Adolf Hohenstein (1854 - 1924)
1854 Adolf Hohenstein wird am 18.03.1854 als Sohn
des deutsch-stämmigen Ehepaares Julius und
Laura Iruck in Sankt Petersburg /Russland ge-
boren. Der Vater - Julius Iruck - ist ein studier-
ter Forstwirt ("forrest engineer"). Er ist an den
Zarenhof gerufen worden, um den Edelholzbe-
wuchs auf den ausgedehnten Ländereien des
russischen Zaren zu intensivieren und den Ab-
satz des Holzes sicherzustellen. Der Beruf des
Vaters ist mit ständiger Reisetätigkeit verbun-
den. Sein Sohn wird in Sankt Petersburg auf
den Namen Adolf Iruck getauft. Erst später,
während seines Kunststudiums nimmt Adolf
Iruck den Künstlernamen Hohenstein - nach
dem Geburtsort des Vaters im westlichen
Taunus - an.
1856 Die Familie zieht von Sankt Petersburg nach Wien um. Der Vater ist, häufig
begleitet von der Mutter, beruflich weiterhin für längere Zeit unterwegs.
1860 Adolf wird in Wien eingeschult. Er wechselt von der Grundschule auf das
"Theresianum", ein traditionsreiches Wiener Gymnasium, dem ein Internat
angeschlossen ist. Schon bald stellt sich das zeichnerisch-gestalterische
Talent des Jungen heraus. Insbesondere die perspektivische Architektur-
malerei hat es ihm angetan.
1872 Adolf legt seine Matura ab. Er bewirbt sich für ein Malereistudium an der
Akademie der schönen Künste in Wien und wird dort angenommen. Nach
dem Grundstudium witmet er sich der Trompe-l'oeil-Malerei (perspekti-
vische Illustrationsmalerei) und bringt es schnell zu einer verblüffenden
Meisterschaft. Seine Talent spricht sich herum. Noch während seiner Stu-
dienzeit unternimmt er ausgedehnte Studienreisen, die ihn unter anderem
nach Indien sowie nach Siam (dem heutigen Thailand) führt. Hier malt er
einzelne Räume in den Palästen und Wohndomizilen verschiedener Für-
stenfamilien mit seiner Trompe-l'oeil-Malerei aus. Vom siamesischen
Königshof bekommt er den Auftrag, Mitglieder der Königsfamilie zu
portraitieren.
Seine Art, Menschen in einem "Bild im Bild" so zu malen, dass es den An-
schein hat, die jeweilige Person trete aus dem Rahmen und damit aus dem
Bild heraus, fasziniert seine Auftraggeber ungemein. Als Adolf nach Wien
zurückkehrt, hat er seinen Geburtsnamen Iruck abgelegt. Fortan ist er -
laut Pass und Personalpapieren - Adolf Hohenstein. Wahrscheinlich schließt
Adolf Hohenstein 1878/79 sein Studium an der Akademie der schönen
Künste in Wien mit dem "Akademiebrief" ab (unbestätigt).
1879 Adolf Hohenstein zieht als 25-jähriger Kunstmaler von Wien nach Mailand
um, wo er zunächst als Gebrauchsgrafiker und Zeichner seinen Lebens-
unterhalt verdient. Er nimmt sich Zeit, eine Bewerbungsmappe mit seinen
Referenzprojekten aus Indien und Siam auszuarbeiten und bewirbt sich
als Bühnenbildner und Kostümgestalter an der Mailänder Scala (Teatro alla
Scala) sowie parallel dazu an anderen Opernhäusern in Italien (Mailand,
Turin, Rom). Auch hier überzeugt er mit seiner Trompe-l'oeil-Malerei.
