Jupp (Josef Peter) Heinz (1917 - 1999)
aktueller Status: 09.06.2025
An dieser Stelle soll nach und nach das Künstlerprofil von Jupp Heinz entstehen. Die entsprechenden Recherchen zu seinem Lebenslauf und seinem künstlerischen Werk haben begonnen. Neben den umfangreichen Angaben in dem bereits duch seine Tochter Gabriele (geborene Heinz) und deren Mann Volkmar Kramarz erstellten Internetauftritt unter www.jupp-heinz.de sollen weitere durch persönliche Interviews eruierte Angaben den Lebenslauf dieses veritablen Bonner Künstlers dem interessierten Leser näherbringen. Mein besonderer Augenmerk ist dabei auf die sozial-gesellschaftlichen, aber auch die wirtschaftlich-politischen Rahmenbedingungen der Zeit gerichtet, die den Künstler (und seine Kunst) geprägt haben. Wer den Künstler und/oder seine Künstlerkollegen und Freunde persönlich gekannt hat oder
relevante Werke von ihm besitzt, wird gebeten, sich gegebenenfalls per eMail beim Autor unter www. me.huemmer@web.de (Stichwort: Jupp Heinz) zu melden. Ich bin für jeden ergänzenden Tipp und Hinweis dankbar.
Michael Hümmer
Familie und Kindheit
1917 Am Sonntag, den 14.01.1917 erblickt Jupp Heinz als
viertes von insgesamt fünf Kindern des Ehepaares
Peter und Anna Heinz - geborene Irmen - in dem
Eifeldorf Binsfeld das Licht der Welt. Der Knabe wird
in der katholischen Pfarrkirche Sankt Georg auf den
Namen Josef Peter Heinz getauft. Binsfeld - unweit
der heutigen US-Airbase Spangdahlem in der Eifel
gelegen, - wird dem Landkreis Bernkastel-Wittlich zu-
gerechnet. Zum Zeitpunkt von Jupp Heinz Geburt 1917
zählt der Ort nominell - die zum Dienst an der Waffe
rekrutierten Soldaten mitgezählt - knapp 1000 Seelen.
Die Eltern von Jupp Heinz bewirtschaften in Binsfeld
einen Bauernhof. Sie sind nicht vermögend, produ-
zieren aber nahezu alle Lebensmittel auf ihrem Grund
selbst und halten daneben als Selbstversorger auf
dem Hof auch Haustiere und eigenes Vieh. Man hat kaum Bargeld zur Ver-
fügung, lebt überwiegend durch Realtausch und verkauft, sofern Geld für
Anschaffungen benötigt wird, die übrig gebliebenen eigenen bäuerlichen
Erzeugnisse auf den lokalen Märkten in Bernkastel und Wittlich. Kriegsbe-
dingt waren bereits 1916 Getreideprodukte, vor allem Brot, durch das
Deutsche Kriegsernährungsamt strikt rationiert worden; Fleisch- und Wurst-
waren fehlten fast völlig. Steckrüben wurden zum wichtigsten Nahrungsmittel
in breiten Kreisen der städtischen Bevölkerung. Die katastrophale Ernäh-
rungslage führte 1916/1917 zum berühmten "Steck- bzw. Kohlrübenwinter"
und zur Hungersnot. Behördlicherseits zugeteilte Lebensmittel hatten durch-
schnittlich nicht mehr als 1000 kcal. Das reichte vorne und hinten nicht zu
einem "satten" Leben. Zwangsläufig nahmen Hamsterfahrten und Schwarz-
marktgeschäfte zu. Zwischen 1914 und 1918 starben etwa 800.000 Menschen
in Deutschlands Städten. Die Landbevölkerung hatte es da vergleichsweise
gut, sofern sie - wie die Familie Heinz - eigenen Grund und Boden bestellte.
Natürlich muß Jupp Heinz, ebenso wie seine Geschwister, in der Folgezeit im
Rahmen ihrer Möglichkeiten auf dem Hof mitarbeiten.
In der Eifel gilt für landwirtschaftliche Betriebe die sogenannte Höfeordnung.
Eine rechtlich verbindliche Regelung, die auf die Vererbung und ungeteilte
Weiterführung eines Hofes in der Hand eines einzigen Erben - in aller Regel
des jeweils ältesten Sohnes einer Familie - abzielt. Damit soll eine Zerstücke-
lung des Grund und Bodens, wie sie nach der sonst im Erbschaftsrecht allge-
meingültigen Realteilung unweigerlich eintreten würde, vermieden werden.
Die nicht bedachten Kinder und Erben haben ihrerseits einen Anspruch auf
Abfindung. Diese kann in rein finanzieller Form oder durch andere Formen
von Vergütungen, wie die Finanzierung einer weitergehenden Lehr- oder
Studienausbildung - beziehungsweise bei Mädchen - durch eine entspre-
chende dingliche Aussteuerausstattung sowie im Falle einer (auswärtigen)
Verheiratung durch Haushaltungszuschüsse etc. vorgenommen werden.
Sind nur unzureichende finanzielle Mittel für eine Abfindung vorhanden,
haben die nachrangigen Erben das Recht, auf dem Hof angestellt zu werden
und dort auch wohnen zu können.
Für Jupp als zweitgeborenen Sohn hat die Familie eine "gehobene" Ausbildung
vorgesehen. Er soll es später - unabhängig vom Hof - "zu etwas bringen",
also einen auskömmlichen und angesehenen Beruf ergreifen, der es ihm
ermöglicht, einen eigenen Beitrag zur späteren Sicherung und Unterstützung
der Familie zu leisten.
Der Druck, die Erwartungen der Eltern zu erfüllen und etwas Nachhaltiges für
die Familie leisten zu müssen, prägt schon früh den Jungen.
Schulausbildung
1923 Zu Ostern 1923 wird Jupp Heinz in die katholische Volksschule Binsfeld
eingeschult. Schon während der Schulzeit fällt sein ausgesprochenes
Zeichentalent auf. Das Gen für seine künstlerisch-musische Begabung hat
Jupp Heinz wohl aus der Familie (Irmen) mütterlicherseits erhalten. Zunächst
weitgehend autodidaktisch durch "Abzeichnen und Nachempfinden" von
Kunstwerken - später auch von Nuturvorlagen - angeeignet, erprobt er schon
relativ früh verschiedene Mal- und Zeichenstile. Nach dem 4. Schuljahr wird
dann im regulären Kunstuntericht der Umgang mit Pinsel und einem Kasten
Wasserfarbe eingeübt. Jupp nutzt dies, um sein "Farbempfinden" zu schulen.
Nach und nach erschließt er sich - wohl noch überwiegend intuitiv - durch
praktische Übungen das Feld der additiver Farbmischungen, Farbstufungen,
Farbkontraste etc. Er legt eine Zettelsammlung mit gesammelten Werken an
und nutzt erstmals für seine Übungszeichnungen auch ein Skizzenbuch.
Acht Jahre nach seiner Einschulung wird er mit einem guten Abschlußzeugnis
aus der Volksschule Binsfeld entlassen.
Jupp Heinz: frühe Aquarelle - Ansichten seines Heimatortes Binsfeld in der Eifel.
(Zur Vergrößerung bitte auf die Abbildungen klicken)
1931 Ausgestattet mit Empfehlungen seiner Schullehrer und des Pfarrers der
katholischen Pfarrkirche St. Georg wechselt der 14-jährige Jupp Heinz von
Binsfeld in die rund 180 Straßenkilometer entfernte Steyler Missions-
Klosterschule St. Josef in Geilenkirchen (bei Aachen). Das Gymnasium mit
angeschlossenen Internat, das als "Anstalt für Spätstudierende" geführt wird,
vermittelt seinen Schülern neben der gymnasialen Ausbildung auch eine
handwerklich-werkstattorientierte Vorbereitung für spätere katholisch-
christliche Missionstätigkeiten im außereuropäischen Ausland. Für Missions-
tätigkeiten ist die Beherrschung fremder Sprachen elementar wichtig. Wie
sich zeigt, besitzt Jupp Heinz neben seiner künstlerisch-musischen Begabung
auch ein besonderes Sprachtalent. Neben Latein und (Alt-)Griechisch, be-
herrscht Jupp Heinz schon bald die englische und französische Sprache so
gut, dass er einigen seiner Mitschülern (gegen entsprechendes Taschengeld)
Nachhilfeunterricht geben kann. Zudem lernt er aus eigenem Antrieb Klavier,
Gitarre und autodidaktisch auch Flöte und Mundharmonika zu spielen. Offen-
sichtlich hätte er auch ein guter Entertainer werden können.
1934 Allerdings drängt es den heranwachsenden Jugendlichen zum Leidwesen
seiner Lehrer nicht besonders zur Missionsarbeit. Ihm ist die Kunst (und
auch die Kunstvermittlung) wichtiger. Da kann er kreativ sein, kann sein
eigenes Potenzial erkunden und auch persönlich freier und ungezwungener
agieren. Natürlich ist seine künstlerische Motivwelt in der Steyler Missions-
Kosterschule von der klassischen Kirchenkunst geprägt. Neben der Ver-
mittlung christlich-ikonografischer Hintergründe und jahrhundertelang
tradiertet Symboliken in der bildlichen Ausprägung biblischer Motive, werden die Missionsschüler im Kunstunterricht dazu angehalten, sich auch aktiv und
selbstständig mit der Erstellung von Kirchengemälden und Fresco-Wand-
malereien auseinanderzusetzen.
Das trifft bei Jupp Heinz auf fruchtbaren Boden.
Jupp Heinz fühlt sich in seinem gestalterischen Talent gefordert. Er wird
von seinen Lehrern zudem mit den Techniken der Bildhauerei, insbesondere
mit der Holzschnitzerei, vertraut gemacht. In den Werkstätten der Missions-
schule erhält er die Gelegenheit, die Holzschnitzkunst zu erlernen und eigene
Holzskulpturen, Friese und Motivreliefs mit christlicher Ikonographie zu
schnitzen.
Die künstlerische Auseinandersetzung mit alter als auch mit zeitgenössisch-
moderner Kirchenkunst fasziniert Jupp Heinz. Sein Entschluß, bildender
Künstler zu werden, festigt sich zunehmend.
Studienausbildung
1936 Jupp Heinz bewirbt sich um ein Studium der Malerei
und Bildhauerei an der Kunstgewerbeschule Trier.
