Hans Thuar (1887 - 1945)

Portrtait Hans Thuar

Hans Thuar wurde am 29.11.1887 in Treppendorf (heute Lübben in der Niederlausitz) geboren. Sein Vater war im landwirtschaftlichen Versicherungsgewerbe tätig. Im Zuge seines Berufsaufstieges zum Spartenleiter einer Versiche- rungsgesellschaft wechselte der Vater mit seiner Familie nach Köln, das schon damals Sitz vieler bedeutender Versiche-rungskonzerne war. 1893 wurde der kleine Hans als 6-jähriger in Köln eingeschult und wechselte 1897 auf das städtische Gymnasium in Köln. Hier begegnete er August Macke, der - im gleiche Alter wie Hans Thuar - mit seiner Familie aus dem sauerländischen Meschede nach Köln zugezogen war. Die beiden wurden Banknachbarn in der gleichen Klasse und schon bald verband die beiden Kinder eine sehr enge Freundschaft. Sie waren täglich zusammen, spielten miteinander, bis der 12-jährige Hans Thuar am 12.05.1899 - vermutlich beim unachtsamen Abspringen von einer Pferdebahn - von einer entgegenkommenden Pferdebahn erfasst und von dieser überrollt wurde. Die Verletzungen waren lebensgefährlich. Hans Thuar verlor beide Beine und konnte sich nach seiner Genesung fortan nur noch in einem Rollstuhl weiterbewegen. Natürlich führte die massive Behinderung zu einer tiefen Depression und es war sein Schulfreund August Macke, der sich aufopfernd um ihn bemühte und ihm half,

neuen Lebensmut zu fassen. August besuchte Hans fast täglich im Kranken-

haus. Macke war schon damals  ein begeisteter Zeichner und Maler - sicher nicht ausgereift, aber doch von einer "inneren Flamme" zur Kunst beseelt und so ver- mochte es der 13-Jährige, auch in seinem Freund die Lust auf's Malen zu wecken. Noch im Krankenhaus unternahmen beide gemeinsam die ersten ernsthaften Mal-

versuche und dies setzten sie fort, auch als Macke 1900 nach Bonn umzog und in Bonn das städtische Realgymnasium besuchte.  

Portrait Hans Thuar von Freund August Macke

1903 entstand Hans Thuars erstes Ölgemälde. Zur selben

Zeit portraitierte August Macke seinen Freund. Das Bild

(siehe rechts) zeigt einen 16-jährigen, in sich gekehrten,

vielleicht auch etwas abschätzig blickenden Jugendlichen.

Wohl um gegenüber seinem Freund August Macke male-

risch nicht allzu sehr in Rückstand zu geraten, nahm Hans

Thuar neben der Schule Unterricht bei Professor Hermann

Wegelin in Köln, einem Sohn des Architekturmalers Adolph

Wegelin (1810-1881).

1907 schließt Hans Thuar das Gymnasium mit dem Zeug-

nis der Hochschulreife ab. Er bewirbt sich an der Kunst-

akademie in Düsseldorf und wird angenommen. Vor ihm

hatte August Macke (nach vorzeitigem Schulabbruch) be-

reits die Düsseldorfer Kunstakademie besucht, den Lehrplan allerdings als zu starr und zu einseitig befunden und genau zu der Zeit, als Hans Thuar dort begann, hatte Macke das Studium "hingeschmissen". Auch Hans Thuar empfand die Enge im Düsseldorfer Akademiebetrieb und verließ 1908 die Akademie, um sich- wie August Macke auch - "frei" weiterzubilden.

Es ist nicht gesichert, wo und wie Hans Thuar die "freie" Weiterbildung in Düsseldorf und Köln realisierte. Sein Freund August Macke konnte ihm damals aber kaum eine Stütze gewesen sein, da er in dieser Zeit viel auf Reisen (u.a. nach Berlin, München, Rom und Paris) war und zwischen Oktober 1908 und Oktober 1909 seinen 1-jährigen Militärdienst abzuleisten hatte. Erst als Hans Thuar 1911 unverheiratet mit seiner damaligen Freundin Else nach Bonn-Endenich zog, kamen die beiden Freunde wieder häufiger zusammen. August Macke war 1910 vom Tegernsee aus in das Haus seiner Frau Elisabeth Gerhardt nach Bonn gezogen. (Dieses Haus an der Bornheimer Straße ist heute als Museum "Bonner Macke-Haus" bekannt).  Thuar war Vater einer kleinen Tochter - Hilde Vera - geworden und auch Macke hatte mit seiner Frau Elisabeth im Jahr zuvor (1910) einen Sohn - Walter Macke - bekommen (1913 folgte die Geburt seines zweiten Sohnes - Wolfgang Macke).

