Jupp (Josef Peter) Heinz (1917 - 1999)

aktueller Status: 09.06.2025

An dieser Stelle soll nach und nach das Künstlerprofil von Jupp Heinz entstehen. Die entsprechenden Recherchen zu seinem Lebenslauf und seinem künstlerischen Werk haben begonnen. Neben den umfangreichen Angaben in dem bereits duch seine Tochter Gabriele (geborene Heinz) und deren Mann Volkmar Kramarz erstellten Internetauftritt unter www.jupp-heinz.de sollen weitere durch persönliche Interviews eruierte Angaben den Lebenslauf dieses veritablen Bonner Künstlers dem interessierten Leser näherbringen. Mein besonderer Augenmerk ist dabei auf die sozial-gesellschaftlichen, aber auch die wirtschaftlich-politischen Rahmenbedingungen der Zeit gerichtet, die den Künstler (und seine Kunst) geprägt haben. Wer den Künstler und/oder seine Künstlerkollegen und Freunde persönlich gekannt hat oder

relevante Werke von ihm besitzt, wird gebeten, sich gegebenenfalls per eMail beim Autor unter www. me.huemmer@web.de (Stichwort: Jupp Heinz) zu melden. Ich bin für jeden ergänzenden Tipp und Hinweis dankbar.

Michael Hümmer                                                      

Familie und Kindheit

Jupp Heinz als etwa 4-jähriger Junge

1917  Am Sonntag, den 14.01.1917 erblickt Jupp Heinz als

          viertes von insgesamt fünf Kindern des Ehepaares

          Peter und Anna Heinz - geborene Irmen - in dem

          Eifeldorf Binsfeld das Licht der Welt. Der Knabe wird

          in der katholischen Pfarrkirche Sankt Georg auf den

          Namen Josef Peter Heinz getauft. Binsfeld - unweit

          der heutigen US-Airbase Spangdahlem in der Eifel

          gelegen, - wird dem Landkreis Bernkastel-Wittlich zu-

          gerechnet. Zum Zeitpunkt von Jupp Heinz Geburt 1917

          zählt der Ort nominell - die zum Dienst an der Waffe

          rekrutierten Soldaten mitgezählt - knapp 1000 Seelen.

          Die Eltern von Jupp Heinz bewirtschaften in Binsfeld

          einen Bauernhof. Sie sind nicht vermögend, produ-

          zieren aber nahezu alle Lebensmittel auf ihrem Grund

          selbst und halten daneben als Selbstversorger auf

          dem Hof auch Haustiere und eigenes Vieh. Man hat kaum Bargeld zur Ver-

          fügung, lebt überwiegend durch Realtausch und verkauft, sofern Geld für

          Anschaffungen benötigt wird, die übrig gebliebenen eigenen bäuerlichen

          Erzeugnisse auf den lokalen Märkten in Bernkastel und Wittlich. Kriegsbe-

          dingt waren bereits 1916 Getreideprodukte, vor allem Brot, durch das

          Deutsche Kriegsernährungsamt strikt rationiert worden; Fleisch- und Wurst-

          waren fehlten fast völlig. Steckrüben wurden zum wichtigsten Nahrungsmittel

          in breiten Kreisen der städtischen Bevölkerung. Die katastrophale Ernäh-

          rungslage führte 1916/1917 zum berühmten "Steck- bzw. Kohlrübenwinter"

          und zur Hungersnot. Behördlicherseits zugeteilte Lebensmittel hatten durch-

          schnittlich nicht mehr als 1000 kcal. Das reichte vorne und hinten nicht zu

          einem "satten" Leben. Zwangsläufig nahmen Hamsterfahrten und Schwarz-

          marktgeschäfte zu. Zwischen 1914 und 1918 starben etwa 800.000 Menschen 

          in Deutschlands Städten. Die Landbevölkerung hatte es da vergleichsweise

          gut, sofern sie - wie die Familie Heinz - eigenen Grund und Boden bestellte.

          Natürlich muß Jupp Heinz, ebenso wie seine Geschwister, in der Folgezeit im

          Rahmen ihrer Möglichkeiten auf dem Hof mitarbeiten.

Familie Heinz im Jahr 1921: mittig stehend die Eltern Anna und Peter Heinz, sitzend zwischen den drei Mädchen und zwei Jungs die beiden Großväter; vorne (3. von rechts) Josef Peter, genannt Jupp Heinz

           In der Eifel gilt für landwirtschaftliche Betriebe die sogenannte Höfeordnung.

           Eine rechtlich verbindliche Regelung, die auf die Vererbung und ungeteilte

           Weiterführung eines Hofes in der Hand eines einzigen Erben - in aller Regel

           des jeweils ältesten Sohnes einer Familie - abzielt. Damit soll eine Zerstücke-

           lung des Grund und Bodens, wie sie nach der sonst im Erbschaftsrecht allge-

           meingültigen Realteilung unweigerlich eintreten würde, vermieden werden.

           Die nicht bedachten Kinder und Erben haben ihrerseits einen Anspruch auf

           Abfindung. Diese kann in rein finanzieller Form oder durch andere Formen

           von Vergütungen, wie die Finanzierung einer weitergehenden Lehr- oder

           Studienausbildung -  beziehungsweise bei Mädchen - durch eine entspre-

           chende dingliche Aussteuerausstattung sowie im Falle einer (auswärtigen)

           Verheiratung durch Haushaltungszuschüsse etc. vorgenommen werden.

           Sind nur unzureichende finanzielle Mittel für eine Abfindung vorhanden,

           haben die nachrangigen Erben das Recht, auf dem Hof angestellt zu werden

           und dort auch wohnen zu können.

           Für Jupp als zweitgeborenen Sohn hat die Familie eine "gehobene" Ausbildung

           vorgesehen. Er soll es später - unabhängig vom Hof -  "zu etwas bringen",

           also einen auskömmlichen und angesehenen Beruf ergreifen, der es ihm

           ermöglicht, einen eigenen Beitrag zur späteren Sicherung und Unterstützung

           der Familie zu leisten.

           Der Druck, die Erwartungen der Eltern zu erfüllen und etwas Nachhaltiges für

           die Familie leisten zu müssen, prägt schon früh den Jungen.

Schulausbildung

1923   Zu Ostern 1923 wird Jupp Heinz in die katholische Volksschule Binsfeld

           eingeschult. Schon während der Schulzeit fällt sein ausgesprochenes

           Zeichentalent auf. Das Gen für seine künstlerisch-musische Begabung hat

           Jupp Heinz wohl aus der Familie (Irmen) mütterlicherseits erhalten. Zunächst

           weitgehend autodidaktisch durch "Abzeichnen und Nachempfinden" von

           Kunstwerken - später auch von Nuturvorlagen - angeeignet, erprobt er schon

           relativ früh verschiedene Mal- und Zeichenstile. Nach dem 4. Schuljahr wird

           dann im regulären Kunstuntericht der Umgang mit Pinsel und einem Kasten

           Wasserfarbe eingeübt. Jupp nutzt dies, um sein "Farbempfinden" zu schulen.

           Nach und nach erschließt er sich - wohl noch überwiegend intuitiv - durch

           praktische Übungen das Feld der additiver Farbmischungen, Farbstufungen,

           Farbkontraste etc. Er legt eine Zettelsammlung mit gesammelten Werken an

           und nutzt erstmals für seine Übungszeichnungen auch ein Skizzenbuch.

           Acht Jahre nach seiner Einschulung wird er mit einem guten Abschlußzeugnis

           aus der Volksschule Binsfeld entlassen.

    Jupp Heinz:     frühe Aquarelle - Ansichten seines Heimatortes Binsfeld in der Eifel.

                            (Zur Vergrößerung bitte auf die Abbildungen klicken)

1931   Ausgestattet mit Empfehlungen seiner Schullehrer und des Pfarrers der

           katholischen Pfarrkirche St. Georg wechselt der 14-jährige Jupp Heinz von

           Binsfeld in die rund 180 Straßenkilometer entfernte Steyler Missions-

           Klosterschule St. Josef in Geilenkirchen (bei Aachen). Das Gymnasium mit

           angeschlossenen Internat, das als "Anstalt für Spätstudierende" geführt wird,

           vermittelt seinen Schülern neben der gymnasialen Ausbildung auch eine

           handwerklich-werkstattorientierte Vorbereitung für spätere katholisch-

           christliche Missionstätigkeiten im außereuropäischen Ausland. Für Missions-

           tätigkeiten ist die Beherrschung fremder Sprachen elementar wichtig. Wie

           sich zeigt, besitzt Jupp Heinz neben seiner künstlerisch-musischen Begabung

           auch ein besonderes Sprachtalent. Neben Latein und (Alt-)Griechisch, be-

           herrscht Jupp Heinz schon bald die englische und französische Sprache so

           gut, dass er einigen seiner Mitschülern (gegen entsprechendes Taschengeld)

           Nachhilfeunterricht geben kann. Zudem lernt er aus eigenem Antrieb Klavier,

           Gitarre und autodidaktisch auch Flöte und Mundharmonika zu spielen. Offen-

           sichtlich hätte er auch ein guter Entertainer werden können.

1934   Allerdings drängt es den heranwachsenden Jugendlichen zum Leidwesen

           seiner Lehrer nicht besonders zur Missionsarbeit. Ihm ist die Kunst (und

           auch die Kunstvermittlung) wichtiger. Da kann er kreativ sein, kann sein

           eigenes Potenzial erkunden und auch persönlich freier und ungezwungener

           agieren. Natürlich ist seine künstlerische Motivwelt in der Steyler Missions-

           Kosterschule von der klassischen Kirchenkunst geprägt. Neben der Ver-

           mittlung christlich-ikonografischer Hintergründe und jahrhundertelang

           tradiertet Symboliken in der bildlichen Ausprägung biblischer Motive, werden            die Missionsschüler im Kunstunterricht dazu angehalten, sich auch aktiv und

           selbstständig mit der Erstellung von Kirchengemälden und Fresco-Wand-

           malereien auseinanderzusetzen.

           Das trifft bei Jupp Heinz auf fruchtbaren Boden.

Jupp Heinz: Entwurf für ein Altarbild - segnender Jesus Christus verbindend zwischen Mann und Frau, zwischen bäuerlichem und heimischem Leben, zwischen den Themenwelten Arbeit (links) und Ernährung (rechts)

           Jupp Heinz fühlt sich in seinem gestalterischen Talent gefordert. Er wird

           von seinen Lehrern zudem mit den Techniken der Bildhauerei, insbesondere

           mit der Holzschnitzerei, vertraut gemacht. In den Werkstätten der Missions-

           schule erhält er die Gelegenheit, die Holzschnitzkunst zu erlernen und eigene

           Holzskulpturen, Friese und Motivreliefs mit christlicher Ikonographie zu

           schnitzen.

           Die künstlerische Auseinandersetzung mit alter als auch mit zeitgenössisch-

           moderner Kirchenkunst fasziniert Jupp Heinz. Sein Entschluß, bildender

           Künstler zu werden, festigt sich zunehmend.

Abschlußjahrgang der Steyler Missions-Klosterschule St. Josef in Geilenkirchen (1936). Jupp Heinz: 2. Reihe, dritter von links

Studienausbildung

Jupp Heinz als Student an der Kunstgewerbe-schule Trier

1936  Jupp Heinz bewirbt sich um ein Studium der Malerei

          und Bildhauerei an der Kunstgewerbeschule Trier.