Diese ist in den Bereichen Kirchenkunst und Kirchen-
architektur traditionell eng mit dem katholischen Bis-
tum in Trier verbunden. Als Voraussetzung für den
Besuch der Kunstgewerbeschule Trier gilt ein erfolg-
reicher Schulabschluss mit mindestens dem Testat
der "mittleren Reife" sowie eine abgeschlossene Lehr-
ausbildung in einem künstlerisch-gestalterischen Be-
ruf. Alternativ für die praktische Ausbildung wird auch
die formale Studienempfehlung sowie ein fachliches
Gutachten eines anerkannten Meisters im angewand-
tem Kunstgewerbebereich akzeptiert. Unabhängig da-
von wird jeder Bewerber einer dreitägigen Aufnahme-
prüfung vor Ort in der Kunstgewerbeschule unter-
worfen. Dabei ist in der Regel eine Werkmappe vorzulegen, anhand derer
eine Aufnahmekommission das grundsätzliche Gestaltungstalent, die indivi-
duelle Kreativität und die bereits vorliegende Erfahrungen und Kenntnisse
der Studienbewerber feststellen kann.
Als Absolvent einer Missions-Klosterschule mit eigener Handwerker-Ausbil-
dungswerkstatt hat Jupp Heinz keine Schwierigkeiten, auf Vermittlung seiner
Ausbildungs-Padres zu einem Kunststudium an der Kunstgewerbeschule Trier zugelassen zu werden.
Wie damals üblich, gliedert sich das in der Regel nach dem Modell von
Kunstakademien ausgelegte, 8-semestrige Werkkunststudium in ein Grund-
studium und ein weiterführendes angewandtes Fachstudium auf. Im vier-
semestrigen Grundstudium werden - meist im übergreifenden Klassen-
verband - die grundlegenden künstlerischen Fertigkeiten (Entwurfstechniken,
Zeichnen, Malen, Farbgestaltung, plastisches Gestalten etc.) und begleitend
dazu das Fach Kunstgeschichte, in Theorie und Praxis vermittelt. Im an-
schließenden Fachstudium wird dann dieses Basiswissen in individuellen
Übungen und Seminaren, projektspezifisch - entsprechend der jeweils ge-
wählten Vertiefungsrichtung - ausgebaut. Das Fachstudium ist im allge-
meinen deutlich "freier" ausgelegt. Im Idealfall dient es dazu, neben der
spezifisch fachlichen Vertiefung auch die Persönlichkeitsentwicklung der
Studenten als eigenständige kreative Künstler zu entwickeln. In der Regel
endet das Studium mit einer Abschlußarbeit (Meisterarbeit), über die ein
abschließendes Testat der Professoren im Sinne eines "Akademiebriefes"
oder eines qualifizierten "Meisterbriefes" erstellt wird.
Parallel zu seinem Studium an der Kunstgewerbeschule schreibt sich Jupp
Heinz auch an der Trierer Hochschule für Lehrerbildung ein. Offensichtlich
kommt er damit dem Wunsch seiner Eltern entgegen, dass aus ihrem Sohn
im späteren Leben einmal "etwas Ordentliches" - möglichst ein Lehrer -
werden soll.
1939 Zum Wintersemester 1939/40 wechselt Jupp Heinz an die Kölner Werk-
schulen, um in der dortigen Meisterklasse bei Prof. Wolfgang Wallner
(1884 - 1950) das Fach Plastik/Bildhauerei weiterstudieren und ab-
schließen zu können.
Jupp Heinz in der Kölner Werkschule, Fachklasse Bildhauerei; rechts: Abschlussarbeit 1940
(Zur Vergrößerung bitte auf die Abbildung klicken)
Unmittelbar nach der Machtergreifung Hitlers am 30.01.1933 beginnt die
Gleichschaltung der "Deutschen Kunst", deren staats-organisatorische
Basis von Joseph Göbbels durch das Reichskulturkammergesetz am
22.09.1933 geschaffen wurde (Siehe Kapitel: "Künstler in der NS-Zeit")
Dieses Gesetz hatte in der Folgezeit gravierende Auswirkungen insbe-
sondere auf die Ausbildung von Künstler und Künstlerinnen, entbrannte
doch unter den Professoren ein Richtungs- und Flügelkampf zwischen den
Vertetern einer freien, "internationalen" Kunst und den Vertretern einer
arisch-völkischen - eben einer spezifisch "Deutschen Kunst" nach den
Vorstellungen Hitlers und der Nationalsozialisten. Im Zuge dieser Aus-
einandersetzungen wurden viele Professoren und Dozenten mehr oder
minder zwangsweise mit der Begründung, "entartete Kunst" zu betreiben
und zu lehren, ihrer Ämter enthoben.
1936/37 ist die organisatorische Gleichschaltung der Deutschen Kunst
im Sinne einer "nationalsozialistisch geprägten Volkskultur" weitgehend
abgeschlossen. Nur diejenigen Künstler, die als Mitglieder der Reichs-
kammer der Bildenden Künste - nunmehr die einzige legitime Berufs-
vertretung für Maler und Bildhauer - registriert sind, erhalten fortan
staatliche Förderungen, öffentliche Aufträge und Ausstellungsmöglich-
keiten im deutschen Kunsthandel. Letztentlich bedeutet der systematische
Entzug der wirtschaftlichen Grundlage ein Berufsverbot für alle "unorga-
nisierten", "nicht-arischen" und "entarteten" Künstler.
Viele der Lehrkräfte an deutschen Ausbildungsstätten weichen in die
politisch unbedenkliche Landschafts- und Portraitmalerei (Naturalismus)
aus, gehen in eine "innere Emigration" und meiden jegliche kritisch-
thematische Auseinandersetzung mit politisch-sozialen Themenstel-
lungen in ihrer Kunst. Andere emigrieren in's Ausland.
Ob dies bei Jupp Heinz Entscheidung eine Rolle spielte, von Trier nach Köln
zu wechseln, mag dahingestellt sein. Wolfgang Wallner, sein Professor in
Köln, wurde dort 1939 stellvertretender Direktor und zählte seinerzeit zu
den einflußreichsten, politisch angepassten Künstlern in Köln.
Möglicherweise spielte aber auch eine andere Überlegung eine Rolle:
Traditionell hatte die Kirchenkunst im überwiegend römisch-katholischen
Rheinland und insbesondere auch im Bistum Köln während der NS-Zeit
einen besonderen Status. Das zwischen dem Heiligen Stuhl (Papst Pius
XII) und dem Deutschen Reich am 29. Juli 1933 abgeschlossene "Reichs-
konkordat" sicherte den katholischen Bekenntnisschulen eine weitgehende
Autonomie in der christlichen Lehr- und Lebensauffassung sowie dem
Schutz des Schul- und Kircheneigentums zu.
Tatsächlich entwickelte sich daraus nach 1933 eine gewisse "Schutzschild-
funktion" für beruflich aktive Kirchenkünstler in Köln, da die katholische
Kirche selbständig Aufträge an "ihren" Künstlerkreis (Bildende Künstler,
Architekten usw.) vergeben konnte und somit - staatsunabhängig - für
eine finanzielle Lebensabsicherung der ihr Schutzbefohlenen sorgen
konnte.
Das Primat der NS-Ideologie war in diesem Bereich ausgesetzt. Öffentlich
wirksame "Dissonanzen" zwischen der NS-Ideologie und den Geistlichen
als Vertreter einer christlichen Lebensauffassung wurden - bis auf wenige
Ausnahmefälle - nicht thematisiert. So war die christliche "Missionsarbeit"
der Steyler Missionsschulen zwar politisch unerwünscht, wurde aber -
mehr oder minder stillschweigend - toleriert.
Jupp Heinz war sich seiner Situation als angehender Künstler in diesem
politisch-ideologischen Spannungsfeld durchaus bewußt. Mit Absicht bear-
beite er in dieser Zeit betont religiöse Thematiken und wählte für seine
Arbeiten Motive mit klarer christlicher Ikonographie. Dies rückte ihn - fast
automatisch - in die Nähe zeitgemäß moderner "Kirchenkünstler".
akademische Studienarbeiten
Jupp Heinz: Studienarbeiten (1936 -1940)
obere Reihe: Malerei/Grafik - Blumenstillleben in Glasvasen
untere Reihe: Plastik/Bildhauerei: hier Tonmodell "Tröstende Mutter mit Kind" als
Vorlage für einen späteren Bronzeguss; rechts: Portaitbüste (Holz)
Musterung und Wehrdienst
Im Juni 1935 wird die Verordnung über die Musterung und Aushebung aller
Wehrpflichtigen im Deutschen Reich veröffentlicht. Danach sind alle wehr-
fähigen deutschen Männer "arischer Herkunft" ab der Jahrgangsstufe 1914
zum Dienst an der Waffe verpflichtet. Ausnahmen und Zurückstellungen von
der Wehrpflicht werden unter anderem Schülern und Studenten bis zum
Abschluß ihrer Erstausbildung, sowie einigen versorgungswichtigen Perso-
nengruppen (u.a. erstgeborenen Bauernsöhnen, gewerblichen Firmennach-
folgern, Seeleute etc.) und den unter das Reichskonkordat fallenden Kleri-
kern der christlichen Konfessionen gewährt.
Der 19-jährige Jupp Heinz wird 1936 gemustert, für "wehrtauglich" befunden
und der "Ersatzreserve 1" für den Einsatz in der Luftwaffe zugewiesen.
1939 Am 01. September 1939 beginnt der 2. Weltkrieg mit dem Überfall auf Polen.
1940 Jupp Heinz wird im Januar 1940 unmittelbar aus der Meisterklasse von Pro-
fessor Wolfgang Wallner in Köln zum Wehrdienst einberufen und der Luft-
waffe zugeteilt. Er wird kaserniert und erhält eine halbjährige Grundaus-
bildung als Rekrut.
Auf Intervention von Prof. Wallner beantragt Jupp Heinz für das Winterse-
mester 1941/1942 einen befristeten Studienurlaub, um seine Bildhauer-
ausbildung fortzusetzen und abzuschließen. Diesem Antrag wird stattge-
geben. Jupp Heinz vollendet eine lebensgroße, weibliche Statuette als Ab-
schlußarbeit (Abbildung siehe oben) und kehrt anschließend zur Truppe
zurück.
