEMICOLON-Galerie, Bonn-Duisdorf Rochusstraße 85 (Aufnahme 1973)

                  Schon bald entwickelt sich dort

                  eine rege Ausstellungstätigkeit

                  der Künstlergruppe. Vom Erfolg

                  beflügelt, eröffnet man im Mai

                  1973 eine weitere Kunstgalerie

                  in der Rochusstraße 85 in Bonn-

                  Duisdorf, die auch für "Laufpub-

                  likum" günstiger erreichbar ist.

                  Und auch sonst macht die Künst-

                  lergruppe viel von sich reden:

                  Man läd interessante externe Gastkünstler zur Atelierarbeit zu sich ein.

                  Zu Karneval organisiert man rauschende Künstlerfeste. Auf einer

                  provisorischen Leinwand zeigt man experimentelle Künstlerfilme.

                  Man veranstaltet regelmäßig eine "Kunstrallye" für fördernde Mit-

                  glieder. Zudem werden Kunstvorträge, Lesungen, Liederabende und

                  Kammermusikveranstaltungen angeboten. Zum Jahresende gibt man

                  jeweils die Jahresgaben für fördernde Mitglieder und besondere Hono-

                  ratioren aus Ministerien, Botschaften, Banken und den regionalen

                  Gemeindeverwaltungen bekannt. (1975 organisiert man exklusiv eine 

                  Ausstellung von eigenen Arbeiten der fördernden SEMICOLON-Mit-

                  glieder im Kurfürstlichen Gärtnerhaus in Bonn). Das SEMICOLON

                  Gemeinschaftsatelier mausert sich unter Johannes Reinarz Leitung

                  nach und nach zu einem Kunst-Kommunikationszentrum. 1975 ver-

                  läßt man die Schöntal-Fabrik und zieht in die "Kulturbaracke" am

                  Burgweiher 71 in Bonn-Duisdorf um.

                  Johannes Reinarz hat als Vorsitzender, Mentor und unermüdlicher

                  Impulsgeber entscheidenden Anteil daran, dass die von "seinen"

                  SEMICOLON-Künstlern angestrebte "Außenwirkung der Kunst"

                  nicht nur Programm bleibt, sondern echte Realität wird. Dies umso

                  mehr, als auch die in der Justizvollzugsanstalt Rheinbach angebo-

                  tenen SEMICOLON Kunstkurse jeweils von weit mehr als 150 In-

                  teressenten belegt werden und selbst lebenslänglich Einsitzende

                  in der Zusammenarbeit mit Johannes Reinarz und den SEMICOLON

                  Künstlern auf einmal eine persönlich erfüllende Aufgabe darin sehen,

                  gestalterisch aufbauend tätig zu sein. Der von Joseph Beuys geprägte

                  Begriff der "Sozialen Plastik" (als ein von Kunst beeinflusstes gesell-

                  schaftliches Konstrukt) wird von Johannes Reinarz geradezu muster-

                  gültig mit Inhalt erfüllt. Er arbeitet an seiner "sozialen Plastik" und hat

                  offensichtlich Erfolg damit. 1973 wird der "gelernte" Maler, Steinmetz

                  und Bildhauer Johannes Reinarz offiziell zum Kunsterzieher an der

                  Fachschule für Sozialpädagogik in Rheinbach bestellt.

Kulturzentrum Hardtberg in der Rochusstr. 276 in Bonn-Duisdorf

1982         Johannes Reinarz gelingt es, die

                 Lokalpolitiker von seinem Kon-

                 zept zur Einrichtung eines "Kul-

                 turzentrums Hardtberg" zu über-

                 zeugen. Man überläßt daraufhin

                 der Künstlergruppe SEMICOLON

                 den ehemaligen Tanz- und Kon-

                 zertsaal des Gasthofs "Zum gol-

                 denen Stern" in der Rochusstr.

