Jupp (Josef Peter) Heinz (1917 - 1999)
aktueller Status: 04.02.2025
An dieser Stelle soll nach und nach das Künstlerprofil von Jupp Heinz entstehen. Die entsprechenden Recherchen zu seinem Lebenslauf und seinem künstlerischen Werk haben begonnen. Neben den umfangreichen Angaben in dem bereits duch seine Tochter Gabriele (geborene Heinz) und deren Mann Volkmar Kramarz erstellten Internetauftritt unter www.jupp-heinz.de sollen weitere durch persönliche Interviews eruierte Angaben den Lebenslauf dieses veritablen Bonner Künstlers dem interessierten Leser näherbringen. Mein besonderer Augenmerk ist dabei auf die sozial-gesellschaftlichen, aber auch die wirtschaftlich-politischen Rahmenbedingungen der Zeit gerichtet, die den Künstler (und seine Kunst) geprägt haben. Wer den Künstler und/oder seine Künstlerkollegen und Freunde persönlich gekannt hat oder
relevante Werke von ihm besitzt, wird gebeten, sich gegebenenfalls per eMail beim Autor unter www. me.huemmer@web.de (Stichwort: Jupp Heinz) zu melden. Ich bin für jeden ergänzenden Tipp und Hinweis dankbar.
Michael Hümmer
Familie und Kindheit
1917 Am Sonntag, den 14.01.1917 erblickt Jupp Heinz als
viertes von insgesamt fünf Kindern des Ehepaares
Peter und Anna Heinz - geborene Irmen - in dem
Eifeldorf Binsfeld das Licht der Welt. Der Knabe wird
in der katholischen Pfarrkirche Sankt Georg auf den
Namen Josef Peter Heinz getauft. Binsfeld - unweit
der heutigen US-Airbase Spangdahlem in der Eifel
gelegen, - wird dem Landkreis Bernkastel-Wittlich zu-
gerechnet. Zum Zeitpunkt von Jupp Heinz Geburt 1917
zählt der Ort nominell - die zum Dienst an der Waffe
rekrutierten Soldaten mitgezählt - knapp 1000 Seelen.
Die Eltern von Jupp Heinz bewirtschaften in Binsfeld
einen Bauernhof. Sie sind nicht vermögend, produ-
zieren aber nahezu alle Lebensmittel auf ihrem Grund
selbst und halten daneben als Selbstversorger auf
dem Hof auch Haustiere und eigenes Vieh. Man hat kaum Bargeld zur Ver-
fügung, lebt überwiegend durch Realtausch und verkauft, sofern Geld für
Anschaffungen benötigt wird, die übrig gebliebenen eigenen bäuerlichen
Erzeugnisse auf den lokalen Märkten in Bernkastel und Wittlich. Kriegsbe-
dingt waren bereits 1916 Getreideprodukte, vor allem Brot, durch das
Deutsche Kriegsernährungsamt strikt rationiert worden; Fleisch- und Wurst-
waren fehlten fast völlig. Steckrüben wurden zum wichtigsten Nahrungsmittel
in breiten Kreisen der städtischen Bevölkerung. Die katastrophale Ernäh-
rungslage führte 1916/1917 zum berühmten "Steck- bzw. Kohlrübenwinter"
und zur Hungersnot. Behördlicherseits zugeteilte Lebensmittel hatten durch-
schnittlich nicht mehr als 1000 kcal. Das reichte vorne und hinten nicht zu
einem "satten" Leben. Zwangsläufig nahmen Hamsterfahrten und Schwarz-
marktgeschäfte zu. Zwischen 1914 und 1918 starben etwa 800.000 Menschen
in Deutschlands Städten. Die Landbevölkerung hatte es da vergleichsweise
gut, sofern sie - wie die Familie Heinz - eigenen Grund und Boden bestellte.
Natürlich muß Jupp Heinz, ebenso wie seine Geschwister, in der Folgezeit im
Rahmen ihrer Möglichkeiten auf dem Hof mitarbeiten.
In der Eifel gilt für landwirtschaftliche Betriebe die sogenannte Höfeordnung.
Eine rechtlich verbindliche Regelung, die auf die Vererbung und ungeteilte
Weiterführung eines Hofes in der Hand eines einzigen Erben - in aller Regel
des jeweils ältesten Sohnes einer Familie - abzielt. Damit soll eine Zerstücke-
lung des Grund und Bodens, wie sie nach der sonst im Erbschaftsrecht allge-
meingültigen Realteilung unweigerlich eintreten würde, vermieden werden.
Die nicht bedachten Kinder und Erben haben ihrerseits einen Anspruch auf
Abfindung. Diese kann in rein finanzieller Form oder durch andere Formen
von Vergütungen, wie die Finanzierung einer weitergehenden Lehr- oder
Studienausbildung - beziehungsweise bei Mädchen - durch eine entspre-
chende dingliche Aussteuerausstattung sowie im Falle einer (auswärtigen)
Verheiratung durch Haushaltungszuschüsse etc. vorgenommen werden.
Sind nur unzureichende finanzielle Mittel für eine Abfindung vorhanden,
haben die nachrangigen Erben das Recht, auf dem Hof angestellt zu werden
und dort auch wohnen zu können.
Für Jupp als zweitgeborenen Sohn hat die Familie eine "gehobene" Ausbildung
vorgesehen. Er soll es später - unabhängig vom Hof - "zu etwas bringen",
also einen auskömmlichen und angesehenen Beruf ergreifen, der es ihm
ermöglicht, einen eigenen Beitrag zur späteren Sicherung und Unterstützung
der Familie zu leisten.
Der Druck, die Erwartungen der Eltern zu erfüllen und etwas Nachhaltiges für
die Familie leisten zu müssen, prägt schon früh den Jungen.
Schulausbildung
1923 Zu Ostern 1923 wird Jupp Heinz in die katholische Volksschule Binsfeld
eingeschult. Schon während der Schulzeit fällt sein ausgesprochenes
Zeichentalent auf. Das Gen für seine künstlerisch-musische Begabung hat
Jupp Heinz wohl aus der Familie (Irmen) mütterlicherseits erhalten. Zunächst
weitgehend autodidaktisch durch "Abzeichnen und Nachempfinden" von
Kunstwerken - später auch von Nuturvorlagen - angeeignet, erprobt er schon
relativ früh verschiedene Mal- und Zeichenstile. Nach dem 4. Schuljahr wird
dann im regulären Kunstuntericht der Umgang mit Pinsel und einem Kasten
Wasserfarbe eingeübt. Jupp nutzt dies, um sein "Farbempfinden" zu schulen.