1941 Mit Beginn des Russlandfeldzuges (Unternehmen Barbarossa) am 22. Juni
1941 wird Jupp Heinz mit seiner Luftwaffeneinheit in den Osten zur Unter-
stützung der Heeresgruppe Mitte verlegt. Vier lange Jahre bis zur Kapitulation
der Heeresgruppe Mitte am 8. Mai 1945 dient er dort "im fliegenden Personal",
erhält zwischendurch in Paris eine Ausbildung zum militärischen Bildauswerter
und steigt als "Luftaufklärer" vom Rekruten zum Flieger (Luftwaffen-Rang-
abzeichen 1 Winkel), zum Gefreiten (2 Winkel) und zum Obergefreiten (3
Winkel) auf. Dem Kessel von Stalingrad entkommt er "auf dem letzten
Drücker", da der Pilot einer der letzten Junkers-Flugzeuge für den Rückflug
dringend einen erfahrenen Luftaufklärer und Navigator benötigte.
Jupp Heinz als Flieger Gefreiter Obergefreiter
1945 Von Mai bis Dezember 1945 befand sich Jupp Heinz als Wehrmachtsangehöri-
ger nach der Kapitulation in offizieller britischer Kriegsgefangenschaft. Die
Engländer hatten in Norddeutschland vier Auffangzonen für rund 1,42 Mio.
deutsche Kriegsgefangene eingerichtet. Jupp Heinz war der Auffangzone I:
"Ostfriesland" zugeteilt worden. Er war damit einer von 180.000 Soldaten in
der Auffangzone I.
Mangels befestigter Unterbringungsmöglichkeiten campierten die Kriegs-
gefangenen in Erdlöchern, in Zelten auf freiem Feld, in Ställen oder
in Scheunen und Schobern. Innerhalb des relativ großräumigen Sperrgebietes
konnten sich die Soldaten frei bewegen. Nur die meist unbefestigten Sperr-
gebietsgrenzen wurden durch (rekrutierte) deutsche Zweimannpatrouillen
(Feldjäger) mehr schlecht als recht kontrolliert.
Zu flüchten machte für die meisten internierten Kriegsgefangenen aber
keinen Sinn, denn ohne Entlassungspapiere bekam man weder Passier-
scheine für die Heimfahrt noch die notwendigen Unterlagen für die
dortige behördliche Anmeldung und vor allem keine der dringend benötigten
Lebensmittelkarten ausgehändigt.
Die Engländer setzten auf eine deutsche Zivilverwaltung in ihren Auffang-
gebieten und behielten die Organisationsstrukturen, Zuständigkeits- und
Rangabfolgen der Wehrmacht vorerst bei. Trotz Versorgungsengpässen
organisierte sich das alltägliche Lagerleben in der nachmilitarisierten Phase
relativ schnell. Man improvisierte, wo man nur konnte.
Jupp Heinz gab u.a. Kurse zum Schnitzen von Gebrauchsgegenständen aus
Holz, vermittelte rudimentäre Sprachkenntnisse in Englisch und Französisch
und unterrichtete daneben auch grafische Gestaltungs- und Drucktechniken
sowie Zeichnen und kunsthistorisches Wissen. Im Lager traf Jupp Heinz unter
anderem auf Hansjörg Martin (1920-1999) und Heinz-Karl Hofmann.
Beide hatten ähnliche Lebensläufe wie Jupp Heinz als zur Wehrmacht eingezo-
gene Kunststudenten und Soldaten an der Ostfront aufzuweisen.
Hansjörg Martin wurde am 01.11. 1920 in Leipzig geboren und verstarb am 11. 03.
1999 in seinem Altersdomizil auf Mallorca. Er begann ein Kunststudium (freie
Malerei) an der Kunstakademie in Leipzig, ehe er 1941 zur Wehrmacht einge-
zogen, dann zunächst zur kämpfenden Truppe an der Front nach Russland
und anschließend in die Niederlande versetzt wurde. In den Niederlanden
geriet er in britische Kriegsgefangenschaft und wurde - wie Jupp Heinz - in
der britischen Auffangzone I "Ostfriesland" interniert. Hier traf er auf Jupp
Heinz und Heinz-Karl Hofmann.
Später - ab den späten 50er Jahren machte Hansjörg Martin sich als Autor
von Kriminalromanen einen Namen. Insgesamt schrieb er rund 35 Krimis
sowie einige Fernsehdrehbücher für den "Tatort" in der ARD. 1963/64
wechselte er als festangestellter Mitarbeiter zum Norddeutschen Rundfunk.
Neben Kinder- und Hörfunksendungen im Radio verfasste er Skripte zu TV-
Produktionen im damaligen ARD-Schulfernsehen. Zu dieser Zeit wohnte er
in Wedel bei Hamburg, wechselte dann aber als freier Autor zurück nach
Norden in Ostfriesland. Zeitweise war er in seinem Ferienhaus auf Norderney
tätig. Aus seiner Feder stammen mehrere Fernsehfilme, die allesamt zunächst
oberflächlich erscheinende, dann aber - nach professioneller Krimistruktur
immer raffiniert-hintergründig verschachtelte persönliche Schicksale thema-
tisierten. Seinen Lebensabend verbrachte der vielfach ausgezeichnete
Fernsehautor Hansjörg Martin in seiner Finka auf Mallorca.
Heinz-Karl Hofmann's Lebenslauf ist vergleichsweise wenig dokumentiert.
Auch er hat eine künstlerische Ausbildung absolviert und sich vor Kriegs-
beginn bereits als angehender Bildhauer/Plastiker auf der Insel Norderney
etabliert. Dem Vernehmen nach wohnte seine Familie dort. Auch er wurde
zur Wehrmacht eingezogen und geriet 1945 in britische Gefangenschaft in
Ostfriesland. Die britischen Verwaltungsstellen initiierten schon relativ früh
die Herausgabe eines deutschsprachigen Wochenblattes für die "Auffangzone
I". 1949 lizensierten sie - wohl auf ihren Erfahrungen aufbauend - die Neu-
erscheinung der traditionsreichen Tageszeitung "Ostfriesische Nachrichten"
in Aurich, die von Anfang an mehrere lokale Kreis- und Ortausgaben besaß.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit arbeitete Heinz-Karl Hofmann zunächst als
Redakteur sowohl für das britische Wochenblatt wie später (unter dem
Redaktionskürzel HKH) für die Tageszeitung "Ostfriesischen Nachrichten"
(unbestätigt). Als Redakteur kam er viel herum, sammelte und pflegte
Kontakte zu den Verwaltungsbehörden und war auch in Bezug auf geplante
Kulturveranstaltungen (Kinoprogramme, Theateraufführungen, Vorträge,
Kunstausstellungen etc.) stets "auf dem Laufenden".
Die gemeinsame künstlerische "Ader" verband schnell das Trio. Schon
während der Internierungszeit schloß man enge Freundschaft. Alle Drei
hatten einen Faible für den Unterhaltungsbereich. Alle Drei liebten die Bühne,
malten Bühnenbilder, planten Ausstattungen und Dekorationen von Bühnen-
stücken etc. und alle Drei hatten auch keine Scheu, selbst als Darsteller vor
Publikum aufzutreten. Jupp Heinz als unterhaltsamer Musikus, Hansjörg Martin
als Komödiant und Clown sowie Heinz-Karl Hofmann als Ansager und witziger
Conferencier. Nach seiner Entlassung zu Weihnachten 1945 blieb Jupp Heinz
bei seinen Freunden in Friesland. Die Drei schmiedeten für ihre Zukunft ge-
meinsame Pläne.
Mit der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft begann für die Drei auch
künstlerisch die "Stunde 0".
Neuorientierung - Suche nach neuen Darstellungsstilen
Mit Kriegsende hatte die ideologisierte "Deutsche NS-Kunst" weitgehend "ab-
gewirtschaftet". Die Verehrung aktueller Volkshelden, verherrlichende Kriegs-
und historische Schlachtenbilder, nach antiken Vorbildern heroisierend darge-
stellte germanische Krieger und Kämpfer, bäuerliche "Blut- und Boden"-Motive
mit arbeitseifrigen reinrassisch arischen Großfamilien, eingespannte Acker-
gäule, üppig gesunder Viehbestand, Mägde und Knechte bei der Feldarbeit etc.
- das alles war auf einmal komplett "out".
Sicherlich mit hoher (akademischer) "Malkunst" gemalt, verschwanden solche
Bilder ganz schnell in der Versenkung (und in den Depots der Museen). Keiner
wollte "Deutsche Kunst" mehr sehen, geschweige denn - sie produzieren.
Doch was könnte an ihre Stelle treten? Ein erstaunlicher Paradigmenwechsel
sollte alsbald in Deutschland einen künstlerischen Neuanfang - eben die
"Stunde 0" markieren. Nun lehnte man sich an amerikanische, englische und
vor allem französische Künstler an, ließ sich von ihnen inspirieren und ver-
suchte, nach und nach eine eigene individuelle Handschrift - eben einen
neuen eigenen Darstellungsstil - zu finden. Sicherlich kein leichtes Unter-
fangen. Man brauchte einfach seine Zeit, um nach dem Diktat der "Deutschen
Kunst" etwas Neues zu entwickeln. Alles, was lange Jahre zuvor als "undeut-
sche" und somit "entartete" Kunst verpönt war, wurde nun zunehmend interes-
santer. Viele deutsche Künstler und Künstlerinnen lösten sich nach und nach
aus ihren Prägungen und experimentierten, meist noch zaghaft-erkundend,
mit Stilrichtungen wie dem Expressionismus, dem Kubismus, dem Dadais-
mus, dem Surrealismus, dem magischen Realismus und der neuen Sachlich-
keit. Zudem zeichneten sich gegen Ende der 40er-/ Anfang der 50er-Jahre am
internationalen Kunsthorizont erste komplett neue Stilentwicklungen ab, wie
die Op-Art, die Pop-Art, die Kybernetik und verschiedene "informelle Kunstan-
sätze" (Fluxus, Konzeptkunst, Performance etc.). Damit nicht genug -
wechselten nunmehr auch häufiger die Darstellungsarten. Neben den
klassischen (pinselgeführten) Maldisziplinen (Aquarell- und Ölmalerei) trat die
Acrylmalerei, verschiedene technische Farbspritztechniken (u.a. Street-Art)
sowie mit der Einbeziehung unter anderem von "Kunst"-stoffen unterschied-
liche Formen von Materialcollagen und Materialmixen.
Jeder deutsche Künstler und Künstlerin hatte zur "Stunde 0" eine eigene
individuelle Antwort auf die Veränderungen der künstlerische Rahmenbe-
dingungen nach dem 2. Weltkrieg zu finden.