Die beiden jungen Väter tauschten sich künstlerisch intensiv miteinander aus, wobei

Hans Thuar in gewisser Weise der notwendige "Reflektor" für August Macke war, mit dem der Freund seine in Berlin, München und Paris gesammelten Eindrücke in eine eigene malerisch-avangardistische Form umsetzen und diese dann nach und nach zum "Rheinischen Expressionismus" verdichten konnte.

August riss mit seinem unermüdlichen Elan den häufig an sich selbst zweifelnden Hans Thuar mit. Gemeinsam machten sie Ausflüge ins nahe Bonner Umfeld, malten

und diskutierten über ihre Bilder. Auch Thuar bekannte sich zum Expressionismus.

1911 beteiligte sich Hans Thuar (im Gefolge von August Macke) erstmals an der Ausstellung der "Cölner Sezession". 1912 folgte die Sonderbund-Ausstellung in Köln, 1913 erneut die "Cölner Sezession", zudem die in Bonn von Macke organisierte "Ausstellung der Rheinischen Expressionisten" und der "Erste Deutsche Herbstsalon" in Berlin. 1914 stellte Hans Thuar - auf Vermittlung von August Macke - in der Galerie Flechtheim in Düsseldorf aus.

Natürlich steigerten die Ausstellungen Hans Thuars Selbstwertgefühl. Er sah sich mit - oder gerade trotz - seiner Behinderung eingereiht in die Phalanx der mehr oder minder bekannten zeitgenössischen Malerkollegen. 1913 heiratet er die gebürtige Hamburgerin Henriette Rasch, die ihm in der Folgezeit drei Töchter schenkt. Doch Glück und Verzweifelung liegen nah beieinander.

Am 26.09.1914, kurz nachdem er zum Frankreich-Feldzug eingezogen war, fällt August Macke in Perthes-les-Hulus in der Champgne und für Hans Thuar fällt - im

wahrsten Sinne des Wortes - eine Welt zusammen.

Plötzlich ist sein so mühsam aufgebautes Selbstwertgefühl verflogen. August Macke, der Pol in seinem Leben, an dem er sich immer wieder aufrichten konnte, fehlt auf

einmal. Und mit ihm fehlt auch die Antriebskraft, sich malerisch weiterzuentwickeln.

Es bleibt Verzweiflung, eine innere Leere. Sein Arzt schickt Hans Thuar zur Be-

handlung seiner Depressionen nach Bad Salzufflen. Aus der Kur wird ein jahre-

langer Wohnaufenthalt. Langsam, ganz langsam erholt sich Thuar von seiner als 

Schicksalsschlag empfundenen Starre. Es ist das Verantwortungsgefühl für seine Familie, das ihn aufrecht hält. Mit malerischer Arbeit kann er den Lebensunterhalt der Familie nicht mehr sicherstellen. Die gelegentlichen Portraitaufträge reichen bei weitem nicht aus. Der Erste Weltkrieg - euphorisch begonnen - geht einfach nicht zu Ende.

Zwangsläufig kommt es zu deutlichen Einschränkungen in der Lebensmittelversor-

gung. Der "Steckrübenwinter" 1916/17 führt - hervorgerufen  durch eine schlechte Ernte - zu weitverbreitetem Hunger in der Bevölkerung. Die Kriegseuphorie wendet sich in ihr Gegenteil.

Hans Thuar versucht sich als Kaufmann. Ihm gelingt das eine oder andere - mehr ad hoc, denn sytematisch angelegte - Handelsgeschäft. Letztendlich merkt er aber, dass er, um wirtschaftlichen Erfolg zu generieren, eher am Anfang der Wertschöpfungskette stehen muss. Und so sucht er nach Produkten und Geschäftsideen, die ihm auch als Behinderten ein Einkommen ermöglichen. Ob es seine besondere Sensibilität als Künstler, sein Drang nach einer ähnlich erfüllenden Leidenschaft wie die Malerei oder schlichtweg nur die Linderung seiner eigenen psychosomatischen Krankheit war, mag dahin- gestellt sein: Hans Thuar entdeckt den Riechsinn für sich und so recherchiert er in den Folgejahren alles zum Thema ätherische Öle, zur Herstellung von Duft-Tinkturen, zu spezifischen Rezepturen und Anwendungen der Aromatherapie. Das Thema läßt ihn nicht los.

1919 zieht die Familie Thuar wieder an den Rhein nach Schwarzrheindorf in den (Bauern-) Hof Wilhelmsburg zurück. Dieser Umzug weckt Hans Thuar Lebensnerv. Seine malerische Lethargie verfliegt. Er beginnt, wieder zu malen.