Nach und nach erschließt er sich - wohl noch überwiegend intuitiv - durch
praktische Übungen das Feld der additiver Farbmischungen, Farbstufungen,
Farbkontraste etc. Er legt eine Zettelsammlung mit gesammelten Werken an
und nutzt erstmals für seine Übungszeichnungen auch ein Skizzenbuch.
Acht Jahre nach seiner Einschulung wird er mit einem guten Abschlußzeugnis
aus der Volksschule Binsfeld entlassen.
Jupp Heinz: frühe Aquarelle - Ansichten seines Heimatortes Binsfeld in der Eifel.
(Zur Vergrößerung bitte auf die Abbildungen klicken)
1931 Ausgestattet mit Empfehlungen seiner Schullehrer und des Pfarrers der
katholischen Pfarrkirche St. Georg wechselt der 14-jährige Jupp Heinz von
Binsfeld in die rund 180 Straßenkilometer entfernte Steyler Missions-
Klosterschule St. Josef in Geilenkirchen (bei Aachen). Das Gymnasium mit
angeschlossenen Internat, das als "Anstalt für Spätstudierende" geführt wird,
vermittelt seinen Schülern neben der gymnasialen Ausbildung auch eine
handwerklich-werkstattorientierte Vorbereitung für spätere katholisch-
christliche Missionstätigkeiten im außereuropäischen Ausland. Für Missions-
tätigkeiten ist die Beherrschung fremder Sprachen elementar wichtig. Wie
sich zeigt, besitzt Jupp Heinz neben seiner künstlerisch-musischen Begabung
auch ein besonderes Sprachtalent. Neben Latein und (Alt-)Griechisch, be-
herrscht Jupp Heinz schon bald die englische und französische Sprache so
gut, dass er einigen seiner Mitschülern (gegen entsprechendes Taschengeld)
Nachhilfeunterricht geben kann. Zudem lernt er aus eigenem Antrieb Klavier,
Gitarre und autodidaktisch auch Flöte und Mundharmonika zu spielen. Offen-
sichtlich hätte er auch ein guter Entertainer werden können.
1934 Allerdings drängt es den heranwachsenden Jugendlichen zum Leidwesen
seiner Lehrer nicht besonders zur Missionsarbeit. Ihm ist die Kunst (und
auch die Kunstvermittlung) wichtiger. Da kann er kreativ sein, kann sein
eigenes Potenzial erkunden und auch persönlich freier und ungezwungener
agieren. Natürlich ist seine künstlerische Motivwelt in der Steyler Missions-
Kosterschule von der klassischen Kirchenkunst geprägt. Neben der Ver-
mittlung christlich-ikonografischer Hintergründe und jahrhundertelang
tradiertet Symboliken in der bildlichen Ausprägung biblischer Motive, werden die Missionsschüler im Kunstunterricht dazu angehalten, sich auch aktiv und
selbstständig mit der Erstellung von Kirchengemälden und Fresco-Wand-
malereien auseinanderzusetzen.
Das trifft bei Jupp Heinz auf fruchtbaren Boden.
Jupp Heinz fühlt sich in seinem gestalterischen Talent gefordert. Er wird
von seinen Lehrern zudem mit den Techniken der Bildhauerei, insbesondere
mit der Holzschnitzerei, vertraut gemacht. In den Werkstätten der Missions-
schule erhält er die Gelegenheit, die Holzschnitzkunst zu erlernen und eigene
Holzskulpturen, Friese und Motivreliefs mit christlicher Ikonographie zu
schnitzen.
Die künstlerische Auseinandersetzung mit alter als auch mit zeitgenössisch-
moderner Kirchenkunst fasziniert Jupp Heinz. Sein Entschluß, bildender
Künstler zu werden, festigt sich zunehmend.
Studienausbildung
1936 Jupp Heinz bewirbt sich um ein Studium der Malerei
und Bildhauerei an der Kunstgewerbeschule Trier.
Diese ist in den Bereichen Kirchenkunst und Kirchen-
architektur traditionell eng mit dem katholischen Bis-
tum in Trier verbunden. Als Voraussetzung für den
Besuch der Kunstgewerbeschule Trier gilt ein erfolg-
reicher Schulabschluss mit mindestens dem Testat
der "mittleren Reife" sowie eine abgeschlossene Lehr-
ausbildung in einem künstlerisch-gestalterischen Be-
ruf. Alternativ für die praktische Ausbildung wird auch
die formale Studienempfehlung sowie ein fachliches
Gutachten eines anerkannten Meisters im angewand-
tem Kunstgewerbebereich akzeptiert. Unabhängig da-
von wird jeder Bewerber einer dreitägigen Aufnahme-
prüfung vor Ort in der Kunstgewerbeschule unter-
worfen. Dabei ist in der Regel eine Werkmappe vorzulegen, anhand derer
eine Aufnahmekommission das grundsätzliche Gestaltungstalent, die indivi-
duelle Kreativität und die bereits vorliegende Erfahrungen und Kenntnisse
der Studienbewerber feststellen kann.
Als Absolvent einer Missions-Klosterschule mit eigener Handwerker-Ausbil-
dungswerkstatt hat Jupp Heinz keine Schwierigkeiten, auf Vermittlung seiner
Ausbildungs-Padres zu einem Kunststudium an der Kunstgewerbeschule Trier zugelassen zu werden.
Wie damals üblich, gliedert sich das in der Regel nach dem Modell von
Kunstakademien ausgelegte, 8-semestrige Werkkunststudium in ein Grund-
studium und ein weiterführendes angewandtes Fachstudium auf. Im vier-
semestrigen Grundstudium werden - meist im übergreifenden Klassen-
verband - die grundlegenden künstlerischen Fertigkeiten (Entwurfstechniken,
Zeichnen, Malen, Farbgestaltung, plastisches Gestalten etc.) und begleitend
dazu das Fach Kunstgeschichte, in Theorie und Praxis vermittelt. Im an-
schließenden Fachstudium wird dann dieses Basiswissen in individuellen
Übungen und Seminaren, projektspezifisch - entsprechend der jeweils ge-
wählten Vertiefungsrichtung - ausgebaut. Das Fachstudium ist im allge-
meinen deutlich "freier" ausgelegt. Im Idealfall dient es dazu, neben der
spezifisch fachlichen Vertiefung auch die Persönlichkeitsentwicklung der
Studenten als eigenständige kreative Künstler zu entwickeln. In der Regel
endet das Studium mit einer Abschlußarbeit (Meisterarbeit), über die ein
abschließendes Testat der Professoren im Sinne eines "Akademiebriefes"
oder eines qualifizierten "Meisterbriefes" erstellt wird.