So auch Jupp Heinz und seine beiden ehemaligen Lagergefährten Hansjörg
Martin und Heinz-Karl Hofmann.
1945/46 Nach eigenen Angaben arbeitete Jupp Heinz nach seiner Entlassung aus
der britischen Kriegsgefangenschaft malerisch und grafisch überwiegend
mit "Flippi" (= Hansjörg Martin) in dem Küstenstädtchen "Norden" in Ost-
friesland zusammen. Hier hatten beide wohl eine gemeinsame, relativ
billige und verhältnismäßig enge "Behausung" gefunden, von der
aus sie - wann immer es ihnen möglich war - zum Malen auf die damals
noch nicht wieder touristisch erschlossene Insel Norderney auswichen.
Das Alltagsleben in Norden gestaltete sich recht schwierig. In der über-
wiegend landwirtschaftlich geprägten Umgebung fehlten Arbeitsplätze.
Vor allem Vertriebene und Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten
des Deutschen Reiches sorgten für eine Bevölkerungsexplosion.
Zwischen 1945 und 1948 stieg die Bevölkerung Ostfrieslands von rund
295.000 auf 390.334 Einwohner, für die erst eine entsprechende Infra-
struktur durch improvisierte Barackenlager, provisorische Schulen und
Krankenhäuser etc. aufgebaut werden mußte.
Die Stadt Norden hatte alleine 26.000 Zugezogene zu verkraften.
Man ging ungewöhnliche Wege, um dem Problem Herr zu werden. So
erhielten auf Initiative des damaligen Regierungspräsidenten in Aurich
die "Deicharbeiter", die sich bei der Stadt Norden verdingten, als
Ausgleich für Ihre Arbeit einen Teil des neugewonnenen Siedlungslandes
im "Leybuchtpolder", um auf den Parzellen einen landwirtschaftlichen
Betrieb, zumindest aber einen Nebenerwerbs- bzw. einen Selbstversor-
gerbetrieb, zu gründen.
Eine gewisse "kulturelle Grundversorgung" der zugezogenen Bevölke-
rung nahmen die ab Mitte 1945 entlassenen deutschen "Kapitulations-
gefangenen in britischem Gewahrsam" - so unter anderem auch die
"Drei Künstler", Josef-Peter Heinz ("Jupp"), Hansjörg Martin ("Flippi")
und Heinz-Karl Hofmann ("Charli") durch ihre Auftritte wahr. Gemeinsam
bildeten "die Drei" ein lustiges und erfolgreiches Trüppchen, dessen
Unterhaltungsangebot gerne angenommen wurde.
Tatsächlich bestand ein regelrechter "Hunger nach Kunst und Kultur" in
der Bevölkerung und nach den Entbehrungen der Kriegszeit sehnte
man sich allgemein nach ein wenig Leichtigkeit und Unterhaltung.
1945 Nur wenige der zur "Stunde 0" entstandenen Gemälde von Jupp Heinz
sind bekannt und erhalten geblieben. Eine erste Kunstausstellung unter
dem Titel: "Maler der Marsch" fand im November 1945 in Nordens
Barackenlager in Tidofeld sowie einen Monat später in einer Scheune
auf dem Gebiet des späteren Stadtteils Norden-Neustadt statt. Es ist
nicht gesichert, ob Jupp Heinz dort bereits mit eigenen Werken vertreten
war. Hier lernte er und sein Freund "Flippi" aber die Malerkollegen Hans
Trimborn, Heinz Kuth und Herbert Dunkel kennen, mit denen er sich im
Folgejahr 1946 zur Künstlergruppe "Wir Fünf" zusammenschloß.
1946 Jupp Heinz arbeitet nun als offiziell angemeldeter, gewerblicher "Kunst-
maler" und akquiriert vor allem Auftragsarbeiten im Bereich der
Familien- und Portraitmalerei. Zudem fertigte er Genre-Zeichnungen mit
dörflichen Alltags-Szenen an und schnitzte neben Kerzenleuchtern auch
sakrale Holzfiguren sowie Reliefpanele - meist Christusdarstellungen und
Kreuzwegmotive - die vor allem unter den Heimatvertriebenen als Teil von
privaten Hausaltären gefragt waren und sich gut verkaufen ließen.
Bandbreite der künstlerischen Ausdrucksmittel von Jupp Heinz
oben links: Bleistiftzeichnung oben rechts: Pinselzeichnung
mitte links: Aquarellmalerei mitte rechts: Ölmalerei
unten links: Relief-Schnitzerei unten rechts: Bildhauerei
Norderney und die Künstlergruppe: "Wir Fünf"
Die Nordseeinsel Norderney verzeichnete zwischen den beiden Weltkriegen
bei einer relativ konstanten Einwohnerzahl von rund 4.300 Bürgern stetig
steigende Kurgastzahlen, die 1939 auf rund 48.000 Personen als regis-
trierte Kurgäste angewachsen waren. Zusätzlich wurde die Insel von einer
Vielzahl von Ausflugstouristen (Tages-, Wochenend- und Campinggäste)
besucht. Auf diesen Personenkreis war ein Großteil der Lokale und An-
denkengeschäfte, Gaststätten, Cafe's- und Imbissstuben, Bars und Res-
taurants auf Norderney zugeschnitten. Das Unterhaltungsangebot für die
Gäste umfasste Film- und Theateraufführungen, Kur-Konzerte, "bunte"
Abende mit Schlagerauftritten mehr oder minder prominenter Unterhal-
tungskünstler, Sportveranstaltungen, Lesungen, Kunstausstellungen und
ein breites Angebot von Kursen sowie geführte Besichtigungstouren zu
den Sehenswürdigkeiten der Insel.
Wärend des 2. Weltkrieges reduzierte sich die Anzahl der Touristen schlag-
artig. Die leerstehenden Übernachtungskapazitäten wurde zunächst durch
"Kraft-durch-Freude" Reiseteilnehmer (KDF-Reisen), dann später durch
rekonvaleszente Kriegsverwundete und ausgebombte Familien ("Kinder-
landverschickung") ausgelastet. Zur Unterhaltung gründete man 1943/44
eigens die "Soldatenbühne Norderney".
Nach der Kapitulation requirierten die britischen Truppen die Pflege- und
Kureinrichtungen als "Leave Centre" (Erholungszentrum) für Angehörige
der britischen Rheinarmee. Zugang zur Nordseeinsel Norderney erhielten
eine Zeit lang nur noch Personen mit einem Erlaubnisschein der britischen
und kanadischen Militärverwaltung. Aus der ehemaligen deutschen "Solda-
tenbühne" wurde die "Neue Bühne Norderney (NBN)". Offiziell war das NBN
ein Tourneetheater, das aber in der Regel auf einheimische Kräfte und
Künstler - unter anderem auch auf die Kriegsgefangenen der britischen
Auffangzone 1 (Ostfriesland) zurückgriff.
Josef Peter Heinz (Jupp), Hansjörg Martin (Flippi) u. Karl Heinz Hofmann
(Charli) besaßen solche Passierscheine und traten als Trio wohl regelmäßig
in der "Neuen Bühne Norderney (NBN) sowie im Kurhotel "Kaiser Franz Josef"
mit einem eigenen, musikalisch untermaltem Unterhaltungsprogramm auf.
Den Kontakt zu anderen Künstlern - vor allem zu den Bildenden Künstlern
auf Norderney hielt Karl Heinz Hofmann (Charli), der schon früh Mitglied
im "Künstler-Bund-Norderney (siehe Foto oben) war und im "Kunstsalon"
in der Mittelstraße 3 verschiedene Ausstellungen der einheimischen Maler
Poppe Folkerts, Julian Klein von Diepold, August Heitmüller und Paul Ernst
Wilke mitorganisiert und betreut hatte.
Dem Vernehmen nach soll es auch Karl Heinz Hofmann gewesen sein, der
Ende 1945 seine beiden Bandkollegen mit dem Multitalent und "Tausend-
sassa" Hans Trimborn bekannt machte.
Anfang 1946 gründet Hans Trimborn bei einem seiner "Heimatbesuche" auf
Norderney zusammen mit ihnen und den beiden Kollegen Herbert Dunkel
und Heinz Kuth die Künstlergruppe "Wir Fünf". Wie lange diese Künstler-
gruppe existierte, ist nicht ganz sicher. Möglicherweise wurde sie anfänglich
zunächst als Musikcombo zum gemeinsamen Gelderwerb gegründet, doch
schon bald wandelte sich der Focus innerhalb der Gruppe und die gemein-
samen malerisch-gestalterischen Interessen traten in den Vordergrund.
Am 02.08 1891 in Godesberg geboren, studierte Hans Trimborn zunächst
Medizin und arbeitete dann einige Zeit als Arzt. Den gesicherten Arztberuf
gibt er allerdings nach kurzer Zeit zugunsten eines Studiums der Malerei
und der Musik wieder auf. Er erweist sich als musikalisches Talent, wird ein
glänzender Pianist, spielt einige Zeit als Solist klassisch-symphonische Musik
und bewirbt sich 1919 auf eine angebotene Stelle im Norderneyer Sympho-
nieorchester. Schon bald danach wird er offizieller Kapellmeister des Kur-
orchesters in Norderney.
Quasi nebenberuflich arrangiert Hans Trimborn erfolgreich eigene U-Musik,
tritt zusammen mit seiner ersten Ehefrau in Konzerten auf, spielt im Rund-
funk und untermalt an Sommerabenden die Stummfilme im örtlichen
"Openair-Kino" mit virtuos improvisiertem Klavierspiel. Er gründet eine
eigene vierköpfige Tanzkapelle, spielt in diesem Verbund überwiegend
Klarinette und Lead-Saxophon und tingelt mit seiner Band durch die
Tanzlokale und Hotelbars der Insel.
Zusammen mit dem Bildhauer Bernhard Hoetger richtet er auf Norderney
ein uriges Künstlerlokal ein, das als "Kiekbimutt" bekannt und wegen der
dort intonierten Swingmusik unter den Künstlerkollegen zum Geheimtipp
wird. Man trifft sich im "Kiekbimutt", diskutiert, raucht und trinkt seinen
"Noodi" - einen klaren Schnaps. Zum "Kiekbimutt" gehörte auch eine
Kunstgalerie (zum Kieken), über die Hans Trimborn seine eigenen male-
rischen und grafischen Werke, wie auch die seiner Künstlerkollegen an
Sammler und Kurgäste zu verkaufen gedenkt.