                 276 in Bonn-Duisdorf zur Reno-

                 vierung. In tätiger Mitarbeit aller

                 Künstler baut man die Lokalität

                 zum neuen Sitz der Künstler-

                 gruppe aus, die im Folgejahr (1983) aus der abrisswürdigen Duisdorfer

                 Kulturbaracke in das Kulturzentrum Hardtberg umzieht und unter der

                 Leitung von Johannes Reinarz ein dichtes Kulturprogramm mit Ausstel-

                 lungen, Kunstseminaren, Vorträgen, Lesungen und Musikveranstal-

                 tungen - nicht unähnlich den früheren Veranstaltungen in der Schöntal-

                 Fabrik anbietet. Neu hinzu kommen Aktionen wie der SEMICOLON-

                 Kunstmarkt, die Bildhauerwerkstätte und die regelmäßigen Freund-

                 schaftstreffen mit Künstlergruppen aus Partnerstädten. Das Konzept

                 des Kulturzentrums Hardtberg bewährt sich. Man arbeitet gemeinsam,

                 stellt gemeinsam aus und feiert gemeinsam.

1985         Johannes Reinarz feiert im Kulturzentrum Hardtberg seinen 65. Geburts-

                 tag. Er geht in den "Unruhestand" und widmet sich - befreit von seinen

                 beruflichen Verpflichtungen im sozialpädagogischen Dienst - verstärkt

                 der eigenen Kunst. Es ist wahrlich nicht einfach, Johannes Reinarz künst-

                 lerisches Lebenswerk richtig einzuordnen, zumal seine Kunst nicht an

                 eine bestimmte Ausdrucksform, an Zeichnung, Grafik, Malerei, Bild-

                 hauerrei, Skulptur, Plastik o.ä. gebunden ist. Er probiert alles aus, stellt

                 Stile und Stilkomponenten, Collagen und Mixed Medias, Altes und Neues,

                 eben alles, was in seinem Sinne geeignet ist, Kunst, Kunstobjekt oder

                 Kunstträger zu sein, gleichrangig nebeneinander. Schon zu Lebzeiten

                 bekennt er offen, dass es ihm persönlich nur selten gelingt, sich der

                 Hintergründe seines Schaffens wirklich klar zu werden. "Die meisten

                 meiner Werke entstehen spontan, aus reiner Emotion ohne Ratio und

                 kausalen Zusammenhang. Zitat: "Es bleibt anderen überlassen, mich

                 und meine Arbeit zu interpretieren".

Werke der mittleren Schaffensperiode (1968 - 1988)

Beispiele für "typische" Johannes Reinarz-Bronzen

Beispiele für Plastiken im öffentlichen Raum

Freilicht-Ausstellung im Rahmen des "1. Bonner Sommers" auf der Poppeldorfer Allee

Abb. links: "Konformität" (Basalt)             Abb. rechts: "Ramses" (Beton)

Holz-Stelen (Bahnschwellen)

Ausstellung im Kurfürstlichen Gärtnerhaus, Bonn: Eichenholz-Stelen aus Bahnschwellen

Abb. links oben: "Busensäule"               Abb rechts oben: "Doppelsymbiose"

               unten: "Erotikon II"                               unten: "Sybiose No 4

Materialexperimente

Johannes Reinarz: "Sonnenflecken" (polierte Bronze)