1880 Adolf ist 26 Jahre alt, als er einen Vertrag als Bühnenbildner an der
Mailänder Scala erhält. Was das Musiktheater angeht, ist Mailand zum
damaligen Zeitpunkt der Nabel der Welt. Guiseppe Verdi (1813-1901)
und Giacomo Puccini (1858-1924) wirken hier. Zudem ist der wohl ein-
flußreichste Musikverleger im Operngeschäft - Giulio Ricordi hier zu
Hause. Adolf Hohenstein nennt sich - wohl auf Giulio Ricordis Anraten
hin - nun Adolfo (mit einem angehangenen o). Giulio Ricordi nimmt
Adolfo unter seine Fittiche. Ihm ist es wichtig, dass die von ihm verlegten
Opern einfach überwältigend auf das anspruchsvolle Opernpublikum wir-
ken und weltweit Maßstäbe setzen. Dazu gehören natürlich auch beein-
druckende Bühnen- und Kostümbilder, da durch sie schon optisch die
richtigen Umgebungen und Stimmungen für die Musik erzeugt werden.
Wieder erweist sich die ausgefeilte Tompe-l'oeil-Malerei Adolfo Hohen-
steins als Schlüssel zum Erfolg. Er schafft es, riesige Stadtlandschaften
und schon im nächsten Aufzug tiefgestaffelte Innenräume auf die Bühne zu
zaubern. Giulio Ricordi läßt seinen Schützling gewähren. Seinem Musik-
verlag ist eine grafische Werkstatt angegliedert, in der er alles gestalten
läßt, was zur Promotion seiner Opern notwendig ist: Von den Ankün-
digunsplakaten und Postern über die Programmhefte, die Opernbillets bis
hin zu Presseinformationen und Andenkenpostkarten. Heute würde man
diese Aktionen als frühes professionelles Merchandising bezeichnen.
1889 Giulio Ricordi kauft den hochtalentierten Alfonso Hohenstein für die
grafischen Werkstätten seines Musikverlages ein. Er bietet ihm die Stelle
eines Art Directors an und übernimmt dessen Leistungen - Bühnenbild-
und Kostümentwürfe - in das Portfolio seiner Agentur. Dank seiner her-
vorragenden Beziehungen zu den Intendanten aller italienischen Opern-
häuser, schafft Ricordi es, die bisher durch eigenes Bühnenpersonal ab-
gedeckten Arbeiten komplett in seine Agentur zu verlagern. In den
Folgejahren stattet Adolfo Hohenstein als Ricordis kreativer Art Director
zwölf Premierenausstattungen der Opernhäuser in Mailand, Rom, Turin
und Neapel aus. Neben den Bühnenbildern für die verschiedenen Aufzüge
der Opern entwirft er mehr als 600 Bühnenkostüme.
Damit nicht genug. Ricordi kauft für seine Agentur auch junge, talentierte
Grafiker aus ganz Italien ein und macht Alfonso zu ihrem Chef. Der hat in
Paris schon früh die Anfänge der von Alphons Mucha kreierten "Art
Nouveau" (Plakat für die Schauspielerin Sarah Bernard) kennengelernt
und mit seinem Riecher für zeitgemäße Stile sofort erkannt, dass dem
Art Nouveau - in Deutschland "Jugendstil" genannt - die Zukunft gehört.
Abb. links: Alfons Mucha: Bildnis der Abb. rechts: Otto Eckmann: Titelblatt
Sarah Bernard der Zeitschrift "Jugend"
Zusammen mit dem Kollegen Giovanni Mario Mataloni "fokussiert" er
sein Mitarbeiterteam, zu dem inzwischen so renommierte Maler, Grafiker
und Zeichner wie Leopoldo Metikovitz, Marcello Dudovich und Achille
Manzan gehören, auf die neue Darstellungsart. Der "Stile Liberty" - wie
die italienische Abart des Jugendstils schon bald genannt wird - erlangt
durch das konsequente "Opern-Merchandising" innerhalb kurzer Zeit
Weltgeltung.
Illustrationen zur Oper "Iris", zusammengefasst als Kartenserie mit
rückseitig aufgedruckten Erläuterungstext zum Handlungsablauf
Adolfo Hohenstein kann mit Fug und Recht als "Vater des italienischen
Jugendstils" bezeichnet werden. Schon bald springen italienische Firmen
und Medienunternehmen (unter anderem Campari, Buitoni und die
Zeitung "Corriere della Sera") auf den Zug auf und wollen ihre Reklame
ebenfalls im "Stile Liberty" gestaltet wissen. Aus dem Musikverlag Ricordi
wird eine internationale Werbeagentur und Adolfos Mitarbeiter werden
deren Stars. Sie überflügeln schon bald ihren Chef in Punkto Bekanntheit.