In wirtschaftlicher und familiärer Hinsicht hat er allerdings wenig Fortune.
Er ist kein Kaufmann, haßt als kreativer Kopf jeglichen Zwang und lang-
fristig einschränkende persönliche Bindungen. Seine Ehen scheitern je-
weils an neuen Amouren. Auch sonst ist er rastlos. Ständig schweben ihm
neue Ideen und kreative Konzepte im Kopf herum.
So "erfindet" er unter anderem eine Art neuer Tauschwährung, mit
der (vor der Währungsreform) im "geschlossenen" System der Insel
Norderney Produkte und Dienstleistungen ohne direkten Geldeinsatz
untereinander "verrechnet" werden konnten. Eine kurze Zeit lang wird
diese (private) Tauschwährung - unterstützt von der Inselverwaltung -
auch in der Bevölkerung benutzt.
Von 1919 bis 1939 wohnt er in der Wilhelmstraße 12 auf Norderney. Mit
Kriegseinbruch verläßt er die Insel und zieht nach Lüretsburg bei Norden,
später mit seiner zweiten Ehefrau in ein neuerbautes Haus in Arle.
Allerdings kehrt er der Insel nicht ständig den Rücken zu. Er kommt häufig
zurück, um im Kundenauftrag diverse Privathäuser und Cafes auf der Insel
auszumalen.
Am 10.10.1979 verstirbt Hans Trimborn im Alter von 88 Jahren in Norden.
Er wird auf dem örtlichen Friedhof beigesetzt. Heute ist das örtliche
Heimatmuseum auf Norderney nach ihm benannt. Weitere Infos zur Vita
von Hans Trimborn beinhaltet sein Künstlerprofil.
Herbert Dunkel (1906-1966)
Herbert Dunkel wurde am 14.11. 1906 als Sohn eines Berliner Stadtarchi-
tekten, der als Kustos am Märkischen Museum in Berlin beschäftigt war,
geboren. Schon früh weckte der Vater gezielt das künstlerische Interesse
seines Filius, nahm ihn zu ärchäologischen Ausgrabungen mit, ließ ihn die
Fundstücke zeichnen und erklärte deren kunst- und kulturhistorische
Bedeutung. Über seinen Vater lernte der Jugendliche einige der bedeu-
tensten Berliner Kulturwissenschaftler und Künstler ihrer Zeit- darunter
Max Liebermann - kennen. Das prägte ihn. Was Wunder, dass Herbert
Dunkel in der Folgezeit selbst freischaffender Künstler werden wollte.
Seine diesbezüglichen Bemühungen um eine akademische Ausbildung
scheiterten jedoch. Er machte statt dessen eine Lehre als technischer
Elektrokonstrukteur bei Siemens und Telefunken in Berlin. Seine Arbeit
war kriegswichtig, so dass er vom aktiven Wehrdienst freigestellt wurde.
Nach der Kapitulation der Deutschen geriet er in sowjetische Kriegsgefan-
genschaft, wurde aber nach fünf Monaten wieder entlassen und zog zur
Familie seiner Frau - Hanne von Stipariaan - nach Norden (Ostfriesland).
Hier betätigte er sich - unterstützt von der Familie seiner Frau - als frei-
schaffender Künstler. Nach und nach engagierte er sich in der berufstän-
dischen Vertretung seiner Künstlerkollegen, wurde Gründungsmitglied
des Berufsverbandes Bildender Künstler (BBK) Nordwestdeutschland und
leitete alsbald die Bezirksgruppe Ostfriesland. Er nutzte die Verbindungen,
organisierte Kunstausstellugen und kümmerte sich um deren Finan-
zierung durch die Militärverwaltung und verschiedene große deutsche
Wirtschaftsunternehmen (Emdener Hafengesellschaft, Nordseewerke etc.).
Mit seinem Verhandlungsgeschick, seiner Beweglichkeit und Kontaktfreunde
räumte er so manchen Widerstand gegen eigene Kunstprojekte und die
seiner Freunde zur Seite. Über seine intensive Auseinandersetzung mit der
internationalen Kunstgruppe CoBrA fand er selbst zur expressiven Abstrak- tion. Er prägte mit seiner Organisationserfahrung massiv die Arbeit der
Künstlergruppe "Wir Fünf", die hauptsächlich auf dem Festland in Norden
und Umgebung agierte, aber sich vorzugsweise in Norderney - vermutlich
in Trimborns Künstlerlokal "Kiekemutt" traf. Herbert Dunkel wurde später
Kunsterzieher am Gymnasium Ulricianum in Aurich. Am 08.12. 1966 ver-
starb Herbert Dunkel infolge eines Verkehrsunfalls auf dem Wege von
seinem Wohnhaus in Norden zu seiner Arbeitsstätte im Gymnasium
Ulricianum im benachbarten Aurich.
Heinz Kurth
Über das fünfte Mitglied der Künstlergruppe "Wir Fünf" ist vergleichsweise
wenig bekannt. In Künstlerverzeichnissen ist Heinz Kurth vereinzelt als ein
"deutscher Grafiker des 20. Jahrhunderts" aufgeführt.
Als Künstler war er überwiegend in Ostfriesland, vorzugsweise auf
Norderney tätig. Sein Spezialgebiet waren historisch anmutende Stiche
und Lithografien, die dem Geschmack der Kurgäste und der Badetouristen
entsprachen. Heinz Kurth besaß eine kleine eigene Druckwerkstatt-
statt auf Norderney. Hier fertigte er im Kundenauftrag Speise- und Ge-
tränkekarten für die umliegenden Restaurants. Daneben nutzte er seine
Druckwerkstatt natürlich auch dazu, Zeichnungen auf Stein (Lithografien),
präzise, fein ausgearbeitete Stahlstiche aber gelegentlich auch grobe
Holzschnitte in kleinen Auflagen händisch abzuziehen und zu colorieren. Die Qualität seiner Werke läßt vermuten, dass er jahrelange Übung und
Erfahrung im Druck solcher Grafiken hatte. Seine Motivwelt umfaßte
typische Nordsee-Strandlandschaften sowie einzelne Sehenswürdigkeiten
der Insel. Möglicherweise arbeitete Heinz Kurth - wie einige seiner Illus-
trationen vermuten lassen, im Rahmen einer Festanstellung auch für einen
deutschen oder einen niederländischen Reisebuchverlag (unbestätigt).
Welchen Part Heinz Kurth im Rahmen der Künstlergruppe "Wir Fünf" spielte,
ist unklar. Musikalisch war er eher ein Laie, spielte aber leidlich gut Mund-
harmonika und Harmonium ("Quetschebüggel"). Als Künstlerkollege vertrat
er schwerpunktsmäßig die handwerklich-praktische Komponente der Gestal-
tungsarbeit. So kümmerte er sich in erster Linie um die Beschaffung und
Bereitstellung des malerischen Werkzeuges und des Materials. (Pinsel,
Farben, Papiere, Leinwände etc.) Tatsächlich war es kurz nach dem Krieg
recht aufwändig, in ausreichendem Maße an "brauchbares" Künstlermaterial
zu gelangen. Vieles war nur durch gute Beziehungen oder über den Schwarz-
markt zu bekommen.
Im Nachherein betrachtet, war die Künstlergruppe "Wir Fünf" wohl eher
eine reine Zweckgründung, um sich gegenseitig zu helfen und bezüglich der
Arbeitsorte, des Materialeinkaufes und der Vermarktung der Kunstwerke zu
unterstützen. Ein gemeinsamer Auftritt der Künstlergruppe auf Ausstellun-
gen läßt sich zur Zeit nicht belegen, wohl aber die unabhängige Ausstel-
lungsteilnahmen einzelner Künstler aus der Gruppe.
Leider liegen auch keine Aufzeichnungen darüber vor, ob das Ziel der
Gründung eine gemeinsame stilistische Ausrichtung der Gruppe sein sollte.
Sicherlich hat man viel voneinander gelernt und sich auch gegenseitig
beeinflußt, aber im Kern blieb es dabei, dass jeder der beteiligten Künstler
zur "Stunde 0" eine eigene Antwort auf die politischen, gesellschaftlichen
und vor allem kulturellen Veränderungen der Nachkriegszeit - und damit
einen individuellen eigenen Gestaltungsstil - finden mußte.
1947 Das Alltagsleben in Norden und Umgebung normalisiert sich zunehmend
wieder. Die von den Briten in Ostfriesland eingerichtete Auffangzone I
für Kriegsgefangene wird organisatorisch aufgelöst. Auch die Zugangs-
beschränkung zur Insel Norderney wird aufgehoben. Das "Leave Centre",
das bis dahin ausschließlich als Erholungszentrum für die Soldaten der
Britische Rheinarmee und deren Familien diente, öffnet seine Türen nun
auch wieder für deutsche Gäste. Der Kurbetrieb nimmt allmählich wieder
"Fahrt" auf. Noch ist die Versorgungslage in der Bevölkerung - bedingt
durch eine grassierende Inflation - schwierig. Auf einen "Eisnotwinter"
(- 23 Grad) folgt ein Wärmesommer mit Temparaturen zwischen 32
und 35 Grad.
Max Schmeling, der beliebte Ex-Schwergewichts-Weltmeister leitet als
Chairman und Ringrichter die erste große Boxkampf-Veranstaltung auf
Norderney.
Erste Kunst- und Kulturveranstaltung werden nun auch von offizieller Seite
für die Bevölkerung geplant und mit großem Erfolg durchgeführt:
Im Mai 1947 findet die erste offizielle Nachkriegsausstellung zum Thema
"Ostfriesische Landschaft" in Aurich und 2 Monate später in Wilhelmshaven
statt. Jupp Heinz ist an beiden beteiligt.
Parallel dazu nimmt er einen Auftrag zur Ausmalung einer Kirche in
Herbstein/Oberhessen wahr. Er verläßt das Gemeinschaftatelier und die
Wohnung, die er mit seinem Künstlerlollegen "Flippi" in Norden teilte, um
sich in Herbstein einzuquartieren.
1948 Nachdem Jupp Heinz den Auftrag zur Kirchenausmalung in Herbstein ab-
geschlossen hat, kehrt er in seinen Heimatort Binsfeld in der Eifel zurück.
Die Geldentwertung der Reichsmark /Rentenmark nimmt beständig zu und
droht, von einer galoppierenden Inflation (20% Geldentwertung) in eine
Hyperinflation (mit mehr als 50% Geldentwertung pro Monat) über zu gehen.