            Obere Reihe:    Verformte und "behaarte" Kunststoffrohre

            Untere Reihe:   Mechanisch "geknitterte" Metallbleche

                Zwischen 1968 und 1988 beginnt Johannes Reinarz, mit neuen Materi-

                alien und neuen Be- und Verarbeitungsweisen zu experimentieren. Ver-

                einzelt stellt Reinarz alte, teerig imprägnierte Bahnschwellen, die noch die

                eingeprägten Spuren und Schraublöcher der Gleise tragen, in seinen Aus-

                stellungen aus. Daneben "profilieren" sich seine figurativ-plastischen Wer-

                ke. Seine Holzskulpturen ähneln Obelisken und Totempfählen. In seinen 

                plastischen Werken setzt Reinarz neben massivem Bronzeguß, Alumi-

                nium, Eisen, Stahl, Silber , Beton, Ton und Keramikmaterialien bis hin zu

                Kunststoff- und Plastikröhren ein. Er erprobt neue Oberflächenstrukturen,

                deformiert, beflockt und "behaart" seine Skulpturen und löst sich zuneh-

                mend auch von den "inneren" Strukturen seiner Körper (Gebilde), indem

                er z.B. den Kopf vom Torso trennt und diesen anstelle der Hände an einen

                Arm oder an ein Bein "anhängt". Ähnliches passiert auch in Reinarz gra-

                fischem Werk. Seine Zeichnungen, Siebdrucke, Radierungen, Lithos und

                Collagen sprengen einfach den gewohnten Gestaltungsrahmen, fordern

                den Betrachter heraus, das Neue und Ungewöhnliche als Teil einer an-

                dersartigen Ästhetik zu betrachten. Wer sich dann Zeit nimmt und län-

                gere Zeit hinschaut, erkennt unterschwellig eine (fast) archaisch anmu-

                tende erotische Formensprache in seinen Bildern. Auf seinen Reisen nach

                Südfrankreich und Spanien begegnet Johannes Reinarz Werken von Pablo

                Picasso. Intuitiv sieht er sich durch Picassos Auffassung in seinem eigenen

                künstlerischen Wirken bestätigt.

Johannes Reinarz in seinem Atelier in Rubion/Provence

1986         Johannes Reinarz erwirbt ein An-

                 wesen in Robion in der Provence,

                 richtet dort ein Künstleratelier ein

                 und pendelt nun häufiger zwischen

                 seinem Haus im Kirchweg in Alfter-

                 Witterschlick und seinem Zweit-

                 wohnsitz in Robion hin- und her.

                 Er führt ein offenes Haus. Gäste

                 sind ihm jederzeit willkommen.

 

1988         Johannes Reinarz zieht sich aus der

                 Vorstandsarbeit zurück. 20 Jahre

                 lang hat er unermüdlich die Ge-

                 schicke der Künstlergruppe SEMI-

                 COLON bestimmt, war Initiator,

                 Impulsgeber und Mentor der Gruppe.

                 In seiner Aegide sind viele Kreative

                 zu professionellen Künstler und Künstlerinnen herangereift. Mit der

                 Feier "20 Jahre SEMICOLON" verabschiedet sich Johannes Reinarz.

                 Ihm zu Ehren wird von allen seinen Künstlerkollegen - nicht nur von

                 denen der SEMICOLON-Gruppe - ein großes Abschiedsfest im Kultur-

                 zentrum Hardtberg ausgerichtet.

Das Motiv der Ballustrade

                  Wer glaubt, Johannes Reinarz werde sich nach seinem Rückzug aus der

                  Leitung der Künstlergruppe SEMICOLON aus dem künstlerischen Leben

                  zurückziehen, irrt. Denn in der Folgezeit ab 1988 beginnt für ihn eine

                  neue künstlerische Entdeckerzeit. Er entdeckt ein neues Moitiv - die

                  Balustrade - für sich und setzt sich mit dem Begriff, mit der Darstellung

                  und dem Wesen einer Balustrade - wahrscheinlich wie kein anderer

                  Künstler - auseinander.              

                  Zitat aus seinem 1992 erschienenen

                  Kunstband: "Au commencement etait

                  la balustrade - Im Anfang war die Ba-

                  lustrade"

                 "Seit 1920 bin ich sichtbar, bis heute regis-

                  triert und verwaltet, bis jetzt von der Ge-

                  sellschaft akzeptiert. Fürs Vaterland 6

                  Jahre lang mein Leben investiert, stra-

                  paziert und nicht krepiert. Dann ausge-

                  setzt und allein gelassen, mein Ich ver-

                  schlissen, aber nicht vergriffen und von

                  Gott verlassen. Viel gesehen und ge-

                  lernt und immer schon Kreativität ver-

                  spürt. Ich habe sie im Niemandsland dann

                  ausprobiert, ob sie mich auch ernährt. Die

                  Frage hat sich nun bewährt, bis heute ist es die Kunst, die mich am

                  Leben hält."             