          Diese ist in den Bereichen Kirchenkunst und Kirchen-

          architektur traditionell eng mit dem katholischen Bis-

          tum in Trier verbunden. Als Voraussetzung für den

          Besuch der Kunstgewerbeschule Trier gilt ein erfolg-

          reicher Schulabschluss mit mindestens dem Testat

          der "mittleren Reife" sowie eine abgeschlossene Lehr-

          ausbildung in einem künstlerisch-gestalterischen Be-

          ruf. Alternativ für die praktische Ausbildung wird auch

          die formale Studienempfehlung sowie ein fachliches

          Gutachten eines anerkannten Meisters im angewand-

          tem Kunstgewerbebereich akzeptiert. Unabhängig da-

          von wird jeder Bewerber einer dreitägigen Aufnahme-

          prüfung vor Ort in der Kunstgewerbeschule unter-

          worfen. Dabei ist in der Regel eine Werkmappe vorzulegen, anhand derer

          eine Aufnahmekommission das grundsätzliche Gestaltungstalent, die indivi-

          duelle Kreativität und die bereits vorliegende Erfahrungen und Kenntnisse

          der Studienbewerber feststellen kann.

          Als Absolvent einer Missions-Klosterschule mit eigener Handwerker-Ausbil-

          dungswerkstatt hat Jupp Heinz keine Schwierigkeiten, auf Vermittlung seiner

          Ausbildungs-Padres zu einem Kunststudium an der Kunstgewerbeschule Trier             zugelassen zu werden.

Ehemalige Kunstgewerbeschule am Paulusplatz in Trier (Archivbild)

            Wie damals üblich, gliedert sich das in der Regel nach dem Modell von

            Kunstakademien ausgelegte, 8-semestrige Werkkunststudium in ein Grund-

            studium und ein weiterführendes angewandtes Fachstudium auf. Im vier-

            semestrigen Grundstudium werden - meist im übergreifenden Klassen-

            verband - die grundlegenden künstlerischen Fertigkeiten (Entwurfstechniken,

            Zeichnen, Malen, Farbgestaltung, plastisches Gestalten etc.) und begleitend

            dazu das Fach Kunstgeschichte, in Theorie und Praxis vermittelt. Im an-

            schließenden Fachstudium wird dann dieses Basiswissen in individuellen

            Übungen und Seminaren, projektspezifisch - entsprechend der jeweils ge-

            wählten Vertiefungsrichtung - ausgebaut. Das Fachstudium ist im allge-

            meinen deutlich "freier" ausgelegt. Im Idealfall dient es dazu, neben der 

            spezifisch fachlichen Vertiefung auch die Persönlichkeitsentwicklung der

            Studenten als eigenständige kreative Künstler zu entwickeln. In der Regel

            endet das Studium mit einer Abschlußarbeit (Meisterarbeit), über die ein

            abschließendes Testat der Professoren im Sinne eines "Akademiebriefes"

            oder eines qualifizierten "Meisterbriefes" erstellt wird. 

Kunstgewerbeschule Trier: hier Anatomieunterricht -Ausbildung im Akt- und Portraitzeichnen
Kunstgewerbeschule Trier: hier Zwischenpräsentation der Semesterarbeiten in der Rotunde

              Parallel zu seinem Studium an der Kunstgewerbeschule schreibt sich Jupp

              Heinz auch an der Trierer Hochschule für Lehrerbildung ein. Offensichtlich

              kommt er damit dem Wunsch seiner Eltern entgegen, dass aus ihrem Sohn

              im späteren Leben einmal "etwas Ordentliches" - möglichst ein Lehrer -

              werden soll.

1939      Zum Wintersemester 1939/40 wechselt Jupp Heinz an die Kölner Werk-

              schulen, um in der dortigen Meisterklasse bei Prof. Wolfgang Wallner

              (1884 - 1950) das Fach Plastik/Bildhauerei weiterstudieren und ab-

              schließen zu können.

Kölner Werkschule Wintersemester 1939/40; Modellierkurs mit Ton; Mitte (in weißem Kittel): Jupp Heinz; links (mit Pfeife): Professor Wolfgang Wallner

Jupp Heinz in der Kölner Werkschule, Fachklasse Bildhauerei; rechts: Abschlussarbeit 1940

(Zur Vergrößerung bitte auf die Abbildung klicken)

               Unmittelbar nach der Machtergreifung Hitlers am 30.01.1933 beginnt die

               Gleichschaltung der "Deutschen Kunst", deren staats-organisatorische

               Basis von Joseph Göbbels durch das Reichskulturkammergesetz am

               22.09.1933 geschaffen wurde (Siehe Kapitel: "Künstler in der NS-Zeit")

               Dieses Gesetz hatte in der Folgezeit gravierende Auswirkungen insbe-

               sondere auf die Ausbildung von Künstler und Künstlerinnen, entbrannte 

               doch unter den Professoren ein Richtungs- und Flügelkampf zwischen den

               Vertetern einer freien, "internationalen" Kunst und den Vertretern einer

               arisch-völkischen - eben einer spezifisch "Deutschen Kunst" nach den

               Vorstellungen Hitlers und der Nationalsozialisten. Im Zuge dieser Aus-

               einandersetzungen wurden viele Professoren und Dozenten mehr oder

               minder zwangsweise mit der Begründung, "entartete Kunst" zu betreiben

               und zu lehren, ihrer Ämter enthoben.

               1936/37 ist die organisatorische Gleichschaltung der Deutschen Kunst

               im Sinne einer "nationalsozialistisch geprägten Volkskultur" weitgehend

               abgeschlossen. Nur diejenigen Künstler, die als Mitglieder der Reichs-

               kammer der Bildenden Künste - nunmehr die einzige legitime Berufs-

               vertretung für Maler und Bildhauer - registriert sind, erhalten fortan

               staatliche Förderungen, öffentliche Aufträge und Ausstellungsmöglich-

               keiten im deutschen Kunsthandel. Letztentlich bedeutet der systematische

               Entzug der wirtschaftlichen Grundlage ein Berufsverbot für alle "unorga-

               nisierten", "nicht-arischen" und "entarteten" Künstler.

               Viele der Lehrkräfte an deutschen Ausbildungsstätten weichen in die

               politisch unbedenkliche Landschafts- und Portraitmalerei (Naturalismus)

               aus, gehen in eine "innere Emigration" und meiden jegliche kritisch-

               thematische Auseinandersetzung mit politisch-sozialen Themenstel-

               lungen in ihrer Kunst. Andere emigrieren in's Ausland.

               Ob dies bei Jupp Heinz Entscheidung eine Rolle spielte, von Trier nach Köln

               zu wechseln, mag dahingestellt sein. Wolfgang Wallner, sein Professor in

               Köln, wurde dort 1939 stellvertretender Direktor und zählte seinerzeit zu

               den einflußreichsten, politisch angepassten Künstlern in Köln.

               Möglicherweise spielte aber auch eine andere Überlegung eine Rolle:

               Traditionell hatte die Kirchenkunst im überwiegend römisch-katholischen

               Rheinland und insbesondere auch im Bistum Köln während der NS-Zeit

               einen besonderen Status. Das zwischen dem Heiligen Stuhl (Papst Pius

               XII) und dem Deutschen Reich am 29. Juli 1933 abgeschlossene "Reichs-

               konkordat" sicherte den katholischen Bekenntnisschulen eine weitgehende

               Autonomie in der christlichen Lehr- und Lebensauffassung sowie dem

               Schutz des Schul- und Kircheneigentums zu. 

               Tatsächlich entwickelte sich daraus nach 1933 eine gewisse "Schutzschild-

               funktion" für beruflich aktive Kirchenkünstler in Köln, da die katholische

               Kirche selbständig Aufträge an "ihren" Künstlerkreis (Bildende Künstler,

               Architekten usw.) vergeben konnte und somit - staatsunabhängig - für

               eine finanzielle Lebensabsicherung der ihr Schutzbefohlenen sorgen

               konnte.

               Das Primat der NS-Ideologie war in diesem Bereich ausgesetzt. Öffentlich

               wirksame "Dissonanzen" zwischen der NS-Ideologie und den Geistlichen

               als Vertreter einer christlichen Lebensauffassung wurden - bis auf wenige

               Ausnahmefälle - nicht thematisiert. So war die christliche "Missionsarbeit"

               der Steyler Missionsschulen zwar politisch unerwünscht, wurde aber -

               mehr oder minder stillschweigend - toleriert. 

               Jupp Heinz war sich seiner Situation als angehender Künstler in diesem

               politisch-ideologischen Spannungsfeld durchaus bewußt. Mit Absicht bear-

               beite er in dieser Zeit betont religiöse Thematiken und wählte für seine

               Arbeiten Motive mit klarer christlicher Ikonographie. Dies rückte ihn - fast

               automatisch - in die Nähe zeitgemäß moderner "Kirchenkünstler".             

Jupp Heinz: Vorskizzen zur Auslegung von geschnitzten Skulpturwerken aus Lindenholz - hier: Studien zu Gestaltaufbau, Figurumrissen, Konturlinien und Proportionen
Jupp Heinz: Gestaltungsalternativen im Faltenwurf des Mantelumhangs einer geplanten Marienstatue aus Holz

akademische Studienarbeiten

Jupp Heinz:     Studienarbeiten (1936 -1940)

obere Reihe:   Malerei/Grafik - Blumenstillleben in Glasvasen

untere Reihe:  Plastik/Bildhauerei: hier Tonmodell "Tröstende Mutter mit Kind" als

                      Vorlage für einen späteren Bronzeguss; rechts: Portaitbüste (Holz)

Musterung und Wehrdienst

            Im Juni 1935 wird die Verordnung über die Musterung und Aushebung aller

            Wehrpflichtigen im Deutschen Reich veröffentlicht. Danach sind alle wehr-

            fähigen deutschen Männer "arischer Herkunft" ab der Jahrgangsstufe 1914

            zum Dienst an der Waffe verpflichtet. Ausnahmen und Zurückstellungen von

            der Wehrpflicht werden unter anderem Schülern und Studenten bis zum

            Abschluß ihrer Erstausbildung, sowie einigen versorgungswichtigen Perso-

            nengruppen (u.a. erstgeborenen Bauernsöhnen, gewerblichen Firmennach-

            folgern, Seeleute etc.) und den unter das Reichskonkordat fallenden Kleri-

            kern der christlichen Konfessionen gewährt.

            Der 19-jährige Jupp Heinz wird 1936 gemustert, für "wehrtauglich" befunden

            und der "Ersatzreserve 1" für den Einsatz in der Luftwaffe zugewiesen.

 

1939    Am 01. September 1939 beginnt der 2. Weltkrieg mit dem Überfall auf Polen.

 

1940    Jupp Heinz wird im Januar 1940 unmittelbar aus der Meisterklasse von Pro-

            fessor Wolfgang Wallner in Köln zum Wehrdienst einberufen und der Luft-

            waffe zugeteilt. Er wird kaserniert und erhält eine halbjährige Grundaus-

            bildung als Rekrut.