Am 20. Juni 1948 wird durch eine grundlegende Währungsreform die
Deutsche Mark in den drei Westzonen eingeführt. Fast schlagartig hört
der Schwarzhandel auf und die Ladenregale füllen sich auf einmal wieder
mit neuer Ware. Das deutsche Wirtschaftswunder startet.
Jupp Heinz durchlebt diese Zeit auf dem Hof seiner Eltern in Binsfeld. Die
Zuzugs- und Aufenthaltbeschränkungen in den westlichen Besatzungszonen
werden nach und nach aufgehoben. Jupp Heinz besucht von Binsfeld aus
häufiger seine spätere Frau, Doris Berghäuser, die zusammen mit ihrer
Schwester Lilli im elterlichen Wohnhaus in der Endenicher Allee 136 in Bonn
wohnt. Die Berghäusers führen ein offenes, "kunst- und kulturaffines"
Haus. Der Vater, seines Zeichens ein hervorragender Kammermusiker, ist in
der "Musikstadt Bonn" gut vernetzt. Er legt Wert auf eine solide Ausbildung
seiner Töchter. Beide Töchter studieren. Doris studiert bei Professor Egon
Eiermann (1904-1970) an der TH Karlsruhe Architektur und Design, Lilli
studiert zunächst auf's Lehramt, wendet sich später aber dann der Kunst des
Theaters und der Literatur zu (unbestätigt). Noch bis in den Beginn der 50-er
Jahre ist die gesamte Kunstszene in Bonn - angesichts der erheblichen
Zerstörunen im Stadtgebiet - durch Raummangel, fehlende Infrastrukturen
und fehlende institutionelle Unterstützung durch die städtiche Verwaltung
geprägt.
Luftbildaufnahmen des zerstörten Stadtgebietes von Bonn. Links oben im Bild: die gesprengte alte Rheinbrücke, davor (mittig) Friedensplatz / Münsterplatz; Im Bild recht: die Reste des Universitäts-gebäudes und des Hofgartens.
1949 Kaum ein öffentliches Gebäude - sofern es nicht zwischenzeitlich durch die
alliierte Militärverwaltung zwangsrequiriert wurde - ist heil geblieben.
Relativ schnell bilden sich private Künstlerinitiativen und Arbeitskreise, die
bei Stadt, Land und Kommunen (Bonn, Bad Godesberg, Beuel etc.) vorstellig
werden und vor allem nach halbwegs geeigneten Präsentations- und Aus-
stellungsflächen "rangeln".
Die bildenden Künstler hat der Krieg besonders schwer getroffen, man lebt
mehrere Jahre von Provisorien, stellt in kurzfristig zugewiesenen Foyer-
räumen, in leergeräumten Klassenzimmern (während der Schulferien), in
Behelfs-Barackenbauten, auf Kegelbahnen und in Kneipen aus.
Einige Bonner Kneipen und Künstlerkeller (u.a. "die Kerze" etc.) erhalten
als Anreiz, ihre Räume für Kunstausstellungen zur Verügung zu stellen, von
der Stadt Bonn befristete Schankerlaubnisse. Erste Treffpunkte für die
Bonner Künstlerschaft sind damit geschaffen.
Die Ausstellungsflächen müssen aber von den Malern und Bildhauern - man
geht davon aus, dass diese handwerklich versiert sind - selber in "Schuß"
gebracht werden. Andere Zuschüsse gibt es in der Regel nicht.
Abb. links: Künstlerkeller "Zur Kerze", Königstr. 25 Abb. rechts: Kaufhof am Münsterplatz im Ausbau:
Treffpunkt der Kreativen (Schauspieler, Der oberster Stock wurde interimsweise
Musiker, Poeten, Bildende Künstler etc.) für Ausstellungen bereitgestellt
Bonn als Musikstadt
Der Musiker- und Schauspielergilde geht es in Bonn offenbar besser. Sie sind
allgemein - wie städtischerseits unterstellt wird - weniger handwerklich
begabt, arbeiten und musizieren in Ensembles und Teams, und können daher
- wie auch schon vor dem Krieg - mit einer gewissen Fürsorgepflicht und
einem stärkeren Kultur-Engagement der Stadt rechnen. Bonn wähnt sich
- zum Ärger der bildenden Künstler - "mit Beethoven, dem großen Sohn der
Stadt" schon immer als bedeutende Musikmetropole. Die bildende Kunst
"läuft dagegen in punkto Förderung und öffentliche Unterstützung eher
hinterher". Dem "Stadt-Titanen" Ludwig van Beethoven steht in Bonn
höchstens August Macke und seine "rheinischen Expressionisten" gegenüber,
die aber erst nachträglich als alternative Kunstrichtung zur "Deutschen Kunst"
Anerkennung fanden.
Die Entwicklung der bildenden Kunstszene in Bonn
"Aus der Not eine Tugend machen"
Vorläufer und Künstler der 1. Stunde
Schon vor dem 1. Weltkrieg gab es in Bonn, wie auch in Beuel und Bad
Godesberg, lockere Zusammenschlüsse von bildenden Künstlern (und
Künstlerinnen), die unter verschiedenen Bezeichnungen als lokale
Interessensgemeinschaften auf privater Basis geführt wurden. Vorläufer
des Bonner Künstlerbundes war unter anderem eine "Arbeitsgemein-
schaft Bonner Künstler", die von dem Architekten und anatomisch-
medizinischen Zeichenlehrer an der Universität Bonn (Prof.) Karl Menser
initiiert und geleitet wurde.
1914 wird in Bonn der Bonner Künstlerbund auf Initiative von ursprüng-
lich 7 Einzelkünstlern, darunter Karl Menser im Sinne einer gemeinsamen
berufsbezogenen Interessensvertretung gegründet. (Die Eintragung als
Verein erfolgte aber erst 1920). Bis 1937 wuchs der Verein auf 19 Vollmit-
glieder und weitere 13 "assoziierte" Mitglieder an, die satzungsgemäß
nach 3 Jahren erstmals das volle Stimmrecht in ihrer Berufsvertretung
erhielten und damit auch offiziell als Bonner Künstler ausgewiesen und
anerkannt wurden. Im Zuge ihrer Mitgliedschaft im Bonner Künstlerbund
trafen sich unter der Leitung ihres gewählten Vorsitzenden Willy Stucke
(sen) regelmäßig nachfolgende Künstler/innen, um Vorschläge, Planungen,
Konzepte, Organisation und Ausstellungsprofile zusammen mit den Politikern
und städtischen Bediensteten für eine geordnete städtische Kulturarbeit zu entwickeln und abzustimmen. Ein Resultat ihrer Arbeit war die Einrichtung
und "Bespielung" eines städtischen Museums. Ein Gebäude an der Koblenzer
Straße, das der Universitätsprofessor Obernier mitsamt seiner umfangreichen
Kunstsammlung der Stadt Bonn vermacht hatte, dann lange Zeit für unter-
schiedliche Zwecke (Orchesterproben etc.) benutzt wurde, ehe es zum
"Städtischen Museum Villa Obernier" umgebaut und erweitert
wurde. Im 2. Weltkrieg brannte die Villa Obernier komplett aus. Die Ruine
wurde abgerissen und das Gelände für die Errichtung eines neuen Hotels
(heute: Hotel Königshof) verkauft.
Die Bonner "Künstler der 1. Stunde" waren alle vor der Jahrhundertwende
geboren worden:
Carl Theodor Asen 1872-1927
Julius Bretz 1870-1952
Joseph Eugen Kerschkamp 1880-1945
Elsa (Elisa)Krüger 1882-1955
Karl Menser 1872-1929
Ernst Meurer 1884-1956
Em Oeliden 1875-1934
Matthias Profitlich 1898-1943
Walter Rath 1886-1935
Willy Stucke (sen) 1880-1952
Hans Thuar 1887-1948
Paul Türoff 1873-1942
Louis Ziercke 1887-1945
Zu allen diesen Künstlern existieren auf treffpunkt-kunst.net entsprechende
Profile, die jederzeit durch Anklicken aufgerufen werden können und aus
deren Lebensläufen die Umstände und Arbeitsbedingungen der bildenden
Künstler in Bonn ersichtlich sind.
Nationalsozialistische Gleichschaltung der Deutschen Kunst
Im Zuge der 1933 per Gesetz durch die von Reichspropagandaminister
Göbbels eingerichteten und präsidierten Reichskulturkammer wurde die
nationalsozialistischen "Gleichschaltung der Deutschen Kunst" vorange-
trieben und alle bis dahin bestehenden selbständigen, freien und unab-
hängigen Künstlerorganisationen und -vereinigungen per Dekret aufgelöst.
Deren Mitglieder wurden in eine staatlich beaufsichtigte zentralen NS-Berufs-
vertretung überführt. Fortan war für (arische) Künstler, die Mitgliedschaft
in der Reichskammer der bildenden Künste verbindlich. (Siehe dazu
auch das Kapitel: "Künstler in der NS-Zeit")
1937 war die "Gleichschaltung der Deutschen Kunst" weitgehend abge-
schlossen. Der ehemalige Bonner Künstlerbund e.V. (von 1920)
wurde im selben Jahr entgültig verboten.
Nachkriegsentwicklung der Kunst in Bonn: Die "Künstler der 2. Stunde"
Knapp 10 Jahre später - nach dem Ende des 3. ("tausendjährigen") Reiches
und der Zerstörung der Bonner Innenstadt durch alliierte Bomberkomman-
dos (Abb. siehe oben) bemühte sich der renommierte Bonner Portrait- und
1946 Historienmaler Willy Stucke (senior) 1946/47 darum, den Bonner Künstler-
bund auf freiwilliger Basis wieder aufleben zu lassen. Willy Stucke "reakti-
vierte" einige seiner früheren Künstlerkollegen, um mit ihnen zusammen
nach gemeinsamen Ausstellungs- und Verkaufsmöglichkeiten für Künstler
in Bonn zu suchen. Faktisch konnte zu diesem Zeitpunkt kein Bonner
Künstler - geschweige denn Künstlerin - ohne externe finanzielle Unter-
stützung von der eigenen Kunstproduktion leben. Alle sahen sich nach ge-
eigneten Nebenerwerbsmöglichkeiten um. Willy Stucke (sen) fungierte als
Ansprechpartner und Mittler zwischen den Bonner Künstlerbund und der
Stadt Bonn. Die Stadt versuchte - in der Regel vermittelnd - zu helfen, stellte
u.a. zeitlich befristete Kunstvermittlungsjobs in Volksschulen, Gymnasien
und Weiterbildungsstätten (VHS) sowie erste, provisorische Ausstellungs-
räumlichkeiten in Schulbaracken, Kneipen und einem zwischenzeitlich im
Ausbau befindlichen Kaufhaus (oberste Etage des Bonner Kaufhofes)
sowie einigen Kellerräumen des damaligen Bonner Bürgervereins zur Ver-
fügung. Nach und nach belebte sich - wenn auch auf sehr bescheidenem
Niveau - die Bonner Künstlerszene wieder. Man hat überlebt, man organisiert
sich, bildet private Diskussionsgruppen, um sich mit Kollegen auszutauschen.