Es scheint so, als sei die Zeit seit August Mackes Tod stehengeblieben, ausgeblendet und nicht existent. Seine Gemälde knüpfen nahtlos an die Blütezeit des "Rheinischen Expressionismus" vor 1914 herum an, ja sie sind in gewisser Weise die Essenz dieser Zeit. Vielleicht klarer und deutlicher, als es eine kontinuierliche Weiterentwicklung durch August Macke - hätte er denn den Krieg überlebt - vermocht hätte. Hans Thuar besinnt sich seiner Fertigkeiten, insbesondere transformiert er seine Form des Expressionismus in die Aquarell- und Holzschnitt-Technik. 1924/25 wird er Mitglied der "Bonner Künstlervereinigung 1914" und stellt einige seiner Werke im Städtischen Museum Villa Obernier in Bonn aus.

                    Werke von Hans Thuar zwischen 1920 und 1924

                          (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)

Sechs Jahre, bis etwa 1926 dauert diese für Thuar - trotz der Wirtschaftskrise und der Inflation - durchaus beglückende Kreativphase. Dann folgt erneut ein Absturz. Wieder quälen ihn Selbstzweifel. Er hadert mit seinem Schicksal als Schwerbehin- derter, legt Farben und Pinsel für lange Zeit aus der Hand und versucht sich erneut als Kaufmann. Eine erfolgreich eingeklagte Unfallrente nutzt er als Startkapital für den Kauf eines Wohnhauses in Ramersdorf bei Bonn. 1930 bezieht er mit seiner Familie das Haus und richtet dort auch ein Atelier ein.  Er beteiligt sich an einer Tankstelle, mietet ein Cafe und ein kleines Ladengeschäft. Das alles soll den Lebensunterhalt seiner Frau und seiner Töchter sichern und lastet aber gleichzeitig auch auf ihm. Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise gehen nicht spurlos an ihm vorbei. Er sorgt sich, wird erneut depressiv. Ein Lichtblick, vielleicht für Thuar auch ein psychischer Stabilisator sind CERAPIN A, CERAPIN B und CERAPIN T. Produkte, die auf Basis ätherischer Öle und Wachse nach einer von Hans Thuar entwickelten Rezeptur gemixt, in Tuben abgefüllt und an Ärzte und Apotheker im Köln-Bonner Raum zur Linderung von Asthma und Tuberkulose vertrieben werden. Zu diesem Zweck firmiert Hans Thuar in den 30-er Jahren unter dem Namen "HATERA" (abgeleitet aus: Hans Thuar Ramersdorf). Auf den durchaus professionell gestalteten CERAPIN-Informationsbriefen für Ärzte mit den Anwendungs- und Wirkungshinweisen zu den HATERA-Medizin-Produkte sind ebenso wie auf den Werbe-und Informationsflyern - (und auf den Tuben selber) die "RA-Laboratorien" genannt. 

Wirtschaftlicher Erfolg ist ihm aber nicht beschieden. 1933 mit der Machtübernahme Hitlers wird der "Rheinische Expressionismus" als "undeutsch" mit einem Bann be-

legt. Gemälde im öffentlichen Besitz werden aus den Museen entfernt. Ob es an Hans Thuars sechsjähriger Mal-Abstinenz nach dem Tode seines Freundes August Macke lag, an seiner Behinderung, an der geringen Verbreitung seiner Werke aus der Zeit zwischen 1920 und 1926 oder an seiner aktuell unternehmerischen Tätigkeit: Er gerät bei der "Gleichschaltung der Deutschen Kunst" jedenfalls nicht in das "Fadenkreuz" der NS-Schergen und so bleibt er als Künstler weitgehend unbehelligt.

1936 eröffnet Henriette - Hans Thuars Frau - ein eigenes Geschäft mit kunstgewerb-lichen Artikeln. Hans Thuar hilft seiner Frau im Geschäft, berät Kunden und verkauft ihnen die ausgestellte Dekorationsware. Dieses Geschäft läuft zwar gut - zumindest auskömmlich - füllt Thuar aber innerlich nicht aus. Wieder kommen Selbstzweifel auf.

Er ist sich seiner Abhängigkeit von seiner Frau und ihrem Geschäft durchaus bewußt.

Das nagt an ihm. Zu seiner Freude heiratet seine Tochter Gisela August Mackes (jüngeren) Sohn Wolfgang, wodurch die Familienbande zwischen den Mackes und den Thuars noch enger wird. Sein Schwiegersohn Wolfgang Macke ist es schließlich, der ihm 1938 einen Sommeraufenthalt in Ried/Oberbayern unweit des Kochelsees "schmackhaft" macht. Hans Thuar ist bei Maria Marc, der Witwe von Franz Marc untergebracht. Zu Lebzeiten war August Macke mit Franz Marc eng befreundet und - wie dieser - Mitglied in der Münchner Künstlergruppe: "Der blaue Reiter".