Parallel zu seinem Studium an der Kunstgewerbeschule schreibt sich Jupp
Heinz auch an der Trierer Hochschule für Lehrerbildung ein. Offensichtlich
kommt er damit dem Wunsch seiner Eltern entgegen, dass aus ihrem Sohn
im späteren Leben einmal "etwas Ordentliches" - möglichst ein Lehrer -
werden soll.
1939 Zum Wintersemester 1939/40 wechselt Jupp Heinz an die Kölner Werk-
schulen, um in der dortigen Meisterklasse bei Prof. Wolfgang Wallner
(1884 - 1950) das Fach Plastik/Bildhauerei weiterstudieren und ab-
schließen zu können.
Jupp Heinz in der Kölner Werkschule, Fachklasse Bildhauerei; rechts: Abschlussarbeit 1940
(Zur Vergrößerung bitte auf die Abbildung klicken)
Unmittelbar nach der Machtergreifung Hitlers am 30.01.1933 beginnt die
Gleichschaltung der "Deutschen Kunst", deren staats-organisatorische
Basis von Joseph Göbbels durch das Reichskulturkammergesetz am
22.09.1933 geschaffen wurde (Siehe Kapitel: "Künstler in der NS-Zeit")
Dieses Gesetz hatte in der Folgezeit gravierende Auswirkungen insbe-
sondere auf die Ausbildung von Künstler und Künstlerinnen, entbrannte
doch unter den Professoren ein Richtungs- und Flügelkampf zwischen den
Vertetern einer freien, "internationalen" Kunst und den Vertretern einer
arisch-völkischen - eben einer spezifisch "Deutschen Kunst" nach den
Vorstellungen Hitlers und der Nationalsozialisten. Im Zuge dieser Aus-
einandersetzungen wurden viele Professoren und Dozenten mehr oder
minder zwangsweise mit der Begründung, "entartete Kunst" zu betreiben
und zu lehren, ihrer Ämter enthoben.
1936/37 ist die organisatorische Gleichschaltung der Deutschen Kunst
im Sinne einer "nationalsozialistisch geprägten Volkskultur" weitgehend
abgeschlossen. Nur diejenigen Künstler, die als Mitglieder der Reichs-
kammer der Bildenden Künste - nunmehr die einzige legitime Berufs-
vertretung für Maler und Bildhauer - registriert sind, erhalten fortan
staatliche Förderungen, öffentliche Aufträge und Ausstellungsmöglich-
keiten im deutschen Kunsthandel. Letztentlich bedeutet der systematische
Entzug der wirtschaftlichen Grundlage ein Berufsverbot für alle "unorga-
nisierten", "nicht-arischen" und "entarteten" Künstler.
Viele der Lehrkräfte an deutschen Ausbildungsstätten weichen in die
politisch unbedenkliche Landschafts- und Portraitmalerei (Naturalismus)
aus, gehen in eine "innere Emigration" und meiden jegliche kritisch-
thematische Auseinandersetzung mit politisch-sozialen Themenstel-
lungen in ihrer Kunst. Andere emigrieren in's Ausland.
Ob dies bei Jupp Heinz Entscheidung eine Rolle spielte, von Trier nach Köln
zu wechseln, mag dahingestellt sein. Wolfgang Wallner, sein Professor in
Köln, wurde dort 1939 stellvertretender Direktor und zählte seinerzeit zu
den einflußreichsten, politisch angepassten Künstlern in Köln.
Möglicherweise spielte aber auch eine andere Überlegung eine Rolle:
Traditionell hatte die Kirchenkunst im überwiegend römisch-katholischen
Rheinland und insbesondere auch im Bistum Köln während der NS-Zeit
einen besonderen Status. Das zwischen dem Heiligen Stuhl (Papst Pius
XII) und dem Deutschen Reich am 29. Juli 1933 abgeschlossene "Reichs-
konkordat" sicherte den katholischen Bekenntnisschulen eine weitgehende
Autonomie in der christlichen Lehr- und Lebensauffassung sowie dem
Schutz des Schul- und Kircheneigentums zu.
Tatsächlich entwickelte sich daraus nach 1933 eine gewisse "Schutzschild-
funktion" für beruflich aktive Kirchenkünstler in Köln, da die katholische
Kirche selbständig Aufträge an "ihren" Künstlerkreis (Bildende Künstler,
Architekten usw.) vergeben konnte und somit - staatsunabhängig - für
eine finanzielle Lebensabsicherung der ihr Schutzbefohlenen sorgen
konnte.
Das Primat der NS-Ideologie war in diesem Bereich ausgesetzt. Öffentlich
wirksame "Dissonanzen" zwischen der NS-Ideologie und den Geistlichen
als Vertreter einer christlichen Lebensauffassung wurden - bis auf wenige
Ausnahmefälle - nicht thematisiert. So war die christliche "Missionsarbeit"
der Steyler Missionsschulen zwar politisch unerwünscht, wurde aber -
mehr oder minder stillschweigend - toleriert.
Jupp Heinz war sich seiner Situation als angehender Künstler in diesem
politisch-ideologischen Spannungsfeld durchaus bewußt. Mit Absicht bear-
beite er in dieser Zeit betont religiöse Thematiken und wählte für seine
Arbeiten Motive mit klarer christlicher Ikonographie. Dies rückte ihn - fast
automatisch - in die Nähe zeitgemäß moderner "Kirchenkünstler".
akademische Studienarbeiten
Jupp Heinz: Studienarbeiten (1936 -1940)
obere Reihe: Malerei/Grafik - Blumenstillleben in Glasvasen
untere Reihe: Plastik/Bildhauerei: hier Tonmodell "Tröstende Mutter mit Kind" als
Vorlage für einen späteren Bronzeguss; rechts: Portaitbüste (Holz)
Musterung und Wehrdienst
Im Juni 1935 wird die Verordnung über die Musterung und Aushebung aller
Wehrpflichtigen im Deutschen Reich veröffentlicht. Danach sind alle wehr-
fähigen deutschen Männer "arischer Herkunft" ab der Jahrgangsstufe 1914
zum Dienst an der Waffe verpflichtet. Ausnahmen und Zurückstellungen von
der Wehrpflicht werden unter anderem Schülern und Studenten bis zum
Abschluß ihrer Erstausbildung, sowie einigen versorgungswichtigen Perso-
nengruppen (u.a. erstgeborenen Bauernsöhnen, gewerblichen Firmennach-
folgern, Seeleute etc.) und den unter das Reichskonkordat fallenden Kleri-
kern der christlichen Konfessionen gewährt.
Der 19-jährige Jupp Heinz wird 1936 gemustert, für "wehrtauglich" befunden
und der "Ersatzreserve 1" für den Einsatz in der Luftwaffe zugewiesen.