Und man feiert. Die mehr oder minder auf privater Initiative organisierten und
verhältnismäßig üppig ausgestatteten "Künstlerfeste"- sind - dem Vorbild des
Düsseldorfer Malkasten folgend, auch in Bonn legendär.
Kreative Ideen, "lustig-spektakuläre" Austattungen, politisch-ironische aber
auch frivol-erotische Motivumsetzungen werden sowohl von den Karnevals-
vereinen als auch von Bonner Kneipen- und Restaurantsbesitzern für ihre
Veranstaltungen nachgefragt. Neben "Malern" finden auch "Bildhauer" als
Modelleure der karnevalistischen Umzugswagen Arbeit. Tatsächlich sorgt
diese Form der künstlerisch-kreativen "Festkultur" in den Anfangsjahren für
ein gewisses finanzielles "Grundrauschen" bei den beteiligten Bonner
Kreativen.
1949 Der Künstlerkreis um Willy Stucke's reaktivierten Bonner Künstlerbund
wächst allmählich an. Willy Stucke (sen.) übergibt die Geschäftsführung des
Vereins an seinen Sohn Willy M. Stucke (jun). Dieser arbeitet mit seinen
Künstlerkollegen eine neue Vereinssatzung aus und beschließt - um einen
ernsthaften Neuanfang zu dokumentieren - die Auflösung der alten
Interessensvertretung und die Gründung der "Künstlergruppe Bonn".
Jupp Heinz ist von Anfang an als Gründungsmitglied der "Künstlergruppe
Bonn" mit dabei. Innerhalb der Künstlergruppe legt man Wert darauf, weder
inhaltlich noch stilistisch festgelegt zu sein. Vielmehr will man der Vielfalt der
Darstellungsstile und der individuellen Kreativität jedes einzelnen Künstlers -
respektive jeder einzelnen Künstlerin - gerecht werden.
"Wenn es eine Norm gibt, dann die, dass es keine Norm gibt"
Zu den Mitgliedern und "Künstlern der 2. Stunde" in Bonn zählen unter
anderem folgende Künstler:
Willy Maria Stucke (jun) 1909-1987 (1. Vorsitzender)
Herm Dienz 1891-1980
Hans (Juan) Dotterweich 1920-1988
Joseph Fassbender 1903-1974
Martin Frey 1907-1971
Jupp Heinz 1919-1999
Otto Küppers 1888-1985
Carl Nonn 1876-1949
Hann Trier 1919-1991
Hans Trimborn 1891-1979
Schon früh bemüht sich die Künstlergruppe Bonn, Kontakte zu anderen
(überwiegend) rheinischen Künstlergruppen aufzunehmen und deren Mit-
glieder als Gastkünstler vorzustellen und auftreten zu lassen.
Insbesondere die ursprünglich externen - später zugezogenen Künstler
Carl von Ackeren 1906-1974 (Düsseldorf)
Leo Breuer 1893-1975 (Paris)
Paul Magar 1909-2000 (Nürnberg)
Arno Reins 1921-1985 (Köln)
wurden nach kurzer "Probezeit" einflußreiche Vollmitglieder der Künstler-
gruppe Bonn.
In den frühen Vereinsanalen (bis 1954) sind weitere Künstler- und Künst-
lerinnen aufgeführt, bei denen aber nicht sicher ist, ob und wie lange sie
der Künstlergruppe Bonn als Vollmitglieder angehörten:
Hans Bauer; Otto Baumann, Hans Engels, Alfred Knott, Ilse Mai-Schlegel,
Carlo Mense, Irmgard Michels, Pitt Müller, Helmuth Riemann, Walter Schöene-
weg, Erika Voss und Josef Winter.
Viele Möglichkeiten hatten deutsche Künstler zur "Stunde Null" nicht, kurz
nach dem verlorenen Krieg einen fundierten Neuanfang zu wagen und
darüber die knapp über 10-jährige Herrschaft der "Kunst des 3. Reiches"
vergessen zu machen. Wo sollte eine Neuorientierung herkommen?
Welche neuen Werte, welche Inhalte, welche Aufgaben und welche künst-
lerische Stilausprägung sollte eine neue (Nachkriegs-) Kunst haben? Die
"entartete" Kunst der NS-Zeit konnte (und wollte) man nicht so einfach
wieder aufnehmen. Dass aber etwas grundlegend Anderes, etwas Freieres,
etwas Grenzensprengendes und auch ästhetisch Revolutionäres in der
bildenden Kunst geschehen mußte, war allen klar.
Aber was? Natürlich schaute man sich - soweit das möglich war - erst einmal
in der von Deutschland weitgehend abgekoppelten internationalen Kunst um
und orientierte sich an dem, was dort motivmäßig und stilistisch als zeit-
gemäß modern galt.
Orientierung an französischer Kunst
Anläßlich seines ersten Nachkriegsbesuches von Leo Breuer und seiner Frau,
der Künstlerin Anne Wartenberger in Bonn hatte Jupp Heinz 1947 die Be-
kanntschaft des Künstlerehepaars gemacht. Leo Breuer sah sich damals in
einer besonderen "Vermittler- und Moderatorenrolle" zwischen der noch
stilistisch suchenden deutschen und der modernen, zeitgenössisch-franzö-
sischen Kunst, deren konstruktiv-abstrakte Bildwelten er bei Auguste Herbin
(1882-1960) und dessen "Abstract-Creation"-Bewegung kennengelernt hatte.
Eigene abstrakte Gemälde stellte Leo Breuer erstmals im Rahmen des 1.
"Salon des Realites Nouvelles" (SN) in Paris aus. In den Folgejahren wurde
Leo Breuer zum Vorstandsmitglied des SN-Trägervereins, zu dessen Aus-
stellungskurator, zum Publizisten und Archivar bestellt. In dieser Funktion
reiste Leo Breuer viel herum, schloss Freundschaften und Kontakte vor
allem zu deutschen und französischen Kunstvereinen, aber auch zu inter-
nationalen Ausstellungsmachern, sofern diese planten, vergleichende
Überblicke zur Situation, zu den Trends und den aktuellen Strömungen in der
deutschen und der französischen Kunst für ihr Publikum aufzuarbeiten. Seine
vielfältigen Kontakte sowie die selbsterwähle "Mittlerrolle" machten Leo
Breuer weit über Bonn hinaus auch als selbständigen Künstler bekannt.
1949 Jupp Heinz und Doris Berghäuser heiraten am 24. Juni 1949 in Bonn
Jupp Heinz übersiedelt von Binsfeld in der Eifel in das elterliche Wohnhaus
seiner Ehefrau in die Endenicher Allee 136 nach Bonn.
Leo Breuer wohnt, sofern er sich mit seiner Frau Anne Wartenberger
in Bonn aufhält, praktisch "in Rufweite" in der Bonner "Thalstraße", einer
Querstraße zur Endenicher Allee (heutige Alfred-Bucherer-Str.), wo die
Breuers im Dachgeschoß - sehr bescheiden - ein kleines, kombiniertes
Künstleratelier bewohnen. Leo Breuer wechselt nun häufiger zwischen
seinen Ateliers in Paris und Bonn. Er tritt dem "Künstlerbund Bonn" sowie
der späteren "Bonner Künstlergruppe" bei. Fast täglich treffen sich Jupp
Heinz und der 26-Jahre ältere Leo Breuer, diskutieren aktuelle künstle-
rische Entwicklungen und tauschen Ideen, Projektentwürfe und mögliche
Umsetzungen miteinander aus. Darüber ergibt sich eine lebenslange,
enge Freundschaft zwischen Jupp Heinz und Leo Breuer.
Da Jupp Heinz fließend französisch spricht und zudem auch sein musika-
lisches Unterhaltungstalent "in die Waagschale werfen" kann, läd Leo Breuer
seinen jungen Freund nach Paris ein und führt Jupp Heinz vor Ort in die Ge-
dankenwelt der Pariser Künstlerverbindung "Abstraction Creation" ein.
(Jupp Heinz kennt Paris und viele der dortigen Museen noch aus der Zeit,
als er im besetztem Paris als Luftwaffenrekrut zum Luftbildaufklärer ausge-
bildet wurde).
Das Umfeld Leo Breuers in Paris
Die neuen Kontakte, die Leo Breuer seinem jungen Freund Jupp Heinz bei
seinen Besuchen im "quirlig-freien" Paris verschafft, prägen ihn und er fühlt
sich damit in gewisser Weise auf eine für ihn neue "abstrakt-figurative
Schiene" gesetzt. Er lernt Auguste Herbin (1882- 1960) persönlich
kennen, ist auf Anhieb fasziniert von dessen Persönlichkeit, seinen künstle-
rischen Ideen und seiner anthroposophisch "angehauchten" Philosophie.
Intuitiv merkt Jupp Heinz, dass er Herbins in den 40-er Jahren entwickeltem
"alphabet plastique" inhaltlich "hinterherhinkt". Er beschäftigt sich in der
Folgezeit analytisch mit Herbins Regelwerk der reinen Farbtöne, der geome-
trischen Formen und Muster, sowie der Symbolbasis von menschlicher Kom-
munikation, von Musiknoten, Buchstaben und Schriftsystemen.