1895 Adolfo Hohenstein wendet sich wieder verstärkt der Theaterarbeit zu.
Er lernt Guiseppe Verdi persönlich kennen und gestaltet in enger Abstim-
mung mit dem betagten Meister das "Set Design" (Bühnenbild und Aus-
stattung) für die Premiere der Oper "Falstaff". Auch mit Giacomo Puccini
arbeitet Adolfo eng zusammen. Die beiden freunden sich an. Auf
Puccinis ausdrücklichen Wunsch hin, entwickelt sein Freund Adolfo zusätz-
lich zum Bühnen- und Kostümbild auch die gesamte Aussenwerbung für
dessen "Madame Butterfly".
1900 Adolfo Hohenstein lernt in Deutschland die Witwe Katharina (Hedwig)
Plaskuda kennen. "Auf Freiersfüssen" pendelt er in der Folgezeit zwischen
Deutschland und Italien hin und her. Ohnehin ständig auf Reisen, möchte
er irgendwann "Anker werfen" und sesshaft werden.
1903 Adolfo Hohenstein geht mittlerweile auf die 50 zu. Er verlegt seinen
Lebensmittelpunkt mehr und mehr nach Deutschland, insbesondere
nach Bonn und nennt sich wieder Adolf (ohne angehangenes o).
Da er nicht sofort eine Anstellung im Theaterbereich findet, macht er
sich als freier Kunstmaler in Bonn selbständig.
Im November 1903 heiraten Adolf Hohenstein und Katharina Plasuda. Sie
bringt drei Kinder mit in die Ehe. Adolf ist ihnen ein guter Vater.
1906 Für einige Zeit pendelt Adolf Hohenstgein weiterhin zwischen Bonn und
Mailand hin und her. Er reicht einige Grafikvorschläge für den Wett-
bewerb: "Ausstellung zur Eröffnung des Simpon-Tunnels" ein und ge-
winnt die Ausschreibung. Dies ist sein vorerst letztes Engagement in
Italien. In Bonn betätigt er sich als Kunstmaler. Neben ausdruckstar-
ken Portraits malt er Waldlandschaften und bäueriche Genrebilder.
1908 Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird Adolf Hohenstein 1908/09 Mitglied
der legendären "Gemütlichen Bonner Künstlerrunde", die sich einmal
pro Woche im Hotel "Goldener Stern" am Bonner Marktplatz trifft
(siehe dazu auch Künstlerprofil von Willy Stucke). Die Runde unter
Leitung von Hofrat Beck - damals Leiter des Bonner Stadttheaters -
hat es sich zur Aufgabe gemacht, in Bonn neu ankommenden Künstlern
auf privater Ebene Orientierung, kollegiale Betreuung und ein gewisses
Heimatgefühl zu bieten.
Hofrat Beck stellt der Runde unter anderem "seine" jungen Schauspieler -
darunter Emil Jannings und Eugen Klöpfer - vor, die kurz zuvor als Mimen
am Bonner Stadttheater ihre Engagements erhalten haben. Professor
Sauter - damals Bonner Generalmusikdirektor - führt "seine" jungen
Solisten in die Runde ein und Albert Küppers - Kunstprofessor an der
Universität Bonn - "kümmert" sich um die Bonner Neuankömmlinge aus
den Bereichen Malerei und Bildhauerei. Die Runde ist zwar bunt gemischt
und von den Persönlichkeiten und deren Charaktern her alles andere
als homogen, aber alle scheinen doch ihre helle Freude am kreativen
(und weinseeligen) Gedankenaustausch und an der "rheinischer
Fröhlichkeit und Leichtigkeit" zu finden. Nach und nach gewinnt die
"informelle" Künstlerrunde auch kulturpolitischen Einfluß in Bonn. Im
Bereich der bildenden Künste werden beispielsweise die Aufgaben des
städtischen Museums Villa Obernier diskutiert, hinterfragt und konzep-
tionell-inhaltliche, bautechnische und organisatorischen Veränderungen
vorgeschlagen und initiiert. Auch der alles andere als gesicherte soziale
und finanzielle Status der Bonner Künstlerschaft wird ständig thema-
tisiert. Viel ändert sich nicht. Immerhin wird der Einfluß der Gesellschaft
für Literatur, die bis dahin die Villa Obernier mit "Lesungen" und Lyrik-
vorträgen "bespielte" beschnitten und statt dessen das Ausstellungs-
programm für bildende Bonner Künstler intensiviert. Man plant, neben
einer Frühjahrsausstellung, zusätzlich eine Sommerausstellung und zum
Winter hin eine als Verkaufsausstellung konzipierte Weihnachtsausstel-
lung in der Villa Obernier zu organisieren.