1939 Am 01. September 1939 beginnt der 2. Weltkrieg mit dem Überfall auf Polen.
1940 Jupp Heinz wird im Januar 1940 unmittelbar aus der Meisterklasse von Pro-
fessor Wolfgang Wallner in Köln zum Wehrdienst einberufen und der Luft-
waffe zugeteilt. Er wird kaserniert und erhält eine halbjährige Grundaus-
bildung als Rekrut.
Auf Intervention von Prof. Wallner beantragt Jupp Heinz für das Winterse-
mester 1941/1942 einen befristeten Studienurlaub, um seine Bildhauer-
ausbildung fortzusetzen und abzuschließen. Diesem Antrag wird stattge-
geben. Jupp Heinz vollendet eine lebensgroße, weibliche Statuette als Ab-
schlußarbeit (Abbildung siehe oben) und kehrt anschließend zur Truppe
zurück.
1941 Mit Beginn des Russlandfeldzuges (Unternehmen Barbarossa) am 22. Juni
1941 wird Jupp Heinz mit seiner Luftwaffeneinheit in den Osten zur Unter-
stützung der Heeresgruppe Mitte verlegt. Vier lange Jahre bis zur Kapitulation
der Heeresgruppe Mitte am 8. Mai 1945 dient er dort "im fliegenden Personal"
und steigt als "Luftaufklärer" vom Rekruten zum Flieger (Luftwaffen-Rang-
abzeichen 1 Winkel), zum Gefreiten (2 Winkel) und zum Obergefreiten (3
Winkel) auf. Dem Kessel von Stalingrad entkommt er "auf dem letzten
Drücker", da der Pilot einer der letzten Junkers-Flugzeuge für den Rückflug
dringend einen erfahrenen Luftaufklärer und Navigator benötigte.
Jupp Heinz als Flieger Gefreiter Obergefreiter
1945 Von Mai bis Dezember 1945 befand sich Jupp Heinz als Wehrmachtsangehöri-
ger nach der Kapitulation in offizieller britischer Kriegsgefangenschaft. Die
Engländer hatten in Norddeutschland vier Auffangzonen für rund 1,42 Mio.
deutsche Kriegsgefangene eingerichtet. Jupp Heinz war der Auffangzone I:
"Ostfriesland" zugeteilt worden. Er war damit einer von 180.000 Soldaten in
der Auffangzone I.
Mangels befestigter Unterbringungsmöglichkeiten campierten die Kriegs-
gefangenen in Erdlöchern, in Zelten auf freiem Feld, in Ställen oder
in Scheuen und Schobern. Innerhalb des relativ großräumigen Sperrgebietes
konnten sich die Soldaten frei bewegen. Nur die meist unbefestigten Sperr-
gebietsgrenzen wurden durch (rekrutierte) deutsche Zweimannpatrouillen
(Feldjäger) mehr schlecht als recht kontrolliert.
Zu flüchten machte für die meisten internierten Kriegsgefangenen aber
keinen Sinn, denn ohne Entlassungspapiere bekam man weder Passier-
scheine für die Heimfahrt noch die notwendigen Unterlagen für die
dortige behördliche Anmeldung und vor allem keine der dringend benötigten
Lebensmittelkarten ausgehändigt.
Die Engländer setzten auf eine deutsche Zivilverwaltung in ihren Auffang-
gebieten und behielten die Organisationsstrukturen, Zuständigkeits- und
Rangabfolgen der Wehrmacht vorerst bei. Trotz Versorgungsengpässen
organisierte sich das alltägliche Lagerleben in der nachmilitarisierten Phase
relativ schnell. Man improvisierte, wo man nur konnte.
Jupp Heinz gab u.a. Kurse zum Schnitzen von Gebrauchsgegenständen aus
Holz, vermittelte rudimentäre Sprachkenntnisse in Englisch und Französisch
und unterrichtete daneben auch grafische Gestaltungs- und Drucktechniken
sowie Zeichnen und kunsthistorisches Wissen. Im Lager traf Jupp Heinz unter
anderem auf Hansjörg Martin (1920-1999) und Heinz-Karl Hofmann.
Beide hatten ähnliche Lebensläufe wie Jupp Heinz als zur Wehrmacht eingezo-
gene Kunststudenten und Soldaten an der Ostfront aufzuweisen.
Hansjörg Martin wurde am 01.11. 1920 in Leipzig geboren und verstarb am 11. 03.
1999 in seinem Altersdomizil auf Mallorca. Er begann ein Kunststudium (freie
Malerei) an der Kunstakademie in Leipzig, ehe er 1941 zur Wehrmacht einge-
zogen, dann zunächst zur kämpfenden Truppe an der Front nach Russland
und anschließend in die Niederlande versetzt wurde. In den Niederlanden
geriet er in britische Kriegsgefangenschaft und wurde - wie Jupp Heinz - in
der britischen Auffangzone I "Ostfriesland" interniert. Hier traf er auf Jupp
Heinz und Heinz-Karl Hofmann.
Später - ab den späten 50er Jahren machte Hansjörg Martin sich als Autor
von Kriminalromanen einen Namen. Insgesamt schrieb er rund 35 Krimis
sowie einige Fernsehdrehbücher für den "Tatort" in der ARD. 1963/64
wechselte er als festangestellter Mitarbeiter zum Norddeutschen Rundfunk.
Neben Kinder- und Hörfunksendungen im Radio verfasste er Skripte zu TV-
Produktionen im damaligen ARD-Schulfernsehen. Zu dieser Zeit wohnte er
in Wedel bei Hamburg, wechselte dann aber als freier Autor zurück nach
Norden in Ostfriesland. Zeitweise war er in seinem Ferienhaus auf Norderney
tätig. Aus seiner Feder stammen mehrere Fernsehfilme, die allesamt zunächst
oberflächlich erscheinende, dann aber - nach professioneller Krimistruktur
immer raffiniert-hintergründig verschachtelte persönliche Schicksale thema-
tisierten. Seinen Lebensabend verbrachte der vielfach ausgezeichnete
Fernsehautor Hansjörg Martin in seiner Finka auf Mallorca.
Heinz-Karl Hofmann's Lebenslauf ist vergleichsweise wenig dokumentiert.