                   REFLEXIONEN des Künstlers:

                  "Die Balustrade ist heute zweifellos ein wenig beachtetes, der Ver-

                   gangenheit angehöriges plastisches Element, das einst aus Stein,

                   Eisenguss, Holz oder gebrannter Erde hergestellt wurde. ...Dieses

                   (heute) scheinbar nutzloses Gebilde, meist in großer Anzahl und

                   sich in prallen Foremen gebährend, präsentiert sich als schwer

                   tragendes, muskuläres Element und ist, seine Aufgabe elegant und

                   bewußt demonstrierend , in mein Blickfeld geraten. Es schien mir

                   erst zweifelhaft, sich mit dem simplen Erscheinungsbild der Balus-

                   trade so auseinanderzusetzen, dass sie zum festen Bestandteil

                   meiner Phantasie werden würde. Ein faszinierender Versuch, das

                   vertraute Gebilde fremd erscheinen zu lassen und in dem, was so

                   selbstverständlich erscheint, etwas Neues zu entdecken. Es wurde

                   Bestandteil und Inhalt meiner Arbeit."

Plastische Arbeiten

Blick in Johannes Reinarz Atelier in der Provence
Johannes Reinarz: Terrakotta auf Eisenstangen

Malerische Arbeiten

Johannes Reinarz: Großformatige Arbeiten, Öl auf Leinwand, ca. 300 x 200 cm
Johannes Reinarz: "Balustrade" (Geburtstagsgeschenk für den Semicolon-Kollegen Erich Beck)

                  Johannes Reinarz war stets ein bodenständiger Mensch und dem Ort

                  Witterschlick, den er als seine Heimat empfand, eng verbunden. Mochte

                  er Frühjahr und Sommer in seinem Atelier in der Provence verbringen,

                  so zog es ihn doch im Herbst und Winter nach Witterschlick zurück.

                  Es gibt eine Vielzahl von "Verzällchen", die sich um seine Person

                  und seine - für viele Dorfbewohner wenig verständliche - Kunst ranken.

                  Legendär sein "Einstieg" in den örtlichen Männergesangsverein: Nach

                  nur dreimaligem Erscheinen und kräftigem Mitsingen äußerte Johannes

                  Reinarz vor versammelter Mannschaft die despektierliche Frage:

                 "Können wir nicht mal was anderes machen als singen?"  Man konnte.

                  Und so entstand - angeleitet von Johannes Reinarz - ein Grillplatz in

                  Witterschlick.

                   Im Rahmen eines Filmkurses, den Johannes Reinarz für seine Studen-

                   ten an der Volkshochschule abhielt - den Kreativjob an der VHS behielt

                   er sein Leben lang bei - ließ er zu Übungszwecken das Umfeld der

                   Gemeinde Witterschlick, das Dorfleben, die Menschen bei der Arbeit,

                   bei Kirch- und andern Dorffesten sowie die politischen Diskussionen

                   anlässlich der Gemeindeneuordnung in den Jahren 1966,1967 und 1968

                   auf 16mm-Film dokumentieren und zusammenschneiden. Heute ist

                   dieser Film ein historisches Zeugnis der Entwicklung des Ortes und der

                   Witterschlicker Heimatkultur.

2004            Johannes Reinarz verstirbt im Alter

                    von 84 Jahren am 4. 11. 2004 in

                    Robion in der Provence. Nach seiner

                    Überführung wird er unter großer

                    Anteilnahme der Bevölkerung am

                    12.11.2004 auf dem Friedhof von

                    Alfter-Witterschlick beigesetzt.

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