Hans Thuar: "Berglandschaft" (1938)

Zusammen mit seiner Tochter Gisela,

die ihn aufopfernd pflegt, verbringt Hans Thuar fast 3 Monate bei Maria Marc in Ried. Sein Gesundheits- und Gemütszustand bessert sich rapide. Hans Thuar beginnt wieder zu malen. Die Berglandschaft um ihn herum fasziniert ihn und er wird nicht müde, mit Stift und Aquarellblock seine Natureindrücke festzuhalten. Einige der gesammelten Motive setzt Hans Thuar - wie seine Tochter Gisela berichtet - später im heimischen Atelier in Ramersdorf in Ölbilder um. Aus dieser Zeit stammt wohl auch das nebenstehende, rechts unten signierte Aquarell auf einem ausgerissenen und quergeteilten Blatt (Abmaße: 19 x 27,2 cm (h x b) seines Aquarellblocks. Mit seinem Skizzenmaterial muss Thuar wohl äußerst sparsam umgegangen sein.

Hans Thuar: "Landschaftsstudie mit Bäumen"

Denn auch die Rückseite ist benutzt.

Im Vordergrund ist eine durch Bäume

abgegrenzte Wiese zu sehen, über der

der Blick in eine weite, hügelige Land-

schaft fällt. Offensichtlich hat Hans

Thuar - wie die Nadelstiche an den

Ecken des Blattes vermuten lassen -

die Aquarellstudie zu einem späteren

Zeitpunkt im direkten Blickfeld an einer

weißen, frisch gestrichenen Wand ne-

ben der Staffelei in seinem Atelier mit

Stecknadeln befestigt. Reste der Wandfarbe befinden sich noch an den Rändern des Blattes.

Hans Thuar: "Moorlandschaft bei Ried" (1938)

Leider ließ sich bisher kein Öl-Gemälde

Thuars nachweisen, das exakt einer der

beiden Aquarellvorlagen entspricht.

Auch wenn es sich um einen gänzlich

anderen Landschaftsausschnitt handelt,

ist eine gewisse Ähnlichkeit mit dem

im selben Jahr 1938 entstandenen

Ölgemälde: "Moorlandschaft bei Ried"

- unterstellt man  eine generell akzen-

tuiert-schroffere Malweise mit Ölfarben

(gegenüber den weicher fließenden

Aquarellfarben) - nicht abzusprechen.

Bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges im September 1939 folgt für Hans Thuar eine kurze, aber intensive Malphase in seinem Atelier in Ramersdorf. Dann plötzlich,

fast von einem Tag auf den anderen, fühlt er sich wie gelähmt. Der Krieg macht ihm zu schaffen. Der psychische Druck auf ihn nimmt zu. Angst und Verzweifelung vor seinem Schicksal (und dem seiner Familie) lassen ihn nur noch wenige Bilder fertig-

stellen - allesamt nun in dunklen und düsteren Farben gehalten.

Der zunehmende Luftkrieg mit seinen Bombenangriffen bringt den psychisch leiden- den, an einen Rollstuhl gefesselten Maler in unmittelbare Lebensgefahr. Nur selten  kann er schnell in sichere Luftschutzbunker gebracht werden. Am 18. Oktober 1944 wird sein Haus in Ramersdorf durch eine Luftmine stark beschädigt.

Es bleibt kein Ausweg mehr: Hans Thuar wird in ein Pflegeheim nach Schwarza bei Rudolstadt in Thüringen evakuiert. Seine erstgeborene Tochter Hilde-Vera - selbst heimatlos und zudem auch gerade erst Mutter geworden - nimmt den schwer leidenden Vater später aus dem Heim zu sich und kümmert sich um ihn. Hans Thuar siecht dahin. Knapp ein Jahr nach der Evakuierung stirbt Hans Thuar, kurz vor seinem Geburtstag, am 24. Oktober 1945 in Langensalza. Er wäre 58 Jahre alt geworden.

 

PS. Das oben abgebildete doppelseitig genutzte Vorlagen-Aquarellblatt entstammt dem Nachlass von Dr. Karl-Ernst Hümmer. Er kannte Hans Thuar. Das Bild hing lange Jahre in Hümmers Büro auf dem Gelände des Erzeugergroßmarktes Bonn. Sein Büro befand sich damals unmittelbar neben dem Macke-Haus an der Bornheimer Straße in Bonn.

Zur Navigation bitte zum Seitenanfang zurückkehren und die nebenstehende (grau

hinterlegte) Kapitelanwahl benutzen!