Auch er hat eine künstlerische Ausbildung absolviert und sich vor Kriegs-
beginn bereits als angehender Bildhauer/Plastiker auf der Insel Norderney
etabliert. Dem Vernehmen nach, wohnte seine Familie dort. Auch er wurde
zur Wehrmacht eingezogen und geriet 1945 in britische Gefangenschaft in
Ostfriesland. Die britischen Verwaltungsstellen initiierten schon relativ früh
die Herausgabe eines deutschsprachigen Wochenblattes für die "Auffangzone
I". 1949 lizensierten sie - wohl auf ihren Erfahrungen aufbauend - die Neu-
erscheinung der traditionsreichen Tageszeitung "Ostfriesische Nachrichten"
in Aurich, die von Anfang an mehrere lokale Kreis- und Ortausgaben besaß.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit arbeitete Heinz-Karl Hofmann zunächst als
Redakteur sowohl für das britische Wochenblatt wie später (unter dem
Redaktionskürzel HKH) für die Tageszeitung "Ostfriesischen Nachrichten"
(unbestätigt). Als Redakteur kam er viel herum, sammelte und pflegte
Kontakte zu den Verwaltungsbehörden und war auch in Bezug auf geplante
Kulturveranstaltungen (Kinoprogramme, Theateraufführungen, Vorträge,
Kunstausstellungen etc.) stets "auf dem Laufenden".
Die gemeinsame künstlerische "Ader" verband schnell das Trio. Schon
während der Internierungszeit schloß man enge Freundschaft. Alle Drei
hatten einen Faible für den Unterhaltungsbereich. Alle Drei liebten die Bühne,
malten Bühnenbilder, planten Ausstattungen und Dekorationen von Bühnen-
stücken etc. und alle Drei hatten auch keine Scheu, selbst als Darsteller vor
Publikum aufzutreten. Jupp Heinz als unterhaltsamer Musikus, Hansjörg Martin
als Komödiant und Clown sowie Heinz-Karl Hofmann als Ansager und witziger
Conferencier. Nach seiner Entlassung zu Weihnachten 1945 blieb Jupp Heinz
bei seinen Freunden in Friesland. Die Drei schmiedeten für ihre Zukunft ge-
meinsame Pläne.
Mit der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft begann für die Drei auch
künstlerisch die "Stunde 0".
Neuorientierung - Suche nach neuen Darstellungsstilen
Mit Kriegsende hatte die ideologisierte "Deutsche NS-Kunst" weitgehend "ab-
gewirtschaftet". Die Verehrung aktueller Volkshelden, verherrlichende Kriegs-
und historische Schlachtenbilder, nach antiken Vorbildern heroisierend darge-
stellte germanische Krieger und Kämpfer, bäuerliche "Blut- und Boden"-Motive
mit arbeitseifrigen reinrassisch arischen Großfamilien, eingespannte Acker-
gäule, üppig gesunder Viehbestand, Mägde und Knechte bei der Feldarbeit etc.
- das alles war auf einmal komplett "out".
Sicherlich mit hoher (akademischer) "Malkunst" gemalt, verschwanden solche
Bilder ganz schnell in der Versenkung (und in den Depots der Museen). Keiner
wollte "Deutsche Kunst" mehr sehen, geschweige denn - sie produzieren.
Doch was könnte an ihre Stelle treten? Ein erstaunlicher Paradigmenwechsel
sollte alsbald in Deutschland einen künstlerischen Neuanfang - eben die
"Stunde 0" markieren. Nun lehnte man sich an amerikanische, englische und
vor allem französische Künstler an, ließ sich von ihnen inspirieren und ver-
suchte, nach und nach eine eigene individuelle Handschrift - eben einen
neuen eigenen Darstellungsstil - zu finden. Sicherlich kein leichtes Unter-
fangen. Man brauchte einfach seine Zeit, um nach dem Diktat der "Deutschen
Kunst" etwas Neues zu entwickeln. Alles, was lange Jahre zuvor als "undeut-
sche" und somit "entartete" Kunst verpönt war, wurde nun zunehmend interes-
santer. Viele deutsche Künstler und Künstlerinnen lösten sich nach und nach
aus ihren Prägungen und experimentierten, meist noch zaghaft-erkundend,
mit Stilrichtungen wie dem Expressionismus, dem Kubismus, dem Dadais-
mus, dem Surrealismus, dem magischen Realismus und der neuen Sachlich-
keit. Zudem zeichneten sich gegen Ende der 40er-/ Anfang der 50er-Jahre am
internationalen Kunsthorizont erste komplett neue Stilentwicklungen ab, wie
die Op-Art, die Pop-Art, die Kybernetik und verschiedene "informelle Kunstan-
sätze" (Fluxus, Konzeptkunst, Performance etc.). Damit nicht genug -
wechselten nunmehr auch häufiger die Darstellungsarten. Neben den
klassischen (pinselgeführten) Maldisziplinen (Aquarell- und Ölmalerei) trat die
Acrylmalerei, verschiedene technische Farbspritztechniken (u.a. Street-Art)
sowie mit der Einbeziehung unter anderem von "Kunst"-stoffen unterschied-
liche Formen von Materialcollagen und Materialmixen.
Jeder deutsche Künstler und Künstlerin hatte zur "Stunde 0" eine eigene
individuelle Antwort auf die Veränderungen der künstlerische Rahmenbe-
dingungen nach dem 2. Weltkrieg zu finden.
So auch Jupp Heinz und seine beiden ehemaligen Lagergefährten Hansjörg
Martin und Heinz-Karl Hofmann.
1945/46 Nach eigenen Angaben arbeitete Jupp Heinz nach seiner Entlassung aus
der britischen Kriegsgefangenschaft malerisch und grafisch überwiegend
mit "Flippi" (= Hansjörg Martin) in dem Küstenstädtchen "Norden" in Ost-
friesland zusammen. Hier hatten beide wohl eine gemeinsame, relativ
billige und verhältnismäßig enge "Behausung" gefunden, von der
aus sie - wann immer es ihnen möglich war - zum Malen auf die damals
noch nicht wieder touristisch erschlossene Insel Norderney auswichen.
Das Alltagsleben in Norden gestaltete sich recht schwierig. In der über-
wiegend landwirtschaftlich geprägten Umgebung fehlten Arbeitsplätze.
Vor allem Vertriebene und Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten
des Deutschen Reiches sorgten für eine Bevölkerungsexplosion.
Zwischen 1945 und 1948 stieg die Bevölkerung Ostfrieslands von rund
295.000 auf 390.334 Einwohner, für die erst eine entsprechende Infra-
struktur durch improvisierte Barackenlager, provisorische Schulen und
Krankenhäuser etc. aufgebaut werden mußte.
Die Stadt Norden hatte alleine 26.000 Zugezogene zu verkraften.