            Auf Intervention von Prof. Wallner beantragt Jupp Heinz für das Winterse-

            mester 1941/1942 einen befristeten Studienurlaub, um seine Bildhauer-

            ausbildung fortzusetzen und abzuschließen. Diesem Antrag wird stattge-

            geben. Jupp Heinz vollendet eine lebensgroße, weibliche Statuette als Ab-

            schlußarbeit (Abbildung siehe oben) und kehrt anschließend zur Truppe

            zurück.

Jupp Heinz in seiner Luftwaffenkompagnie (stehend; 3. Reihe; 5. von rechts) Zur Vergrößerung bitte auf die Abblidung klicken.

1941   Mit Beginn des Russlandfeldzuges (Unternehmen Barbarossa) am 22. Juni

           1941 wird Jupp Heinz mit seiner Luftwaffeneinheit in den Osten zur Unter-

           stützung der Heeresgruppe Mitte verlegt. Vier lange Jahre bis zur Kapitulation

           der Heeresgruppe Mitte am 8. Mai 1945 dient er dort "im fliegenden Personal",

           erhält zwischendurch in Paris eine Ausbildung zum militärischen Bildauswerter   

           und steigt als "Luftaufklärer" vom Rekruten zum Flieger (Luftwaffen-Rang-

           abzeichen 1 Winkel), zum Gefreiten (2 Winkel) und zum Obergefreiten (3

           Winkel) auf. Dem Kessel von Stalingrad entkommt er "auf dem letzten

           Drücker", da der Pilot einer der letzten Junkers-Flugzeuge für den Rückflug

           dringend einen erfahrenen Luftaufklärer und Navigator benötigte.

     Jupp Heinz als Flieger                    Gefreiter                              Obergefreiter   

 

Jupp Heinz mit einem Kollegen beim Mandolinenspielen (Konzert vor Kriegskameraden vermutlich im Sommer 1944)

1945  Von Mai bis Dezember 1945 befand sich Jupp Heinz als Wehrmachtsangehöri-

          ger nach der Kapitulation in offizieller britischer Kriegsgefangenschaft. Die

          Engländer hatten in Norddeutschland vier Auffangzonen für rund 1,42 Mio.

          deutsche Kriegsgefangene eingerichtet. Jupp Heinz war der Auffangzone I:

          "Ostfriesland" zugeteilt worden. Er war damit einer von 180.000 Soldaten in

          der Auffangzone I.

          Mangels befestigter Unterbringungsmöglichkeiten campierten die Kriegs-

          gefangenen in Erdlöchern, in Zelten auf freiem Feld, in Ställen oder

          in Scheunen und Schobern. Innerhalb des relativ großräumigen Sperrgebietes

          konnten sich die Soldaten frei bewegen. Nur die meist unbefestigten Sperr-

          gebietsgrenzen wurden durch (rekrutierte) deutsche Zweimannpatrouillen

          (Feldjäger) mehr schlecht als recht kontrolliert.

          Zu flüchten machte für die meisten internierten Kriegsgefangenen aber

          keinen Sinn, denn ohne Entlassungspapiere bekam man weder Passier-

          scheine für die Heimfahrt noch die notwendigen Unterlagen für die

          dortige behördliche Anmeldung und vor allem keine der dringend benötigten

          Lebensmittelkarten ausgehändigt.

          Die Engländer setzten auf eine deutsche Zivilverwaltung in ihren Auffang-

          gebieten und behielten die Organisationsstrukturen, Zuständigkeits- und

          Rangabfolgen der Wehrmacht vorerst bei. Trotz Versorgungsengpässen

          organisierte sich das alltägliche Lagerleben in der nachmilitarisierten Phase

          relativ schnell. Man improvisierte, wo man nur konnte.

          Jupp Heinz gab u.a. Kurse zum Schnitzen von Gebrauchsgegenständen aus

          Holz, vermittelte rudimentäre Sprachkenntnisse in Englisch und Französisch

          und unterrichtete daneben auch grafische Gestaltungs- und Drucktechniken

          sowie Zeichnen und kunsthistorisches Wissen. Im Lager traf Jupp Heinz unter

          anderem auf Hansjörg Martin (1920-1999) und Heinz-Karl Hofmann.

          Beide hatten ähnliche Lebensläufe wie Jupp Heinz als zur Wehrmacht eingezo-

          gene Kunststudenten und Soldaten an der Ostfront aufzuweisen.

Hansjörg Martin wurde am 01.11. 1920 in Leipzig geboren und verstarb am 11. 03.

          1999 in seinem Altersdomizil auf Mallorca. Er begann ein Kunststudium (freie

          Malerei) an der Kunstakademie in Leipzig, ehe er 1941 zur Wehrmacht einge-

          zogen, dann zunächst zur kämpfenden Truppe an der Front nach Russland

          und anschließend in die Niederlande versetzt wurde. In den Niederlanden

          geriet er in britische Kriegsgefangenschaft und wurde - wie Jupp Heinz - in

          der britischen Auffangzone I "Ostfriesland" interniert. Hier traf er auf Jupp

          Heinz und Heinz-Karl Hofmann.

          Später - ab den späten 50er Jahren machte Hansjörg Martin sich als Autor

          von Kriminalromanen einen Namen. Insgesamt schrieb er rund 35 Krimis

          sowie einige Fernsehdrehbücher für den "Tatort" in der ARD. 1963/64

          wechselte er als festangestellter Mitarbeiter zum Norddeutschen Rundfunk.

          Neben Kinder- und Hörfunksendungen im Radio verfasste er Skripte zu TV-

          Produktionen im damaligen ARD-Schulfernsehen. Zu dieser Zeit wohnte er

          in Wedel bei Hamburg, wechselte dann aber als freier Autor zurück nach

          Norden in Ostfriesland. Zeitweise war er in seinem Ferienhaus auf Norderney

          tätig. Aus seiner Feder stammen mehrere Fernsehfilme, die allesamt zunächst

          oberflächlich erscheinende, dann aber - nach professioneller Krimistruktur

          immer raffiniert-hintergründig verschachtelte persönliche Schicksale thema-

          tisierten. Seinen Lebensabend verbrachte der vielfach ausgezeichnete

          Fernsehautor Hansjörg Martin in seiner Finka auf Mallorca.

 Heinz-Karl Hofmann's Lebenslauf ist vergleichsweise wenig dokumentiert.

          Auch er hat eine künstlerische Ausbildung absolviert und sich vor Kriegs-

          beginn bereits als angehender Bildhauer/Plastiker auf der Insel Norderney

          etabliert. Dem Vernehmen nach wohnte seine Familie dort. Auch er wurde

          zur Wehrmacht eingezogen und geriet 1945 in britische Gefangenschaft in

          Ostfriesland. Die britischen Verwaltungsstellen initiierten schon relativ früh

          die Herausgabe eines deutschsprachigen Wochenblattes für die "Auffangzone

          I". 1949 lizensierten sie - wohl auf ihren Erfahrungen aufbauend - die Neu-

          erscheinung der traditionsreichen Tageszeitung "Ostfriesische Nachrichten"

          in Aurich, die von Anfang an mehrere lokale Kreis- und Ortausgaben besaß.

          Mit hoher Wahrscheinlichkeit arbeitete Heinz-Karl Hofmann zunächst als

          Redakteur sowohl für das britische Wochenblatt wie später (unter dem

          Redaktionskürzel HKH) für die Tageszeitung "Ostfriesischen Nachrichten"

          (unbestätigt). Als Redakteur kam er viel herum, sammelte und pflegte

          Kontakte zu den Verwaltungsbehörden und war auch in Bezug auf geplante

          Kulturveranstaltungen (Kinoprogramme, Theateraufführungen, Vorträge,

          Kunstausstellungen etc.) stets "auf dem Laufenden".

Stets gute Freunde: Jupp Heinz (links) Hansjörg Martin (mitte) und Heinz-Karl Hofmann (rechts) anläßlich einer Wiedersehensfeier 1956

          Die gemeinsame künstlerische "Ader" verband schnell das Trio. Schon

          während der Internierungszeit schloß man enge Freundschaft. Alle Drei

          hatten einen Faible für den Unterhaltungsbereich. Alle Drei liebten die Bühne,

          malten Bühnenbilder, planten Ausstattungen und Dekorationen von Bühnen-

          stücken etc. und alle Drei hatten auch keine Scheu, selbst als Darsteller vor

          Publikum aufzutreten. Jupp Heinz als unterhaltsamer Musikus, Hansjörg Martin

          als Komödiant und Clown sowie Heinz-Karl Hofmann als Ansager und witziger

          Conferencier. Nach seiner Entlassung zu Weihnachten 1945 blieb Jupp Heinz

          bei seinen Freunden in Friesland. Die Drei schmiedeten für ihre Zukunft ge-

          meinsame Pläne.

          Mit der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft begann für die Drei auch

          künstlerisch die "Stunde 0".

Neuorientierung  - Suche nach neuen Darstellungsstilen

          Mit Kriegsende hatte die ideologisierte "Deutsche NS-Kunst" weitgehend "ab-

          gewirtschaftet". Die Verehrung aktueller Volkshelden, verherrlichende Kriegs-

          und historische Schlachtenbilder, nach antiken Vorbildern heroisierend darge-

          stellte germanische Krieger und Kämpfer, bäuerliche "Blut- und Boden"-Motive

          mit arbeitseifrigen reinrassisch arischen Großfamilien, eingespannte Acker-

          gäule, üppig gesunder Viehbestand, Mägde und Knechte bei der Feldarbeit etc.

          - das alles war auf einmal komplett "out".

          Sicherlich mit hoher (akademischer) "Malkunst" gemalt, verschwanden solche

          Bilder ganz schnell in der Versenkung (und in den Depots der Museen). Keiner

          wollte "Deutsche Kunst" mehr sehen, geschweige denn - sie produzieren.

          Doch was könnte an ihre Stelle treten? Ein erstaunlicher Paradigmenwechsel

          sollte alsbald in Deutschland einen künstlerischen Neuanfang - eben die

          "Stunde 0" markieren. Nun lehnte man sich an amerikanische, englische und

          vor allem französische Künstler an, ließ sich von ihnen inspirieren und ver-

          suchte, nach und nach eine eigene individuelle Handschrift - eben einen

          neuen eigenen Darstellungsstil - zu finden. Sicherlich kein leichtes Unter-

          fangen.  Man brauchte einfach seine Zeit, um nach dem Diktat der "Deutschen

          Kunst" etwas Neues zu entwickeln. Alles, was lange Jahre zuvor als "undeut-

          sche" und somit "entartete" Kunst verpönt war, wurde nun zunehmend interes-

          santer. Viele deutsche Künstler und Künstlerinnen lösten sich nach und nach

          aus ihren Prägungen und experimentierten, meist noch zaghaft-erkundend,

          mit Stilrichtungen wie dem Expressionismus, dem Kubismus, dem Dadais-

          mus, dem Surrealismus, dem magischen Realismus und der neuen Sachlich-

          keit. Zudem zeichneten sich gegen Ende der 40er-/ Anfang der 50er-Jahre am

          internationalen Kunsthorizont erste komplett neue Stilentwicklungen ab, wie

          die Op-Art, die Pop-Art, die Kybernetik und verschiedene "informelle Kunstan-

          sätze" (Fluxus, Konzeptkunst, Performance etc.). Damit nicht genug -

          wechselten nunmehr auch häufiger die Darstellungsarten. Neben den

          klassischen (pinselgeführten) Maldisziplinen (Aquarell- und Ölmalerei) trat die

          Acrylmalerei, verschiedene technische Farbspritztechniken (u.a. Street-Art)

          sowie mit der Einbeziehung unter anderem von "Kunst"-stoffen unterschied-

          liche Formen von Materialcollagen und Materialmixen.