Hintergrund und Struktur des "alphabet plastique"
Auguste Herbin definiert zunächst einen
fünfteiligen Satz von geometrischen Grundformen (Kreis, Dreieck, Halbbogen,
Quadrat u. Rechteck). Diesen Formen
ordnet er sechs Volltöne des Goethe'schen
Farbkreises zu. (rot, orange, gelb, grün,
blau und violett). Jede Farbe entspricht
einem Buchstaben. Die weiteren Buch-
staben des Alphabets werden durch
die "Mischzwischenfarben" des Goethe'-
schen Farbkreises codiert. Auch die un-
bunten Farben Schwarz und Weiß entspre-
chen jeweils einem Buchstaben). Somit
beinhaltet jedes abstrakte Werk "ver-
steckt" eine Aussage als Konklomerat von
Buchstaben. Doch ob und wie diese Aus-
sage zu entschlüsseln ist, entzieht sich der
tradierten - normal üblichen Lesart, Wörter
und Sätze aus einer Abfolge von Schrift-
zeichen zusammenzusetzen. Beim
"alphabet plastique" bilden sich Wörter
und Sätze ausschließlich aus dem Mit-
einander geometrischer Grundformen
und Farben. Deren gezielte Entschlüsselung muss von dem Betrachter erst
erlernt werden. Ein Prozeß, der wie das Lesen von Buchstaben auf Determi-
nanten wie dem Erkennen von Schriftzeichen und Schriftsymbolen beruht,
sich nun aber (alleinig) auf die Interpretation von geometrischen Formen
und zugehöriger Farben bezieht. Jedes abstrakte Bild Herbins bekommt auf
diese Art eine verschlüsselte inhaltliche Aussage, die auch als Werktitel gelten
kann.
Gleichzeitit geht Auguste Herbin noch einen Schritt weiter, indem er auch
die auditive Dimension im Sinne von Tonfolgen und Melodien in sein Regel-
werk übernimmt. Wie Buchstaben und Schriftzeichen, können die Farben
geometrischer Grundfiguren parallel auch die Zusammensetzung und Abfolge
von Tönen (Do, Re, Mi, Fa, So, La, Ti, Do) codieren. Letztendlich bedeutet
dies, dass abstrakte Bildwerke auch als musikalische Akkorde (mit Ober-
und Untertönen) oder als Melodieabfolge (Teaser) entschlüsselt werden
können. Somit kann jeder Werktitel auch rein melodisch beschrieben
werden.
Nach und nach ist Jupp Heinz in der Lage, die aktuellen Werke von Auguste
Herbin zu entschlüsseln und zu "lesen". Die abstrakt-konfigurativen Werke
bekommen für ihn weit über ihre oberflächliche Erscheinung hinaus eine in-
haltliche und/oder musikalische Bedeutung. Jedes Bild repräsentiert für ihn
ein eigenes Universum. In gewisser Weise interpretiert Jupp Heinz dies als
die ureigenste "Seele" eines Bildes.
Auguste Herbin: Werkbeispiele aus den Jahren 1947 bis 1952 unter Anwendung des "alphabet plastique"
Ob der (väterliche) Freund von Jupp Heinz - Leo Breuer - die Werke von
Auguste Herbin ähnlich gut lesen konnte und sich die beiden Künstlerkollegen
bei der Analyse des Herbin'schen Regelsystems (alphabet plastique) vor Ort
gegenseitig unterstützten, steht zu vermuten. Ein Bild, das Leo Breuer aus-
drücklich als "Hommage an Auguste Herbin" bezeichnet hatte, legt dies nahe.
Auguste Herbin (1882-1960)
Auguste Herbin erblickt am 29.04.1882 als Sohn eines Schlossers im kleinen
Ort Quievry (an der französisch-belgischen Grenze bei Cambrai) das Licht der
Welt. Zwei Jahre lang - von 1899 bis 1901 - studierte er Malerei an der Ecole
des Beaux-Arts in Lille. Offensichtlich kam er mit dem "schulischen Drill"
während des Grundstudiums "nur bedingt gut" zurecht (Aktzeichnen von
Modellen, Zeichnen von Gipsabdrücken griechischen Götterstatuen, Natur-
studien (Wurzel, Blattwerk, Fauna und Flora), perspektivische Architektur-
zeichnungen etc.) Dies alles reizte ihn nicht so richtig und auch für die Ver-
mittlung kunstgeschichtlichen Wissens war er "wenig empfänglich". Kurzer-
hand beendet er aus eigenen Stücken seine akademische Ausbildung. Ihn
zog es "mit Macht" nach Paris. Um der Einberufung in die französische Armee
zu entgehen, "flüchtete" er ab 1901 mehrfach in's belgische Brügge.
Hier nahm er erste künstlerische Kontakte auf und "kopierte" - mehr oder
minder zu Übungszwecken - die Werke zeitgenössischer Maler, vor allem von
Impressionisten. Er hält innerlich Abstand von jeder festgefahrenen Kunst-
richtung, versucht, sich - weil mittellos - als Avantguarde-Künstler bekannt
zu machen und stellt erstmals 1905 seine Werke im Salon des Independants
- dem Gegenstück zum offiziellen Pariser Salon - aus. Wie viele seiner zeit-
genössischen Künstlerkollegen steht er politisch links und tritt der kommu-
nistischen Partei bei. Anläßlich einer Ausstellung im Salon d'Autonome
1907 begegnet er Juan Gris und ist von dessen kubistischer Malweise nach-
haltig beeindruckt. Auf Vermittlung von Jan Gris zieht er 1909 in das Bateau-
Lavoir, ein ärmlicher, verwahrloster Atelierkomplex auf dem Montmartre in
der Rue Raviguan 13, Paris.
Hier "haust" und residiert eine Clique von 18 damals noch völlig unbekann-
ten Künstlern und Künstlerinnen mit ihrem Anhang, darunter Pablo Picasso,
Amadeo Modigliani, Juan Ris und viele "im Leben gescheiterte" Existenzen.
Auguste Herbin ist nun unter ihnen, experimentiert mit verschiedenen,
zunehmend abstrakteren Malweisen und festigt seinen Ruf, ein Avanguarde-
Künstler zu sein. Als solcher wird er unter anderem in die Sonderbund-
ausstellung 1912 nach Köln eingeladen. 1916 schließt er einen Exklusiv-
vertrag mit der Galerie "L'Effort Moderne" von Leonce Rosenberg ab. Der
Galerievertrag sichert ihm eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit und
bringt ihm in den Folgejahren durch jährliche Einzelausstellungen einen
höheren Bekanntheitsgrad ein. Seine Arbeiten finden nun auch international
Beachtung. Seine Werke sind in London, Brüssel, Lüttich, Amsterdam, Düssel-
dorf, Köln, Kopenhagen und New York zu sehen.
Neben der stetigen Weiterentwicklung seiner eigenen Malerei widmet
Auguste Herbin sich zunehmend dem theoretischen Unterbau der male-
rischen Abstraktion und schon bald avanciert er zum anerkannten Organi-
sator der diesbezügichen französischen Avanguarde-Bewegung.
Im Frühjahr 1931 gründet Auguste Herbin - zusammen mit Georges
Vantongerloo - den Künstlerverbund "Abstraction-Creation". Er gibt die
Szenezeitschrift: "Abstraction creation, art non figurativ" heraus, hinter
der sich als Manifest nahezu alle seine ungegenständlich malenden fran-
zösischen Künstlerkollegen versammeln. Die Bewegung wird schnell inter-
national. Künstler wie Kandinsky, Kupka, Mondrian, van Doesburg, Sonja +
Robert Delaunay, Hans + Sophia Arp, Pevsner, Schwitters, Baumeister, El
Lissitzky, Alexander Calder, Fontana, Max Bill (und viele andere) erklären
ihren Beitritt und schließen sich der Bewegung an. Am Ende zählt die Bewe-
gung über 400 Personen. Darunter auch Leo Breuer.
Auguste Herbin erfindet ab 1942 sein "Alphabeth plastique" (siehe oben)
und setzt sich damit in seiner ganzen Radikalität an die Spitze der abstrakten,
nonfigurativen Malerei. 1946 gründet er den "Salon des Realite Novelles",
dessen Vorsitz er später auch übernimmt. 1953 ereilt ihn ein Schlaganfall, in
dessen Folge er halbseitig rechts gelähmt ist. Er malt aber "mit linker Hand"
unermüdlich weiter. Am 31.01.1960 verstirbt Auguste Herbin in Paris. Er wird
in LeCateau-Cambresis begraben.
1950 Jupp Heinz sieht sich in Bonn nach einer Nebenerwerbsstelle um. Auf
Empfehlung von Willy M. Stucke bewirbt er sich als "Dozent für
Modellierung und Aktzeichnen" an der Volkshochschule (VHS) Bonn
und wird angenommen. Diesen Job nimmt er - teilweise mit längeren
Unterbrechungen - bis 1998 wahr.
1953 Zwischendurch zieht es Jupp Heinz zu mehreren längeren Aufenthalten zu
seinem Künstlerfreund Flippi - Hansjörg Martin - nach Norden. Zusammen
mit ihm aquiriert er dort malerische und bildhauerische Aufträge zur architek-
tonischen und dekorativen Ausstattung des Kurhauses Norden, zur Über-
arbeitung und Restaurierung von kriegsbedingt "vernachlässigten" Skulpturen
und Plastiken im ostfriesischen Raum sowie zu eventbezogenen Ausstattun-
gen von Umzügen und Stadtfesten ("Rheinische Abende"). Zudem beteiligt
er sich an externen Grafikwettbewerben und Ausschreibungen im Rahmen
der staatlichen "Kunst-am Bau-Förderinitiative".
Die Arbeiten müssen aquisitorisch erfolgreich gewesen sein und zu einer
"verhältnismäßig nachhaltigen Konsolidierung" seines Einkommens ge-
führt haben. Eine Zeit lang überlegt Jupp Heinz, sich - zusammen mit
Hansjörg Martin (Flippi) - mit einer eigenen "Eventagentur" in Aurich, Norden
oder Norderney selbständig zu machen.
1955 Die Geburt und damit die Fürsorge für seine Tochter Gabriele leitet bei Jupp
Heinz eine gewisse Umorientierungs- und Klärungsphase ein. Neben der
"freien" Kunst und deren künstlerisch-kreativen Weiterentwicklung erhält
ein gesicherter und fest-einplanbarer Lebensunterhalt für sich und seine
Familie nun zunehmende Bedeutung. Von 1955 bis zu seiner "Verrentung"
1982 nimmt Jupp Heinz eine Stelle als festangestellter Grafikdesigner
bei einer der großen Werbeagenturen in Düsseldorf (Dr. Hegemann) an.
Er wird als Layouter, Illustrator und Werbemittelgestalter (Leporellos,
Prospekte, Verkaufsinfos etc.) eingesetzt. Um ein tägliches Pendeln zu
vermeiden, mietet er in Düsseldorf eine Wohnung. Er sieht seine Familie
in der Regel an arbeitsfreien Wochentagen sowie an den Wochenenden.