Man ging ungewöhnliche Wege, um dem Problem Herr zu werden. So
erhielten auf Initiative des damaligen Regierungspräsidenten in Aurich
die "Deicharbeiter", die sich bei der Stadt Norden verdingten, als
Ausgleich für Ihre Arbeit einen Teil des neugewonnenen Siedlungslandes
im "Leybuchtpolder", um auf den Parzellen einen landwirtschaftlichen
Betrieb, zumindest aber einen Nebenerwerbs- bzw. einen Selbstversor-
gerbetrieb, zu gründen.
Eine gewisse "kulturelle Grundversorgung" der zugezogenen Bevölke-
rung nahmen die ab Mitte 1945 entlassenen deutschen "Kapitulations-
gefangenen in britischem Gewahrsam" - so unter anderem auch die
"Drei Künstler", Josef-Peter Heinz ("Jupp"), Hansjörg Martin ("Flippi")
und Heinz-Karl Hofmann ("Charli") durch ihre Auftritte wahr. Gemeinsam
bildeten "die Drei" ein lustiges und erfolgreiches Trüppchen, dessen
Unterhaltungsangebot gerne angenommen wurde.
Tatsächlich bestand ein regelrechter "Hunger nach Kunst und Kultur" in
der Bevölkerung und nach den Entbehrungen der Kriegszeit sehnte
man sich allgemein nach ein wenig Leichtigkeit und Unterhaltung.
1945 Nur wenige der zur "Stunde 0" entstandenen Gemälde von Jupp Heinz
sind bekannt und erhalten geblieben. Eine erste Kunstausstellung unter
dem Titel: "Maler der Marsch" fand im November 1945 in Nordens
Barackenlager in Tidofeld sowie einen Monat später in einer Scheune
auf dem Gebiet des späteren Stadtteils Norden-Neustadt statt. Es ist
nicht gesichert, ob Jupp Heinz dort bereits mit eigenen Werken vertreten
war. Hier lernte er und sein Freund "Flippi" aber die Malerkollegen Hans
Trimborn, Heinz Kuth und Herbert Dunkel kennen, mit denen er sich im
Folgejahr 1946 zur Künstlergruppe "Wir Fünf" zusammenschloß.
1946 Jupp Heinz arbeitet nun als offiziell angemeldeter, gewerblicher "Kunst-
maler" und akquiriert vor allem Auftragsarbeiten im Bereich der
Familien- und Portraitmalerei. Zudem fertigte er Genre-Zeichnungen mit
dörflichen Alltags-Szenen an und schnitzte neben Kerzenleuchtern auch
sakrale Holzfiguren sowie Reliefpanele - meist Christusdarstellungen und
Kreuzwegmotive - die vor allem unter den Heimatvertriebenen als Teil von
privaten Hausaltären gefragt waren und sich gut verkaufen ließen.
Bandbreite der künstlerischen Ausdrucksmittel von Jupp Heinz
oben links: Bleistiftzeichnung oben rechts: Pinselzeichnung
mitte links: Aquarellmalerei mitte rechts: Ölmalerei
unten links: Relief-Schnitzerei unten rechts: Bildhauerei
Norderney und die Künstlergruppe: "Wir Fünf"
Die Nordseeinsel Norderney verzeichnete zwischen den beiden Weltkriegen
bei einer relativ konstanten Einwohnerzahl von rund 4.300 Bürgern stetig
steigende Kurgastzahlen, die 1939 auf rund 48.000 Personen als regis-
trierte Kurgäste angewachsen waren. Zusätzlich wurde die Insel von einer
Vielzahl von Ausflugstouristen (Tages-, Wochenend- und Campinggäste)
besucht. Auf diesen Personenkreis war ein Großteil der Lokale und An-
denkengeschäfte, Gaststätten, Cafe's- und Imbissstuben, Bars und Res-
taurants auf Norderney zugeschnitten. Das Unterhaltungsangebot für die
Gäste umfasste Film- und Theateraufführungen, Kur-Konzerte, "bunte"
Abende mit Schlagerauftritten mehr oder minder prominenter Unterhal-
tungskünstler, Sportveranstaltungen, Lesungen, Kunstausstellungen und
ein breites Angebot von Kursen sowie geführte Besichtigungstouren zu
den Sehenswürdigkeiten der Insel.
Wärend des 2. Weltkrieges reduzierte sich die Anzahl der Touristen schlag-
artig. Die leerstehenden Übernachtungskapazitäten wurde zunächst durch
"Kraft-durch-Freude" Reiseteilnehmer (KDF-Reisen), dann später durch
rekonvaleszente Kriegsverwundete und ausgebombte Familien ("Kinder-
landverschickung") ausgelastet. Zur Unterhaltung gründete man 1943/44
eigens die "Soldatenbühne Norderney".
Nach der Kapitulation requirierten die britischen Truppen die Pflege- und
Kureinrichtungen als "Leave Centre" (Erholungszentrum) für Angehörige
der britischen Rheinarmee. Zugang zur Nordseeinsel Norderney erhielten
eine Zeit lang nur noch Personen mit einem Erlaubnisschein der britischen
und kanadischen Militärverwaltung. Aus der ehemaligen deutschen "Solda-
tenbühne" wurde die "Neue Bühne Norderney (NBN)". Offiziell war das NBN
ein Tourneetheater, das aber in der Regel auf einheimische Kräfte und
Künstler - unter anderem auch auf die Kriegsgefangenen der britischen
Auffangzone 1 (Ostfriesland) zurückgriff.
Josef Peter Heinz (Jupp), Hansjörg Martin (Flippi) u. Karl Heinz Hofmann
(Charli) besaßen solche Passierscheine und traten als Trio wohl regelmäßig
in der "Neuen Bühne Norderney (NBN) sowie im Kurhotel "Kaiser Franz Josef"
mit einem eigenen, musikalisch untermaltem Unterhaltungsprogramm auf.
Den Kontakt zu anderen Künstlern - vor allem zu den Bildenden Künstlern
auf Norderney hielt Karl Heinz Hofmann (Charli), der schon früh Mitglied
im "Künstler-Bund-Norderney (siehe Foto oben) war und im "Kunstsalon"
in der Mittelstraße 3 verschiedene Ausstellungen der einheimischen Maler
Poppe Folkerts, Julian Klein von Diepold, August Heitmüller und Paul Ernst
Wilke mitorganisiert und betreut hatte.
Dem Vernehmen nach soll es auch Karl Heinz Hofmann gewesen sein, der
Ende 1945 seine beiden Bandkollegen mit dem Multitalent und "Tausend-
sassa" Hans Trimborn bekannt machte.