          Jeder deutsche Künstler und Künstlerin hatte zur "Stunde 0" eine eigene

          individuelle Antwort auf die Veränderungen der künstlerische Rahmenbe-

          dingungen nach dem 2. Weltkrieg zu finden.

          So auch Jupp Heinz und seine beiden ehemaligen Lagergefährten Hansjörg

          Martin und Heinz-Karl Hofmann.

Jupp Heinz: "Stillleben" mit Südfrüchten, Vase und Lampinonblütenzweigen (Physalis alkekengi)

1945/46  Nach eigenen Angaben arbeitete Jupp Heinz nach seiner Entlassung aus

                der britischen Kriegsgefangenschaft malerisch und grafisch überwiegend

                mit "Flippi" (= Hansjörg Martin) in dem Küstenstädtchen "Norden" in Ost-

                friesland zusammen. Hier hatten beide wohl eine gemeinsame, relativ

                billige und verhältnismäßig enge "Behausung" gefunden, von der

                aus sie - wann immer es ihnen möglich war - zum Malen auf die damals

                noch nicht wieder touristisch erschlossene Insel Norderney auswichen.

                Das Alltagsleben in Norden gestaltete sich recht schwierig. In der über-

                wiegend landwirtschaftlich geprägten Umgebung fehlten Arbeitsplätze.

                Vor allem Vertriebene und Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten

                des Deutschen Reiches sorgten für eine Bevölkerungsexplosion.

                Zwischen 1945 und 1948 stieg die Bevölkerung Ostfrieslands von rund

                295.000 auf 390.334 Einwohner, für die erst eine entsprechende Infra-

                struktur durch improvisierte Barackenlager, provisorische Schulen und

                Krankenhäuser etc. aufgebaut werden mußte.

                Die Stadt Norden hatte alleine 26.000 Zugezogene zu verkraften.

                Man ging ungewöhnliche Wege, um dem Problem Herr zu werden. So

                erhielten auf Initiative des damaligen Regierungspräsidenten in Aurich

                die "Deicharbeiter", die sich bei der Stadt Norden verdingten, als

                Ausgleich für Ihre Arbeit einen Teil des neugewonnenen Siedlungslandes

                im "Leybuchtpolder", um auf den Parzellen einen landwirtschaftlichen

                Betrieb, zumindest aber einen Nebenerwerbs- bzw. einen Selbstversor-

                gerbetrieb, zu gründen.

                Eine gewisse "kulturelle Grundversorgung" der zugezogenen Bevölke-

                rung nahmen die ab Mitte 1945 entlassenen deutschen "Kapitulations-

                gefangenen in britischem Gewahrsam" - so unter anderem auch die

                "Drei Künstler", Josef-Peter Heinz ("Jupp"), Hansjörg Martin ("Flippi")

                und Heinz-Karl Hofmann ("Charli") durch ihre Auftritte wahr. Gemeinsam

                bildeten "die Drei" ein lustiges und erfolgreiches Trüppchen, dessen

                Unterhaltungsangebot gerne angenommen wurde.

                Tatsächlich bestand ein regelrechter "Hunger nach Kunst und Kultur" in

                der Bevölkerung und nach den Entbehrungen der Kriegszeit sehnte

                man sich allgemein nach ein wenig Leichtigkeit und Unterhaltung.

1945        Nur wenige der zur "Stunde 0" entstandenen Gemälde von Jupp Heinz

                sind bekannt und erhalten geblieben. Eine erste Kunstausstellung unter

                dem Titel: "Maler der Marsch" fand im November 1945 in Nordens

                Barackenlager in Tidofeld sowie einen Monat später in einer Scheune

                auf dem Gebiet des späteren Stadtteils Norden-Neustadt statt. Es ist

                nicht gesichert, ob Jupp Heinz dort bereits mit eigenen Werken vertreten

                war. Hier lernte er und sein Freund "Flippi" aber die Malerkollegen Hans

                Trimborn, Heinz Kuth und Herbert Dunkel kennen, mit denen er sich im

                Folgejahr 1946 zur Künstlergruppe "Wir Fünf" zusammenschloß.

1946        Jupp Heinz arbeitet nun als offiziell angemeldeter, gewerblicher "Kunst-

                maler" und akquiriert vor allem Auftragsarbeiten im Bereich der

                Familien- und Portraitmalerei. Zudem fertigte er Genre-Zeichnungen mit

                dörflichen Alltags-Szenen an und schnitzte neben Kerzenleuchtern auch

                sakrale Holzfiguren sowie Reliefpanele - meist Christusdarstellungen und

                Kreuzwegmotive - die vor allem unter den Heimatvertriebenen als Teil von

                privaten Hausaltären gefragt waren und sich gut verkaufen ließen. 

      Bandbreite der künstlerischen Ausdrucksmittel von Jupp Heinz

oben  links: Bleistiftzeichnung                 oben rechts:  Pinselzeichnung

mitte  links: Aquarellmalerei                   mitte rechts:  Ölmalerei

unten links: Relief-Schnitzerei                 unten rechts: Bildhauerei

Norderney und die Künstlergruppe: "Wir Fünf"

               Die Nordseeinsel Norderney verzeichnete zwischen den beiden Weltkriegen

               bei einer relativ konstanten Einwohnerzahl von rund 4.300 Bürgern stetig

               steigende Kurgastzahlen, die 1939 auf rund 48.000 Personen als regis-

               trierte Kurgäste angewachsen waren. Zusätzlich wurde die Insel von einer

               Vielzahl von Ausflugstouristen (Tages-, Wochenend- und Campinggäste)

               besucht. Auf diesen Personenkreis war ein Großteil der Lokale und An-

               denkengeschäfte, Gaststätten, Cafe's- und Imbissstuben, Bars und Res-

               taurants auf Norderney zugeschnitten. Das Unterhaltungsangebot für die

               Gäste umfasste Film- und Theateraufführungen, Kur-Konzerte, "bunte"

               Abende mit Schlagerauftritten mehr oder minder prominenter Unterhal-

               tungskünstler, Sportveranstaltungen, Lesungen, Kunstausstellungen und

               ein breites Angebot von Kursen sowie geführte Besichtigungstouren zu

               den Sehenswürdigkeiten der Insel.

"Haus Maurer" in der Mittelstraße 3 auf Norderney mit dem "Kunstsalon" des Künstlerbundes Norderney (um 1926). Im Hintergund das Kurhotel "Kaiser Franz Josef", wo regelmäßig schmissige Tanzmusik-, Cabaret-, und Kleinkunstaufführungen stattfanden.

             Wärend des 2. Weltkrieges reduzierte sich die Anzahl der Touristen schlag-

             artig. Die leerstehenden Übernachtungskapazitäten wurde zunächst durch

             "Kraft-durch-Freude" Reiseteilnehmer (KDF-Reisen), dann später durch

             rekonvaleszente Kriegsverwundete und ausgebombte Familien ("Kinder-

             landverschickung") ausgelastet. Zur Unterhaltung gründete man 1943/44

             eigens die "Soldatenbühne Norderney". 

             Nach der Kapitulation requirierten die britischen Truppen die Pflege- und

             Kureinrichtungen als "Leave Centre" (Erholungszentrum) für Angehörige

             der britischen Rheinarmee. Zugang zur Nordseeinsel Norderney erhielten

             eine Zeit lang nur noch Personen mit einem Erlaubnisschein der britischen

             und kanadischen Militärverwaltung. Aus der ehemaligen deutschen "Solda-

             tenbühne" wurde die "Neue Bühne Norderney (NBN)". Offiziell war das NBN

             ein Tourneetheater, das aber in der Regel auf einheimische Kräfte und

             Künstler - unter anderem auch auf die Kriegsgefangenen der britischen

             Auffangzone 1 (Ostfriesland) zurückgriff.          

             Josef Peter Heinz (Jupp), Hansjörg Martin (Flippi) u. Karl Heinz Hofmann

             (Charli) besaßen solche Passierscheine und traten als Trio wohl regelmäßig

             in der "Neuen Bühne Norderney (NBN) sowie im Kurhotel "Kaiser Franz Josef"

             mit einem eigenen, musikalisch untermaltem Unterhaltungsprogramm auf. 

             Den Kontakt zu anderen Künstlern - vor allem zu den Bildenden Künstlern

             auf Norderney hielt Karl Heinz Hofmann (Charli), der schon früh Mitglied

             im "Künstler-Bund-Norderney (siehe Foto oben) war und im "Kunstsalon"

             in der Mittelstraße 3 verschiedene Ausstellungen der einheimischen Maler

             Poppe Folkerts, Julian Klein von Diepold, August Heitmüller und Paul Ernst

             Wilke mitorganisiert und betreut hatte.

             Dem Vernehmen nach soll es auch Karl Heinz Hofmann gewesen sein, der

             Ende 1945 seine beiden Bandkollegen mit dem Multitalent und "Tausend-

             sassa" Hans Trimborn bekannt machte.

             Anfang 1946 gründet Hans Trimborn bei einem seiner "Heimatbesuche" auf

             Norderney zusammen mit ihnen und den beiden Kollegen Herbert Dunkel

             und Heinz Kuth die Künstlergruppe "Wir Fünf". Wie lange diese Künstler-

             gruppe existierte, ist nicht ganz sicher. Möglicherweise wurde sie anfänglich

             zunächst als Musikcombo zum gemeinsamen Gelderwerb gegründet, doch

             schon bald wandelte sich der Focus innerhalb der Gruppe und die gemein-

             samen malerisch-gestalterischen Interessen traten in den Vordergrund.

             Hans Trimborn (1891-1979)

             Am 02.08 1891 in Godesberg geboren, studierte Hans Trimborn zunächst

             Medizin und arbeitete dann einige Zeit als Arzt. Den gesicherten Arztberuf

             gibt er allerdings nach kurzer Zeit zugunsten eines Studiums der Malerei

             und der Musik wieder auf. Er erweist sich als musikalisches Talent, wird ein

             glänzender Pianist, spielt einige Zeit als Solist klassisch-symphonische Musik

             und bewirbt sich 1919 auf eine angebotene Stelle im Norderneyer Sympho-

             nieorchester. Schon bald danach wird er offizieller Kapellmeister des Kur-

             orchesters in Norderney.

             Quasi nebenberuflich arrangiert Hans Trimborn erfolgreich eigene U-Musik,

             tritt zusammen mit seiner ersten Ehefrau in Konzerten auf, spielt im Rund-

             funk und untermalt an Sommerabenden die Stummfilme im örtlichen

             "Openair-Kino" mit virtuos improvisiertem Klavierspiel. Er gründet eine

             eigene vierköpfige Tanzkapelle, spielt in diesem Verbund überwiegend

             Klarinette und Lead-Saxophon und tingelt mit seiner Band durch die

             Tanzlokale und Hotelbars der Insel.