1909 Adolf Hohenstein orientiert sich als Kunstmaler eher nach Düsseldorf als
nach Bonn, wo ihm deutlich mehr Ausstellungsmöglichkeiten geboten
werden und wo er mit den Künstlern der Düsseldorfer Akademie - noch
studierende wie auch fertige - ein weitaus lebendigeres Kreativumfeld
mit immer wieder neuen kreativen Gestaltungsanregungen vorfindet.
Er beschießt, dauerhaft Mitglied im Düsseldofer Kunstverein "Malkasten"
zu werden.
1910 Adolf Hohenstein beteiligt sich mit mäßigem Erfolg an der Sommeraus-
stellung der "Vereinigung Bonner Künstler VBK" im städtischen Museum
Villa Obernier in Bonn. Wirtschaftliche Überlegungen zwingen ihn, mit
Frau und Kindern nach Düsseldorf umzuziehen. Hier erhält er zuneh-
mend Aufträge zur Ausmalung repräsentativer Bürgerhäuser. Seine
Trompe-l'oeil-Malerei - nun gepaart mit Genreszenen - ist wieder gefragt.
Zwischenzeitlich wohnt Adolf Hohenstein für einige Monate in Essen, wo
unter seiner Leitung die Versammlungs- und Festhalle der Zeche
Zollverein ausgemalt wird.
Wo er den Ausbruch des 1. Weltkrieges, den anfänglich euphorischen
Jubel, dann die Ernüchterung und schließlich das Ende des Krieges
miterlebte, ist nicht überliefert (vermutlich in Düsseldorf).
1918 Gegen Kriegsende zieht Adolf Hohenstein wieder nach Bonn zurück.
Er ist inzwischen 64 Jahre alt. Für einen Neuanfang ist es zu spät.
Die Not ist groß. Nahezu alles ist zwangsbewirtschaftet, die Inflation
wächst. Adolf Hohenstein tauscht fast alle seine neugemalten Bilder
gegen Lebensmitteln und Briketts ein.
Die Stadt Bonn erwirbt zwei Werke von Adolf Hohenstein für die
städtische Sammlung: "Der Schnitter" und "Pferde in der Schwemme".
1924 Adolf Hohenstein stirbt am 12.04.1924, kurz nach Vollendung des 70.
Lebensjahres in Bonn (Nach anderen Quellen ist er 1928, also 4 Jahre
später, verstorben). Als Adolf Hohenstein hat er mindestens 12 Jahre
in Bonn verbracht. Seine erfolgreichsten Jahre verlebte er aber sicher-
lich als Adolfo Hohenstein in Italien. Heute zählt der Maler zur "verges-
senen Bonner Künstlergeneration". Nur wenige seiner Werke - in der
Regel Ölgemälde - sind bisher im deutschen Kunstauktionshandel zu
verhältnismäßig niedrigen Preisen aufgetaucht. Dafür werden die Wer-
ke, die er in Italien als Wegbereiter und früher Vertreter des Jugend-
stils bzw. des italienischen "Stile Liberty" geschaffen hat, umso höher
geschätzt. Originale aus seiner Hand stehen bei Museen und Samm-
lern hoch im Kurs und erzielen verhältnismäßig hohe Preise.
Zwei Werke Adolf Hohensteins mit direktem Bonn-Bezug:
links: Bonner Rheinbrücke rechts: Blick ins Städtische
(um 1910) Viktoriabad in Bonn
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