Anfang 1946 gründet Hans Trimborn bei einem seiner "Heimatbesuche" auf
Norderney zusammen mit ihnen und den beiden Kollegen Herbert Dunkel
und Heinz Kuth die Künstlergruppe "Wir Fünf". Wie lange diese Künstler-
gruppe existierte, ist nicht ganz sicher. Möglicherweise wurde sie anfänglich
zunächst als Musikcombo zum gemeinsamen Gelderwerb gegründet, doch
schon bald wandelte sich der Focus innerhalb der Gruppe und die gemein-
samen malerisch-gestalterischen Interessen traten in den Vordergrund.
Am 02.08 1891 in Godesberg geboren, studierte Hans Trimborn zunächst
Medizin und arbeitete dann einige Zeit als Arzt. Den gesicherten Arztberuf
gibt er allerdings nach kurzer Zeit zugunsten eines Studiums der Malerei
und der Musik wieder auf. Er erweist sich als musikalisches Talent, wird ein
glänzender Pianist, spielt einige Zeit als Solist klassisch-symphonische Musik
und bewirbt sich 1919 auf eine angebotene Stelle im Norderneyer Sympho-
nieorchester. Schon bald danach wird er offizieller Kapellmeister des Kur-
orchesters in Norderney.
Quasi nebenberuflich arrangiert Hans Trimborn erfolgreich eigene U-Musik,
tritt zusammen mit seiner ersten Ehefrau in Konzerten auf, spielt im Rund-
funk und untermalt an Sommerabenden die Stummfilme im örtlichen
"Openair-Kino" mit virtuos improvisiertem Klavierspiel. Er gründet eine
eigene vierköpfige Tanzkapelle, spielt in diesem Verbund überwiegend
Klarinette und Lead-Saxophon und tingelt mit seiner Band durch die
Tanzlokale und Hotelbars der Insel.
Zusammen mit dem Bildhauer Bernhard Hoetger richtet er auf Norderney
ein uriges Künstlerlokal ein, das als "Kiekbimutt" bekannt und wegen der
dort intonierten Swingmusik unter den Künstlerkollegen zum Geheimtipp
wird. Man trifft sich im "Kiekbimutt", diskutiert, raucht und trinkt seinen
"Noodi" - einen klaren Schnaps. Zum "Kiekbimutt" gehörte auch eine
Kunstgalerie (zum Kieken), über die Hans Trimborn seine eigenen male-
rischen und grafischen Werke, wie auch die seiner Künstlerkollegen an
Sammler und Kurgäste zu verkaufen gedenkt.
In wirtschaftlicher und familiärer Hinsicht hat er allerdings wenig Fortune.
Er ist kein Kaufmann, haßt als kreativer Kopf jeglichen Zwang und lang-
fristig einschränkende persönliche Bindungen. Seine Ehen scheitern je-
weils an neuen Amouren. Auch sonst ist er rastlos. Ständig schweben ihm
neue Ideen und kreative Konzepte im Kopf herum.
So "erfindet" er unter anderem eine Art neuer Tauschwährung, mit
der (vor der Währungsreform) im "geschlossenen" System der Insel
Norderney Produkte und Dienstleistungen ohne direkten Geldeinsatz
untereinander "verrechnet" werden konnten. Eine kurze Zeit lang wird
diese (private) Tauschwährung - unterstützt von der Inselverwaltung -
auch in der Bevölkerung benutzt.
Von 1919 bis 1939 wohnt er in der Wilhelmstraße 12 auf Norderney. Mit
Kriegseinbruch verläßt er die Insel und zieht nach Lüretsburg bei Norden,
später mit seiner zweiten Ehefrau in ein neuerbautes Haus in Arle.
Allerdings kehrt er der Insel nicht ständig den Rücken zu. Er kommt häufig
zurück, um im Kundenauftrag diverse Privathäuser und Cafes auf der Insel
auszumalen.
Am 10.10.1979 verstirbt Hans Trimborn im Alter von 88 Jahren in Norden.
Er wird auf dem örtlichen Friedhof beigesetzt. Heute ist das örtliche
Heimatmuseum auf Norderney nach ihm benannt. Weitere Infos zur Vita
von Hans Trimborn beinhaltet sein Künstlerprofil.
Herbert Dunkel (1906-1966)
Herbert Dunkel wurde am 14.11. 1906 als Sohn eines Berliner Stadtarchi-
tekten, der als Kustos am Märkischen Museum in Berlin beschäftigt war,
geboren. Schon früh weckte der Vater gezielt das künstlerische Interesse
seines Filius, nahm ihn zu ärchäologischen Ausgrabungen mit, ließ ihn die
Fundstücke zeichnen und erklärte deren kunst- und kulturhistorische
Bedeutung. Über seinen Vater lernte der Jugendliche einige der bedeu-
tensten Berliner Kulturwissenschaftler und Künstler ihrer Zeit- darunter
Max Liebermann - kennen. Das prägte ihn. Was Wunder, dass Herbert
Dunkel in der Folgezeit selbst freischaffender Künstler werden wollte.
Seine diesbezüglichen Bemühungen um eine akademische Ausbildung
scheiterten jedoch. Er machte statt dessen eine Lehre als technischer
Elektrokonstrukteur bei Siemens und Telefunken in Berlin. Seine Arbeit
war kriegswichtig, so dass er vom aktiven Wehrdienst freigestellt wurde.
Nach der Kapitulation der Deutschen geriet er in sowjetische Kriegsgefan-
genschaft, wurde aber nach fünf Monaten wieder entlassen und zog zur
Familie seiner Frau - Hanne von Stipariaan - nach Norden (Ostfriesland).
Hier betätigte er sich - unterstützt von der Familie seiner Frau - als frei-
schaffender Künstler. Nach und nach engagierte er sich in der berufstän-
dischen Vertretung seiner Künstlerkollegen, wurde Gründungsmitglied
des Berufsverbandes Bildender Künstler (BBK) Nordwestdeutschland und
leitete alsbald die Bezirksgruppe Ostfriesland. Er nutzte die Verbindungen,
organisierte Kunstausstellugen und kümmerte sich um deren Finan-
zierung durch die Militärverwaltung und verschiedene große deutsche
Wirtschaftsunternehmen (Emdener Hafengesellschaft, Nordseewerke etc.).
Mit seinem Verhandlungsgeschick, seiner Beweglichkeit und Kontaktfreunde
räumte er so manchen Widerstand gegen eigene Kunstprojekte und die
seiner Freunde zur Seite. Über seine intensive Auseinandersetzung mit der
internationalen Kunstgruppe CoBrA fand er selbst zur expressiven Abstrak- tion. Er prägte mit seiner Organisationserfahrung massiv die Arbeit der
Künstlergruppe "Wir Fünf", die hauptsächlich auf dem Festland in Norden
und Umgebung agierte, aber sich vorzugsweise in Norderney - vermutlich
in Trimborns Künstlerlokal "Kiekemutt" traf. Herbert Dunkel wurde später
Kunsterzieher am Gymnasium Ulricianum in Aurich. Am 08.12. 1966 ver-
starb Herbert Dunkel infolge eines Verkehrsunfalls auf dem Wege von
seinem Wohnhaus in Norden zu seiner Arbeitsstätte im Gymnasium
Ulricianum im benachbarten Aurich.