             Zusammen mit dem Bildhauer Bernhard Hoetger richtet er auf Norderney

             ein uriges Künstlerlokal ein, das als "Kiekbimutt" bekannt und wegen der

             dort intonierten Swingmusik unter den Künstlerkollegen zum Geheimtipp

             wird. Man trifft sich im "Kiekbimutt", diskutiert, raucht und trinkt seinen

             "Noodi" - einen klaren Schnaps. Zum "Kiekbimutt" gehörte auch eine

             Kunstgalerie (zum Kieken), über die Hans Trimborn seine eigenen male-

             rischen und grafischen Werke, wie auch die seiner Künstlerkollegen an

             Sammler und Kurgäste zu verkaufen gedenkt.

             In wirtschaftlicher und familiärer Hinsicht hat er allerdings wenig Fortune.

             Er ist kein Kaufmann, haßt als kreativer Kopf jeglichen Zwang und lang-

             fristig einschränkende persönliche Bindungen. Seine Ehen scheitern je-

             weils an neuen Amouren. Auch sonst ist er rastlos. Ständig schweben ihm

             neue Ideen und kreative Konzepte im Kopf herum.

             So "erfindet" er unter anderem eine Art neuer Tauschwährung, mit

             der (vor der Währungsreform) im "geschlossenen" System der Insel

             Norderney Produkte und Dienstleistungen ohne direkten Geldeinsatz

             untereinander "verrechnet" werden konnten. Eine kurze Zeit lang wird 

             diese (private) Tauschwährung - unterstützt von der Inselverwaltung -

             auch in der Bevölkerung benutzt.

             Von 1919 bis 1939 wohnt er in der Wilhelmstraße 12 auf Norderney. Mit

             Kriegseinbruch verläßt er die Insel und zieht nach Lüretsburg bei Norden,

             später mit seiner zweiten Ehefrau in ein neuerbautes Haus in Arle.

             Allerdings kehrt er der Insel nicht ständig den Rücken zu. Er kommt häufig

             zurück, um im Kundenauftrag diverse Privathäuser und Cafes auf der Insel

             auszumalen.

             Am 10.10.1979 verstirbt Hans Trimborn im Alter von 88 Jahren in Norden.

             Er wird auf dem örtlichen Friedhof beigesetzt. Heute ist das örtliche

             Heimatmuseum auf Norderney nach ihm benannt. Weitere Infos zur Vita

             von Hans Trimborn beinhaltet sein Künstlerprofil.

             Herbert Dunkel (1906-1966)

             Herbert Dunkel wurde am 14.11. 1906 als Sohn eines Berliner Stadtarchi-

             tekten, der als Kustos am Märkischen Museum in Berlin beschäftigt war,

             geboren. Schon früh weckte der Vater gezielt das künstlerische Interesse

             seines Filius, nahm ihn zu ärchäologischen Ausgrabungen mit, ließ ihn die

             Fundstücke zeichnen und erklärte deren kunst- und kulturhistorische

             Bedeutung. Über seinen Vater lernte der Jugendliche einige der bedeu-

             tensten Berliner Kulturwissenschaftler und Künstler ihrer Zeit- darunter

             Max Liebermann - kennen. Das prägte ihn. Was Wunder, dass Herbert

             Dunkel in der Folgezeit selbst freischaffender Künstler werden wollte.

             Seine diesbezüglichen Bemühungen um eine akademische Ausbildung

             scheiterten jedoch. Er machte statt dessen eine Lehre als technischer

             Elektrokonstrukteur bei Siemens und Telefunken in Berlin. Seine Arbeit

             war kriegswichtig, so dass er vom aktiven Wehrdienst freigestellt wurde.

             Nach der Kapitulation der Deutschen geriet er in sowjetische Kriegsgefan-

             genschaft, wurde aber nach fünf Monaten wieder entlassen und zog zur

             Familie seiner Frau - Hanne von Stipariaan - nach Norden (Ostfriesland).

             Hier betätigte er sich - unterstützt von der Familie seiner Frau - als frei-

             schaffender Künstler. Nach und nach engagierte er sich in der berufstän-

             dischen Vertretung seiner Künstlerkollegen, wurde Gründungsmitglied

             des Berufsverbandes Bildender Künstler (BBK) Nordwestdeutschland und

             leitete alsbald die Bezirksgruppe Ostfriesland. Er nutzte die Verbindungen,

             organisierte Kunstausstellugen und kümmerte sich um deren Finan-

             zierung durch die Militärverwaltung und verschiedene große deutsche

             Wirtschaftsunternehmen (Emdener Hafengesellschaft, Nordseewerke etc.).

             Mit seinem Verhandlungsgeschick, seiner Beweglichkeit und Kontaktfreunde

             räumte er so manchen Widerstand gegen eigene Kunstprojekte und die

             seiner Freunde zur Seite. Über seine intensive Auseinandersetzung mit der

             internationalen Kunstgruppe CoBrA fand er selbst zur expressiven Abstrak-             tion. Er prägte mit seiner Organisationserfahrung massiv die Arbeit der

             Künstlergruppe "Wir Fünf", die hauptsächlich auf dem Festland in Norden

             und Umgebung agierte, aber sich vorzugsweise in Norderney - vermutlich

             in Trimborns Künstlerlokal "Kiekemutt" traf. Herbert Dunkel wurde später

             Kunsterzieher am Gymnasium Ulricianum in Aurich. Am 08.12. 1966 ver-

             starb Herbert Dunkel infolge eines Verkehrsunfalls auf dem Wege von

             seinem Wohnhaus in Norden zu seiner Arbeitsstätte im Gymnasium

             Ulricianum im benachbarten Aurich.

             Heinz Kurth

             Über das fünfte Mitglied der Künstlergruppe "Wir Fünf" ist vergleichsweise

             wenig bekannt. In Künstlerverzeichnissen ist Heinz Kurth vereinzelt als ein

            "deutscher Grafiker des 20. Jahrhunderts" aufgeführt.

             Als Künstler war er überwiegend in Ostfriesland, vorzugsweise auf

             Norderney tätig. Sein Spezialgebiet waren historisch anmutende Stiche

             und Lithografien, die dem Geschmack der Kurgäste und der Badetouristen

             entsprachen. Heinz Kurth besaß eine kleine eigene Druckwerkstatt-

             statt auf Norderney. Hier fertigte er im Kundenauftrag Speise- und Ge-

             tränkekarten für die umliegenden Restaurants. Daneben nutzte er seine 

             Druckwerkstatt natürlich auch dazu, Zeichnungen auf Stein (Lithografien),

             präzise, fein ausgearbeitete Stahlstiche aber gelegentlich auch grobe

             Holzschnitte in kleinen Auflagen händisch abzuziehen und zu colorieren.                 Die Qualität seiner Werke läßt vermuten, dass er jahrelange Übung und

             Erfahrung im Druck solcher Grafiken hatte. Seine Motivwelt umfaßte

             typische Nordsee-Strandlandschaften sowie einzelne Sehenswürdigkeiten

             der Insel. Möglicherweise arbeitete Heinz Kurth - wie einige seiner Illus-

             trationen vermuten lassen, im Rahmen einer Festanstellung auch für einen

             deutschen oder einen niederländischen Reisebuchverlag (unbestätigt).

             Welchen Part Heinz Kurth im Rahmen der Künstlergruppe "Wir Fünf" spielte,

             ist unklar. Musikalisch war er eher ein Laie, spielte aber leidlich gut Mund-

             harmonika und Harmonium ("Quetschebüggel"). Als Künstlerkollege vertrat

             er schwerpunktsmäßig die handwerklich-praktische Komponente der Gestal-

             tungsarbeit. So kümmerte er sich in erster Linie um die Beschaffung und

             Bereitstellung des malerischen Werkzeuges und des Materials. (Pinsel,

             Farben, Papiere, Leinwände etc.) Tatsächlich war es kurz nach dem Krieg

             recht aufwändig, in ausreichendem Maße an "brauchbares" Künstlermaterial

             zu gelangen. Vieles war nur durch gute Beziehungen oder über den Schwarz-

             markt zu bekommen.

Heinz Kurth: "Norderney in der Vogelansicht" historisierende Lithografie (um 1945/46)

             Im Nachherein betrachtet, war die Künstlergruppe "Wir Fünf" wohl eher

             eine reine Zweckgründung, um sich gegenseitig zu helfen und bezüglich der

             Arbeitsorte, des Materialeinkaufes und der Vermarktung der Kunstwerke zu

             unterstützen. Ein gemeinsamer Auftritt der Künstlergruppe auf Ausstellun-

             gen läßt sich zur Zeit nicht belegen, wohl aber die unabhängige Ausstel-

             lungsteilnahmen einzelner Künstler aus der Gruppe.

             Leider liegen auch keine Aufzeichnungen darüber vor, ob das Ziel der

             Gründung eine gemeinsame stilistische Ausrichtung der Gruppe sein sollte.

             Sicherlich hat man viel voneinander gelernt und sich auch gegenseitig

             beeinflußt, aber im Kern blieb es dabei, dass jeder der beteiligten Künstler

             zur "Stunde 0" eine eigene Antwort auf die politischen, gesellschaftlichen

             und vor allem kulturellen Veränderungen der Nachkriegszeit - und damit

             einen individuellen eigenen Gestaltungsstil - finden mußte.

1947     Das Alltagsleben in Norden und Umgebung normalisiert sich zunehmend

             wieder. Die von den Briten in Ostfriesland eingerichtete Auffangzone I

             für Kriegsgefangene wird organisatorisch aufgelöst. Auch die Zugangs-

             beschränkung zur Insel Norderney wird aufgehoben. Das "Leave Centre",

             das bis dahin ausschließlich als Erholungszentrum für die Soldaten der 

             Britische Rheinarmee und deren Familien diente, öffnet seine Türen nun

             auch wieder für deutsche Gäste. Der Kurbetrieb nimmt allmählich wieder

             "Fahrt" auf. Noch ist die Versorgungslage in der Bevölkerung - bedingt

             durch eine grassierende Inflation - schwierig. Auf einen "Eisnotwinter"

             (- 23 Grad) folgt ein Wärmesommer mit Temparaturen zwischen 32

             und 35 Grad.

Livestyle in den Dünen von Norderney

             Max Schmeling, der beliebte Ex-Schwergewichts-Weltmeister leitet als

             Chairman und Ringrichter die erste große Boxkampf-Veranstaltung auf

             Norderney. 

             Erste Kunst- und Kulturveranstaltung werden nun auch von offizieller Seite

             für die Bevölkerung geplant und mit großem Erfolg durchgeführt:

             Im Mai 1947 findet die erste offizielle Nachkriegsausstellung zum Thema

             "Ostfriesische Landschaft" in Aurich und 2 Monate später in Wilhelmshaven

             statt.  Jupp Heinz ist an beiden beteiligt.

             Parallel dazu nimmt er einen Auftrag zur Ausmalung einer Kirche in

             Herbstein/Oberhessen wahr. Er verläßt das Gemeinschaftatelier und die

             Wohnung, die er mit seinem Künstlerlollegen "Flippi" in Norden teilte, um 

             sich in Herbstein einzuquartieren.

Jupp Heinz (rechts): Ausmalen eines Freskos in der Pfarrkirche von Herbstein/Hessen. Links auf der Leiter stehend: Der Malerkollege (Prof.) Hans Bauer; Die Ausschreibung und Auftragserteilung erfolgte durch das bischöfliche Ordinariat Mainz 1947

1948      Nachdem Jupp Heinz den Auftrag zur Kirchenausmalung in Herbstein ab-

              geschlossen hat, kehrt er in seinen Heimatort Binsfeld in der Eifel zurück.

              Die Geldentwertung der Reichsmark /Rentenmark nimmt beständig zu und

              droht, von einer galoppierenden Inflation (20% Geldentwertung) in eine

              Hyperinflation (mit mehr als 50% Geldentwertung pro Monat) über zu gehen.

              Am 20. Juni 1948 wird durch eine grundlegende Währungsreform die

              Deutsche Mark in den drei Westzonen eingeführt. Fast schlagartig hört

              der Schwarzhandel auf und die Ladenregale füllen sich auf einmal wieder

              mit neuer Ware. Das deutsche Wirtschaftswunder startet.

              Jupp Heinz durchlebt diese Zeit auf dem Hof seiner Eltern in Binsfeld. Die

              Zuzugs- und Aufenthaltbeschränkungen in den westlichen Besatzungszonen

              werden nach und nach aufgehoben. Jupp Heinz besucht von Binsfeld aus

              häufiger seine spätere Frau, Doris Berghäuser, die zusammen mit ihrer

              Schwester Lilli im elterlichen Wohnhaus in der Endenicher Allee 136 in Bonn

              wohnt. Die Berghäusers führen ein offenes, "kunst- und kulturaffines"

              Haus. Der Vater, seines Zeichens ein hervorragender Kammermusiker, ist in

              der "Musikstadt Bonn" gut vernetzt. Er legt Wert auf eine solide Ausbildung

              seiner Töchter.  Beide Töchter studieren. Doris studiert bei Professor Egon

              Eiermann (1904-1970) an der TH Karlsruhe Architektur und Design, Lilli

              studiert zunächst auf's Lehramt, wendet sich später aber dann der Kunst des

              Theaters und der Literatur zu (unbestätigt). Noch bis in den Beginn der 50-er

              Jahre ist die gesamte Kunstszene in Bonn - angesichts der erheblichen

              Zerstörunen im Stadtgebiet - durch Raummangel, fehlende Infrastrukturen

              und fehlende institutionelle Unterstützung durch die städtiche Verwaltung 

              geprägt.

Luftbildaufnahmen des zerstörten Stadtgebietes von Bonn. Links oben im Bild: die gesprengte alte Rheinbrücke, davor (mittig) Friedensplatz / Münsterplatz;  Im Bild recht: die Reste des Universitäts-gebäudes und des Hofgartens.

Carl Nonn: Universität Bonn (von der Hofgartenwiese aus gesehen) Öl/Lw; im Besitz der Stadt Bonn

1949      Kaum ein öffentliches Gebäude - sofern es nicht zwischenzeitlich durch die

              alliierte Militärverwaltung zwangsrequiriert wurde - ist heil geblieben.

              Relativ schnell bilden sich private Künstlerinitiativen und Arbeitskreise, die

              bei Stadt, Land und Kommunen (Bonn, Bad Godesberg, Beuel etc.) vorstellig

              werden und vor allem nach halbwegs geeigneten Präsentations- und Aus-

              stellungsflächen "rangeln".

              Die bildenden Künstler hat der Krieg besonders schwer getroffen, man lebt

              mehrere Jahre von Provisorien, stellt in kurzfristig zugewiesenen Foyer-

              räumen, in leergeräumten Klassenzimmern (während der Schulferien), in

              Behelfs-Barackenbauten, auf Kegelbahnen und in Kneipen aus.

Alter "Bonner Bürgerverein" Ecke Poppeldorfer Allee/Kronprinzenstraße. Der Bau diente nach dem Krieg städtischerseits als zentraler Ort für Theater-, Musik- und Festveranstaltungen. Im Keller befand sich eine Kegelbahn, die für Kunstausstellungen genutzt

              Einige Bonner Kneipen und Künstlerkeller (u.a. "die Kerze" etc.) erhalten

              als Anreiz, ihre Räume für Kunstausstellungen zur Verügung zu stellen, von

              der Stadt Bonn befristete Schankerlaubnisse. Erste Treffpunkte für die

              Bonner Künstlerschaft sind damit geschaffen. 

              Die Ausstellungsflächen müssen aber von den Malern und Bildhauern - man

              geht davon aus, dass diese handwerklich versiert sind - selber in "Schuß"

              gebracht werden. Andere Zuschüsse gibt es in der Regel nicht. 

Abb. links: Künstlerkeller "Zur Kerze", Königstr. 25     Abb. rechts: Kaufhof am Münsterplatz im Ausbau:

                Treffpunkt der Kreativen (Schauspieler,                        Der oberster Stock wurde interimsweise 

                Musiker, Poeten, Bildende Künstler etc.)                       für Ausstellungen bereitgestellt         

               Bonn als Musikstadt

              Der Musiker- und Schauspielergilde geht es in Bonn offenbar besser. Sie sind

              allgemein - wie städtischerseits unterstellt wird - weniger handwerklich

              begabt, arbeiten und musizieren in Ensembles und Teams, und können daher

              - wie auch schon vor dem Krieg - mit einer gewissen Fürsorgepflicht und

              einem stärkeren Kultur-Engagement der Stadt rechnen. Bonn wähnt sich

             - zum Ärger der bildenden Künstler - "mit Beethoven, dem großen Sohn der

              Stadt" schon immer als bedeutende Musikmetropole. Die bildende Kunst

              "läuft dagegen in punkto Förderung und öffentliche Unterstützung eher

              hinterher". Dem "Stadt-Titanen" Ludwig van Beethoven steht in Bonn

              höchstens August Macke und seine "rheinischen Expressionisten" gegenüber,

              die aber erst nachträglich als alternative Kunstrichtung zur "Deutschen Kunst"

              Anerkennung fanden. 

Die Entwicklung der bildenden Kunstszene in Bonn

"Aus der Not eine Tugend machen" 

              Vorläufer und Künstler der 1. Stunde 

              Schon vor dem 1. Weltkrieg gab es in Bonn, wie auch in Beuel und Bad

              Godesberg, lockere Zusammenschlüsse von bildenden Künstlern (und

              Künstlerinnen), die unter verschiedenen Bezeichnungen als lokale 

              Interessensgemeinschaften auf privater Basis geführt wurden. Vorläufer 

              des Bonner Künstlerbundes war unter anderem eine "Arbeitsgemein-

              schaft Bonner Künstler", die von dem Architekten und anatomisch-

              medizinischen Zeichenlehrer an der Universität Bonn (Prof.) Karl Menser

              initiiert und geleitet wurde. 

              1914 wird in Bonn der Bonner Künstlerbund auf Initiative von ursprüng-

              lich 7 Einzelkünstlern, darunter Karl Menser im Sinne einer gemeinsamen

              berufsbezogenen Interessensvertretung gegründet. (Die Eintragung als

              Verein erfolgte aber erst 1920). Bis 1937 wuchs der Verein auf 19 Vollmit-

              glieder und weitere 13 "assoziierte" Mitglieder an, die satzungsgemäß

              nach 3 Jahren erstmals das volle Stimmrecht in ihrer Berufsvertretung

              erhielten und damit auch offiziell als Bonner Künstler ausgewiesen und

              anerkannt wurden. Im Zuge ihrer Mitgliedschaft im Bonner Künstlerbund

              trafen sich unter der Leitung ihres gewählten Vorsitzenden Willy Stucke

              (sen) regelmäßig nachfolgende Künstler/innen, um Vorschläge, Planungen,

              Konzepte, Organisation und Ausstellungsprofile zusammen mit den Politikern

              und städtischen Bediensteten für eine geordnete städtische Kulturarbeit zu                    entwickeln und abzustimmen. Ein Resultat ihrer Arbeit war die Einrichtung

              und "Bespielung" eines städtischen Museums. Ein Gebäude an der Koblenzer

              Straße, das der Universitätsprofessor Obernier mitsamt seiner umfangreichen

              Kunstsammlung der Stadt Bonn vermacht hatte, dann lange Zeit für unter-

              schiedliche Zwecke (Orchesterproben etc.) benutzt wurde, ehe es zum

              "Städtischen Museum Villa Obernier" umgebaut und erweitert

              wurde. Im 2. Weltkrieg brannte die Villa Obernier komplett aus. Die Ruine

              wurde abgerissen und das Gelände für die Errichtung eines neuen Hotels

              (heute: Hotel Königshof) verkauft. 

 

              Die Bonner "Künstler der 1. Stunde" waren alle vor der Jahrhundertwende 

              geboren worden: 

 

              Carl Theodor Asen                 1872-1927

              Julius Bretz                           1870-1952

              Joseph Eugen Kerschkamp     1880-1945

              Elsa (Elisa)Krüger                  1882-1955

              Karl Menser                          1872-1929

              Ernst Meurer                         1884-1956

              Em Oeliden                           1875-1934

              Matthias Profitlich                  1898-1943

              Walter Rath                           1886-1935

              Willy Stucke (sen)                  1880-1952

              Hans Thuar                            1887-1948

              Paul Türoff                             1873-1942

              Louis Ziercke                         1887-1945

 

              Zu allen diesen Künstlern existieren auf treffpunkt-kunst.net entsprechende

              Profile, die jederzeit durch Anklicken aufgerufen werden können und aus

              deren Lebensläufen die Umstände und Arbeitsbedingungen der bildenden

              Künstler in Bonn ersichtlich sind.

 

Nationalsozialistische Gleichschaltung der Deutschen Kunst

             

              Im Zuge der 1933 per Gesetz durch die von Reichspropagandaminister 

              Göbbels eingerichteten und präsidierten Reichskulturkammer wurde die

              nationalsozialistischen "Gleichschaltung der Deutschen Kunst" vorange-

              trieben und alle bis dahin bestehenden selbständigen, freien und unab-

              hängigen Künstlerorganisationen und -vereinigungen per Dekret aufgelöst.

              Deren Mitglieder wurden in eine staatlich beaufsichtigte zentralen NS-Berufs-

              vertretung überführt. Fortan war für (arische) Künstler, die Mitgliedschaft

               in der Reichskammer der bildenden Künste verbindlich. (Siehe dazu

              auch das Kapitel: "Künstler in der NS-Zeit")

              1937 war die "Gleichschaltung der Deutschen Kunst" weitgehend abge-

              schlossen. Der ehemalige Bonner Künstlerbund e.V. (von 1920)

               wurde im selben Jahr entgültig verboten.