Heinz Kurth
Über das fünfte Mitglied der Künstlergruppe "Wir Fünf" ist vergleichsweise
wenig bekannt. In Künstlerverzeichnissen ist Heinz Kurth vereinzelt als ein
"deutscher Grafiker des 20. Jahrhunderts" aufgeführt.
Als Künstler war er überwiegend in Ostfriesland, vorzugsweise auf
Norderney tätig. Sein Spezialgebiet waren historisch anmutende Stiche
und Lithografien, die dem Geschmack der Kurgäste und der Badetouristen
entsprachen. Heinz Kurth besaß eine kleine eigene Druckwerkstatt-
statt auf Norderney. Hier fertigte er im Kundenauftrag Speise- und Ge-
tränkekarten für die umliegenden Restaurants. Daneben nutzte er seine
Druckwerkstatt natürlich auch dazu, Zeichnungen auf Stein (Lithografien),
präzise, fein ausgearbeitete Stahlstiche aber gelegentlich auch grobe
Holzschnitte in kleinen Auflagen händisch abzuziehen und zu colorieren. Die Qualität seiner Werke läßt vermuten, dass er jahrelange Übung und
Erfahrung im Druck solcher Grafiken hatte. Seine Motivwelt umfaßte
typische Nordsee-Strandlandschaften sowie einzelne Sehenswürdigkeiten
der Insel. Möglicherweise arbeitete Heinz Kurth - wie einige seiner Illus-
trationen vermuten lassen, im Rahmen einer Festanstellung auch für einen
deutschen oder einen niederländischen Reisebuchverlag (unbestätigt).
Welchen Part Heinz Kurth im Rahmen der Künstlergruppe "Wir Fünf" spielte,
ist unklar. Musikalisch war er eher ein Laie, spielte aber leidlich gut Mund-
harmonika und Harmonium ("Quetschebüggel"). Als Künstlerkollege vertrat
er schwerpunktsmäßig die handwerklich-praktische Komponente der Gestal-
tungsarbeit. So kümmerte er sich in erster Linie um die Beschaffung und
Bereitstellung des malerischen Werkzeuges und des Materials. (Pinsel,
Farben, Papiere, Leinwände etc.) Tatsächlich war es kurz nach dem Krieg
recht aufwändig, in ausreichendem Maße an "brauchbares" Künstlermaterial
zu gelangen. Vieles war nur durch gute Beziehungen oder über den Schwarz-
markt zu bekommen.
Im Nachherein betrachtet, war die Künstlergruppe "Wir Fünf" wohl eher
eine reine Zweckgründung, um sich gegenseitig zu helfen und bezüglich der
Arbeitsorte, des Materialeinkaufes und der Vermarktung der Kunstwerke zu
unterstützen. Ein gemeinsamer Auftritt der Künstlergruppe auf Ausstellun-
gen läßt sich zur Zeit nicht belegen, wohl aber die unabhängige Ausstel-
lungsteilnahmen einzelner Künstler aus der Gruppe.
Leider liegen auch keine Aufzeichnungen darüber vor, ob das Ziel der
Gründung eine gemeinsame stilistische Ausrichtung der Gruppe sein sollte.
Sicherlich hat man viel voneinander gelernt und sich auch gegenseitig
beeinflußt, aber im Kern blieb es dabei, dass jeder der beteiligten Künstler
zur "Stunde 0" eine eigene Antwort auf die politischen, gesellschaftlichen
und vor allem kulturellen Veränderungen der Nachkriegszeit - und damit
einen individuellen eigenen Gestaltungsstil - finden mußte.
1947 Das Alltagsleben in Norden und Umgebung normalisiert sich zunehmend
wieder. Die von den Briten in Ostfriesland eingerichtete Auffangzone I
für Kriegsgefangene wird organisatorisch aufgelöst. Auch die Zugangs-
beschränkung zur Insel Norderney wird aufgehoben. Das "Leave Centre",
das bis dahin ausschließlich als Erholungszentrum für die Soldaten der
Britische Rheinarmee und deren Familien diente, öffnet seine Türen nun
auch wieder für deutsche Gäste. Der Kurbetrieb nimmt allmählich wieder
"Fahrt" auf. Noch ist die Versorgungslage in der Bevölkerung - bedingt
durch eine grassierende Inflation - schwierig. Auf einen "Eisnotwinter"
(- 23 Grad) folgt ein Wärmesommer mit Temparaturen zwischen 32
und 35 Grad.
Max Schmeling, der beliebte Ex-Schwergewichts-Weltmeister leitet als
Chairman und Ringrichter die erste große Boxkampf-Veranstaltung auf
Norderney.
Erste Kunst- und Kulturveranstaltung werden nun auch von offizieller Seite
für die Bevölkerung geplant und mit großem Erfolg durchgeführt:
Im Mai 1947 findet die erste offizielle Nachkriegsausstellung zum Thema
"Ostfriesische Landschaft" in Aurich und 2 Monate später in Wilhelmshaven
statt. Jupp Heinz ist an beiden beteiligt.
Parallel dazu nimmt er einen Auftrag zur Ausmalung einer Kirche in
Herbstein/Oberhessen wahr. Er verläßt das Gemeinschaftatelier und die
Wohnung, die er mit seinem Künstlerlollegen "Flippi" in Norden teilte, um
sich in Herbstein einzuquartieren.
1948 Nachdem Jupp Heinz den Auftrag zur Kirchenausmalung in Herbstein ab-
geschlossen hat, kehrt er in seinen Heimatort Binsfeld in der Eifel zurück.
Die Geldentwertung der Reichsmark /Rentenmark nimmt beständig zu und
geht von einer galoppierenden Inflation (20% Geldentwertung) in eine
Hyperinflation (mit mehr als 50% Geldentwertung pro Monat) über.
Am 20. Juni 1948 wird durch eine grundlegende Währungsreform die
Deutsche Mark in den drei Westzonen eingeführt. Fast schlagartig hört
der Schwarzhandel auf und die Ladenregale füllen sich auf einmal wieder
mit neuer Ware. Das deutsche Wirtschaftswunder startet.
Jupp Heinz durchlebt diese Zeit auf dem Hof seiner Eltern in Binsfeld.