Nachkriegsentwicklung der Kunst in Bonn:                                  Die "Künstler der 2. Stunde"

              Knapp 10 Jahre später - nach dem Ende des 3. ("tausendjährigen") Reiches

              und der Zerstörung der Bonner Innenstadt durch alliierte Bomberkomman-

              dos (Abb. siehe oben) bemühte sich der renommierte Bonner Portrait- und

1946      Historienmaler Willy Stucke (senior) 1946/47 darum, den Bonner Künstler-

              bund auf freiwilliger Basis wieder aufleben zu lassen. Willy Stucke "reakti-

              vierte" einige seiner früheren Künstlerkollegen, um mit ihnen zusammen

              nach gemeinsamen Ausstellungs- und Verkaufsmöglichkeiten für Künstler

              in Bonn zu suchen. Faktisch konnte zu diesem Zeitpunkt kein Bonner

              Künstler - geschweige denn Künstlerin - ohne externe finanzielle Unter-

              stützung von der eigenen Kunstproduktion leben. Alle sahen sich nach ge-

              eigneten Nebenerwerbsmöglichkeiten um. Willy Stucke (sen) fungierte als

              Ansprechpartner und Mittler zwischen den Bonner Künstlerbund und der

              Stadt Bonn. Die Stadt versuchte - in der Regel vermittelnd - zu helfen, stellte

              u.a. zeitlich befristete Kunstvermittlungsjobs in Volksschulen, Gymnasien

              und Weiterbildungsstätten (VHS) sowie erste, provisorische Ausstellungs-

              räumlichkeiten in Schulbaracken, Kneipen und einem zwischenzeitlich im

              Ausbau befindlichen Kaufhaus (oberste Etage des Bonner Kaufhofes)

              sowie einigen Kellerräumen des damaligen Bonner Bürgervereins zur Ver-

              fügung. Nach und nach belebte sich - wenn auch auf sehr bescheidenem

              Niveau - die Bonner Künstlerszene wieder. Man hat überlebt, man organisiert

              sich, bildet private Diskussionsgruppen, um sich mit Kollegen auszutauschen.

              Und man feiert. Die mehr oder minder auf privater Initiative organisierten und

              verhältnismäßig üppig ausgestatteten "Künstlerfeste"- sind - dem Vorbild des

              Düsseldorfer Malkasten folgend, auch in Bonn legendär. 

Dekorentwürfe für das 1. Bonner Künstlerfest, später für das "Bunte Aquarium" (Karnevalsfeier SSF Bonn)

              Kreative Ideen, "lustig-spektakuläre" Austattungen, politisch-ironische aber

              auch frivol-erotische Motivumsetzungen werden sowohl von den Karnevals-

              vereinen als auch von Bonner Kneipen- und Restaurantsbesitzern für ihre

              Veranstaltungen nachgefragt. Neben "Malern" finden auch "Bildhauer" als

              Modelleure der karnevalistischen Umzugswagen Arbeit. Tatsächlich sorgt

              diese Form der künstlerisch-kreativen "Festkultur" in den Anfangsjahren für

              ein gewisses finanzielles "Grundrauschen" bei den beteiligten Bonner

              Kreativen. 

1949      Der Künstlerkreis um Willy Stucke's reaktivierten Bonner Künstlerbund

              wächst allmählich an. Willy Stucke (sen.) übergibt die Geschäftsführung des

              Vereins an seinen Sohn Willy M. Stucke (jun). Dieser arbeitet mit seinen

              Künstlerkollegen eine neue Vereinssatzung aus und beschließt - um einen

              ernsthaften Neuanfang zu dokumentieren - die Auflösung der alten

              Interessensvertretung und die Gründung der "Künstlergruppe Bonn".

              Jupp Heinz ist von Anfang an als Gründungsmitglied der "Künstlergruppe

              Bonn" mit dabei. Innerhalb der Künstlergruppe legt man Wert darauf, weder

              inhaltlich noch stilistisch festgelegt zu sein. Vielmehr will man der Vielfalt der

              Darstellungsstile und der individuellen Kreativität jedes einzelnen Künstlers -

              respektive jeder einzelnen Künstlerin - gerecht werden.

              "Wenn es eine Norm gibt, dann die, dass es keine Norm gibt"

              Zu den Mitgliedern und "Künstlern der 2. Stunde" in Bonn zählen unter

              anderem folgende Künstler:

 

              Willy Maria Stucke (jun)             1909-1987 (1. Vorsitzender)

              Herm Dienz                               1891-1980

              Hans (Juan) Dotterweich            1920-1988

              Joseph Fassbender                     1903-1974

              Martin Frey                               1907-1971

              Jupp Heinz                                1919-1999

              Otto Küppers                             1888-1985

              Carl Nonn                                  1876-1949

              Hann Trier                                 1919-1991

              Hans Trimborn                           1891-1979

              Schon früh bemüht sich die Künstlergruppe Bonn, Kontakte zu anderen 

              (überwiegend) rheinischen Künstlergruppen aufzunehmen und deren Mit-

              glieder als Gastkünstler vorzustellen und auftreten zu lassen.

              Insbesondere die ursprünglich externen - später zugezogenen Künstler

              Carl von Ackeren                      1906-1974  (Düsseldorf)

              Leo Breuer                               1893-1975  (Paris)

              Paul Magar                               1909-2000  (Nürnberg)

              Arno Reins                               1921-1985  (Köln)

              wurden nach kurzer "Probezeit" einflußreiche Vollmitglieder der Künstler-

              gruppe Bonn. 

 

              In den frühen Vereinsanalen (bis 1954) sind weitere Künstler- und Künst-

              lerinnen aufgeführt, bei denen aber nicht sicher ist, ob und wie lange sie

              der Künstlergruppe Bonn als Vollmitglieder angehörten:

              Hans Bauer; Otto Baumann, Hans Engels, Alfred Knott, Ilse Mai-Schlegel,

              Carlo Mense, Irmgard Michels, Pitt Müller, Helmuth Riemann, Walter Schöene-

              weg, Erika Voss und Josef Winter.

              Viele Möglichkeiten hatten deutsche Künstler zur "Stunde Null" nicht, kurz

              nach dem verlorenen Krieg einen fundierten Neuanfang zu wagen und

              darüber die knapp über 10-jährige Herrschaft der "Kunst des 3. Reiches"

              vergessen zu machen. Wo sollte eine Neuorientierung herkommen?

              Welche neuen Werte, welche Inhalte, welche Aufgaben und welche künst-

              lerische Stilausprägung sollte eine neue (Nachkriegs-) Kunst haben? Die

              "entartete" Kunst der NS-Zeit konnte (und wollte) man nicht so einfach

              wieder aufnehmen. Dass aber etwas grundlegend Anderes, etwas Freieres,

              etwas Grenzensprengendes und auch ästhetisch Revolutionäres in der

              bildenden Kunst geschehen mußte, war allen klar.

              Aber was? Natürlich schaute man sich - soweit das möglich war - erst einmal

              in der von Deutschland weitgehend abgekoppelten internationalen Kunst um

              und orientierte sich an dem, was dort motivmäßig und stilistisch als zeit-

              gemäß modern galt. 

Orientierung an französischer Kunst

              Anläßlich seines ersten Nachkriegsbesuches von Leo Breuer und seiner Frau,

              der Künstlerin Anne Wartenberger in Bonn hatte Jupp Heinz 1947 die Be-

              kanntschaft des Künstlerehepaars gemacht. Leo Breuer sah sich damals in

              einer besonderen "Vermittler- und Moderatorenrolle" zwischen der noch

              stilistisch suchenden deutschen und der modernen, zeitgenössisch-franzö-

              sischen Kunst, deren konstruktiv-abstrakte Bildwelten er bei Auguste Herbin

             (1882-1960) und dessen "Abstract-Creation"-Bewegung kennengelernt hatte.

              Eigene abstrakte Gemälde stellte Leo Breuer erstmals im Rahmen des 1.

             "Salon des Realites Nouvelles" (SN) in Paris aus. In den Folgejahren wurde

              Leo Breuer zum Vorstandsmitglied des SN-Trägervereins, zu dessen Aus-

              stellungskurator, zum Publizisten und Archivar bestellt. In dieser Funktion

              reiste Leo Breuer viel herum, schloss Freundschaften und Kontakte vor

              allem zu deutschen und französischen Kunstvereinen, aber auch zu inter-

              nationalen Ausstellungsmachern, sofern diese planten, vergleichende

              Überblicke zur Situation, zu den Trends und den aktuellen Strömungen in der

              deutschen und der französischen Kunst für ihr Publikum aufzuarbeiten. Seine

              vielfältigen Kontakte sowie die selbsterwähle "Mittlerrolle" machten Leo

              Breuer weit über Bonn hinaus auch als selbständigen Künstler bekannt. 

1949       Jupp Heinz und Doris Berghäuser heiraten am 24. Juni 1949 in Bonn

              Jupp Heinz übersiedelt von Binsfeld in der Eifel in das elterliche Wohnhaus

              seiner Ehefrau in die Endenicher Allee 136 nach Bonn.

              Leo Breuer wohnt, sofern er sich mit seiner Frau Anne Wartenberger

              in Bonn aufhält, praktisch "in Rufweite" in der Bonner "Thalstraße", einer

              Querstraße zur Endenicher Allee (heutige Alfred-Bucherer-Str.), wo die

              Breuers im Dachgeschoß - sehr bescheiden - ein kleines, kombiniertes

              Künstleratelier bewohnen. Leo Breuer wechselt nun häufiger zwischen

              seinen Ateliers in Paris und Bonn. Er tritt dem "Künstlerbund Bonn" sowie

              der späteren "Bonner Künstlergruppe" bei. Fast täglich treffen sich Jupp

              Heinz und der 26-Jahre ältere Leo Breuer, diskutieren aktuelle künstle-

              rische Entwicklungen und tauschen Ideen, Projektentwürfe und mögliche

              Umsetzungen miteinander aus. Darüber ergibt sich eine lebenslange,

              enge Freundschaft zwischen Jupp Heinz und Leo Breuer.

              Da Jupp Heinz fließend französisch spricht und zudem auch sein musika-

              lisches Unterhaltungstalent "in die Waagschale werfen" kann, läd Leo Breuer

              seinen jungen Freund nach Paris ein und führt Jupp Heinz vor Ort in die Ge-

              dankenwelt der Pariser Künstlerverbindung "Abstraction Creation" ein.

              (Jupp Heinz kennt Paris und viele der dortigen Museen noch aus der Zeit,

              als er im besetztem Paris als Luftwaffenrekrut zum Luftbildaufklärer ausge-

              bildet wurde).

Das Umfeld Leo Breuers in Paris 

              Die neuen Kontakte, die Leo Breuer seinem jungen Freund Jupp Heinz bei

              seinen Besuchen im "quirlig-freien" Paris verschafft, prägen ihn und er fühlt

              sich damit in gewisser Weise auf eine für ihn neue "abstrakt-figurative

               Schiene" gesetzt. Er lernt  Auguste Herbin (1882- 1960) persönlich

              kennen, ist auf Anhieb fasziniert von dessen Persönlichkeit, seinen künstle-

              rischen Ideen und seiner anthroposophisch "angehauchten" Philosophie.

              Intuitiv merkt Jupp Heinz, dass er Herbins in den 40-er Jahren entwickeltem

              "alphabet plastique" inhaltlich "hinterherhinkt". Er beschäftigt sich in der

              Folgezeit analytisch mit Herbins Regelwerk der reinen Farbtöne, der geome-

              trischen Formen und Muster, sowie der Symbolbasis von menschlicher Kom-

              munikation, von Musiknoten, Buchstaben und Schriftsystemen. 

 

              Hintergrund und Struktur des "alphabet plastique"      

Auguste Herbin: Basiselemente des "alphabet plastique"

              Auguste Herbin definiert zunächst einen

              fünfteiligen Satz von geometrischen                        Grundformen (Kreis, Dreieck, Halbbogen,

              Quadrat u. Rechteck). Diesen Formen

              ordnet er sechs Volltöne des Goethe'schen

              Farbkreises zu. (rot, orange, gelb, grün,

              blau und violett). Jede Farbe entspricht

              einem Buchstaben. Die weiteren Buch-

              staben des Alphabets werden durch

              die "Mischzwischenfarben" des Goethe'-

              schen Farbkreises codiert. Auch die un-

              bunten Farben Schwarz und Weiß entspre-

              chen jeweils einem Buchstaben). Somit

              beinhaltet jedes abstrakte Werk "ver-

              steckt" eine Aussage als Konklomerat von

              Buchstaben. Doch ob und wie diese Aus-

              sage zu entschlüsseln ist, entzieht sich der

              tradierten - normal üblichen Lesart, Wörter

              und Sätze aus einer Abfolge von Schrift-

              zeichen zusammenzusetzen. Beim

              "alphabet plastique" bilden sich Wörter

              und Sätze ausschließlich aus dem Mit-

              einander geometrischer Grundformen

              und Farben. Deren gezielte Entschlüsselung muss von dem Betrachter erst

              erlernt werden. Ein Prozeß, der wie das Lesen von Buchstaben auf Determi-

              nanten wie dem Erkennen von Schriftzeichen und Schriftsymbolen beruht,

              sich nun aber (alleinig) auf die Interpretation von geometrischen Formen

              und zugehöriger Farben bezieht. Jedes abstrakte Bild Herbins bekommt auf

              diese Art eine verschlüsselte inhaltliche Aussage, die auch als Werktitel gelten

              kann.

              Gleichzeitit geht Auguste Herbin noch einen Schritt weiter, indem er auch

              die auditive Dimension im Sinne von Tonfolgen und Melodien in sein Regel-

              werk übernimmt. Wie Buchstaben und Schriftzeichen, können die Farben

              geometrischer Grundfiguren parallel auch die Zusammensetzung und Abfolge

              von Tönen (Do, Re, Mi, Fa, So, La, Ti, Do) codieren. Letztendlich bedeutet

              dies, dass abstrakte Bildwerke auch als musikalische Akkorde (mit Ober-

              und Untertönen) oder als Melodieabfolge (Teaser) entschlüsselt werden

              können. Somit kann jeder Werktitel auch rein melodisch beschrieben

              werden.  

Auguste Herbin: Entschlüsselungsschema für Farben, Buchstaben und abstrakt-geometrischen Bildelemente

              Nach und nach ist Jupp Heinz in der Lage, die aktuellen Werke von Auguste

              Herbin zu entschlüsseln und zu "lesen".  Die abstrakt-konfigurativen Werke

              bekommen für ihn weit über ihre oberflächliche Erscheinung hinaus eine in-

              haltliche und/oder musikalische Bedeutung. Jedes Bild repräsentiert für ihn

              ein eigenes Universum. In gewisser Weise interpretiert Jupp Heinz dies als

              die ureigenste "Seele" eines Bildes. 

Auguste Herbin: Werkbeispiele aus den Jahren 1947 bis 1952 unter Anwendung des "alphabet plastique"

              Ob der (väterliche) Freund von Jupp Heinz - Leo Breuer - die Werke von

              Auguste Herbin ähnlich gut lesen konnte und sich die beiden Künstlerkollegen

              bei der Analyse des Herbin'schen Regelsystems (alphabet plastique) vor Ort

              gegenseitig unterstützten, steht zu vermuten. Ein Bild, das Leo Breuer aus-

              drücklich als "Hommage an Auguste Herbin" bezeichnet hatte, legt dies nahe. 

Leo Breuer: "Composition" (Hommage an Auguste Herbin) 1949

              Auguste Herbin (1882-1960)

              Auguste Herbin erblickt am 29.04.1882 als Sohn eines Schlossers im kleinen

              Ort Quievry (an der französisch-belgischen Grenze bei Cambrai) das Licht der

              Welt. Zwei Jahre lang - von 1899 bis 1901 - studierte er Malerei an der Ecole

              des Beaux-Arts in Lille. Offensichtlich kam er mit dem "schulischen Drill"

              während des Grundstudiums "nur bedingt gut" zurecht (Aktzeichnen von

              Modellen, Zeichnen von Gipsabdrücken griechischen Götterstatuen, Natur-

              studien (Wurzel, Blattwerk, Fauna und Flora), perspektivische Architektur-

              zeichnungen etc.) Dies alles reizte ihn nicht so richtig und auch für die Ver-

              mittlung kunstgeschichtlichen Wissens war er "wenig empfänglich". Kurzer-

              hand beendet er aus eigenen Stücken seine akademische Ausbildung. Ihn

              zog es "mit Macht" nach Paris. Um der Einberufung in die französische Armee

              zu entgehen, "flüchtete" er ab 1901 mehrfach in's belgische Brügge.

              Hier nahm er erste künstlerische Kontakte auf und "kopierte" - mehr oder

              minder zu Übungszwecken - die Werke zeitgenössischer Maler, vor allem von

              Impressionisten. Er hält innerlich Abstand von jeder festgefahrenen Kunst-

              richtung, versucht, sich - weil mittellos - als Avantguarde-Künstler bekannt

              zu machen und stellt erstmals 1905 seine Werke im Salon des Independants

             - dem Gegenstück zum offiziellen Pariser Salon - aus. Wie viele seiner zeit-

              genössischen Künstlerkollegen steht er politisch links und tritt der kommu-

              nistischen Partei bei. Anläßlich einer Ausstellung im Salon d'Autonome

              1907 begegnet er Juan Gris und ist von dessen kubistischer Malweise nach-

              haltig beeindruckt. Auf Vermittlung von Jan Gris zieht er 1909 in das Bateau-

              Lavoir, ein ärmlicher, verwahrloster Atelierkomplex auf dem Montmartre in

              der Rue Raviguan 13, Paris. 

Bateau-Lavoir, Atelierkomplex mit 18 Einzelateliers auf dem Montmartre in Paris

              Hier "haust" und residiert eine Clique von 18 damals noch völlig unbekann-

              ten Künstlern und Künstlerinnen mit ihrem Anhang, darunter Pablo Picasso,

              Amadeo Modigliani, Juan Ris und viele "im Leben gescheiterte" Existenzen.

              Auguste Herbin ist nun unter ihnen, experimentiert mit verschiedenen,

              zunehmend abstrakteren Malweisen und festigt seinen Ruf, ein Avanguarde-

              Künstler zu sein. Als solcher wird er unter anderem in die Sonderbund-

              ausstellung 1912 nach Köln eingeladen. 1916 schließt er einen Exklusiv-

              vertrag mit der Galerie "L'Effort Moderne" von Leonce Rosenberg ab. Der

              Galerievertrag sichert ihm eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit und

              bringt ihm in den Folgejahren durch jährliche Einzelausstellungen einen

              höheren Bekanntheitsgrad ein. Seine Arbeiten finden nun auch international

              Beachtung. Seine Werke sind in London, Brüssel, Lüttich, Amsterdam, Düssel-

              dorf, Köln, Kopenhagen und New York zu sehen.

              Neben der stetigen Weiterentwicklung seiner eigenen Malerei widmet

              Auguste Herbin sich zunehmend dem theoretischen Unterbau der male-

              rischen Abstraktion und schon bald avanciert er zum anerkannten Organi-

              sator der diesbezügichen französischen Avanguarde-Bewegung. 

              Im Frühjahr 1931 gründet Auguste Herbin  - zusammen mit Georges

              Vantongerloo - den Künstlerverbund "Abstraction-Creation". Er gibt die

              Szenezeitschrift: "Abstraction creation, art non figurativ" heraus, hinter

              der sich als Manifest nahezu alle seine ungegenständlich malenden fran-

              zösischen Künstlerkollegen versammeln. Die Bewegung wird schnell inter-

              national.  Künstler wie Kandinsky, Kupka, Mondrian, van Doesburg, Sonja +

              Robert Delaunay, Hans + Sophia Arp, Pevsner, Schwitters, Baumeister, El

              Lissitzky, Alexander Calder, Fontana, Max Bill (und viele andere) erklären

              ihren Beitritt und schließen sich der Bewegung an. Am Ende zählt die Bewe-

              gung über 400 Personen. Darunter auch Leo Breuer.

              Auguste Herbin erfindet ab 1942 sein "Alphabeth plastique" (siehe oben)

              und setzt sich damit in seiner ganzen Radikalität an die Spitze der abstrakten,

              nonfigurativen Malerei. 1946 gründet er den "Salon des Realite Novelles",

              dessen Vorsitz er später auch übernimmt. 1953 ereilt ihn ein Schlaganfall, in

              dessen Folge er halbseitig rechts gelähmt ist. Er malt aber "mit linker Hand"

              unermüdlich weiter. Am 31.01.1960 verstirbt Auguste Herbin in Paris. Er wird

              in LeCateau-Cambresis begraben.  

1950      Jupp Heinz sieht sich in Bonn nach einer Nebenerwerbsstelle um. Auf

              Empfehlung von Willy M. Stucke bewirbt er sich als "Dozent für

               Modellierung und Aktzeichnen" an der Volkshochschule (VHS) Bonn

              und wird angenommen. Diesen Job nimmt er - teilweise mit längeren

              Unterbrechungen - bis 1998 wahr. 

1953      Zwischendurch zieht es Jupp Heinz zu mehreren längeren Aufenthalten zu

              seinem Künstlerfreund Flippi - Hansjörg Martin - nach Norden. Zusammen

              mit ihm aquiriert er dort malerische und bildhauerische Aufträge zur architek-

              tonischen und dekorativen Ausstattung des Kurhauses Norden, zur Über-

              arbeitung und Restaurierung von kriegsbedingt "vernachlässigten" Skulpturen

              und Plastiken im ostfriesischen Raum sowie zu eventbezogenen Ausstattun-

              gen von Umzügen und Stadtfesten ("Rheinische Abende"). Zudem beteiligt

              er sich an externen Grafikwettbewerben und Ausschreibungen im Rahmen

              der staatlichen "Kunst-am Bau-Förderinitiative".

              Die Arbeiten müssen aquisitorisch erfolgreich gewesen sein und zu einer

              "verhältnismäßig nachhaltigen Konsolidierung" seines Einkommens ge-

              führt haben. Eine Zeit lang überlegt Jupp Heinz, sich - zusammen mit

              Hansjörg Martin (Flippi) - mit einer eigenen "Eventagentur" in Aurich, Norden

              oder Norderney selbständig zu machen. 

 1955     Die Geburt und damit die Fürsorge für seine Tochter Gabriele leitet bei Jupp

              Heinz eine gewisse Umorientierungs- und Klärungsphase ein. Neben der 

              "freien" Kunst und deren künstlerisch-kreativen Weiterentwicklung erhält

              ein gesicherter und fest-einplanbarer Lebensunterhalt für sich und seine

              Familie nun zunehmende Bedeutung. Von 1955 bis zu seiner "Verrentung"

              1982 nimmt Jupp Heinz eine Stelle als festangestellter Grafikdesigner

              bei einer der großen Werbeagenturen in Düsseldorf (Dr. Hegemann) an.

              Er wird als Layouter, Illustrator und Werbemittelgestalter (Leporellos,

              Prospekte, Verkaufsinfos etc.) eingesetzt. Um ein tägliches Pendeln zu

              vermeiden, mietet er in Düsseldorf eine Wohnung. Er sieht seine Familie

              in der Regel an arbeitsfreien Wochentagen sowie an den Wochenenden.