Ferdinand von Reznicek (1868-1909)

Vater Joseph v. Reznicek

1868   Am 16.06.1868 erblickt Ferdinand, Freiherr von

           Reznicek in Obersievering bei Wien als eines von

           drei Kindern des kuk-Generals Joseph Reznicek

           das Licht der Welt. Ferdinands Großvater (Josef

           Reznicek 1787-1848) war ein bekannter Musiker,

           Militärkapellmeister und Komponist von Militär-

           märschen.

           Ferdinands Vater wurde 1858 vom General zum

           österreichischen Feldmarschall befördert und mit 

           Wirkung vom 1.02.1860 in den Freiherrenstand er-

           hoben. Der ersten Ehe des Vaters mit Clarissa,

           Gräfin (zu) Ghika, entstammt Ferdinands Halb-

           schwester Helene sowie sein Halbbruder Emil

           Nikolaus, der später in die Fußstapfen seines Großvaters trat, Musik studierte

           und ebenfalls ein erfolgreicher und angesehener Musiker und Komponist

           (Opern und Operetten) wurde. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratet

           Ferdinands Vater die aus einer betuchten Grazer Fabrikantenfamilie stam-

           mende Hermine Conrad. Ferdinand erhält von seinen Eltern eine standes-

           gemäße, seinem Freiherrenstand entsprechende Erziehung. Er wird im

           katholischen Glauben erzogen und innerhalb der Familie zunächst Ferdinand

           Franz, später nur noch Franz, gerufen.

1874   Ferdinand wird in die katholische Volksschule in Sievering eingeschult. Von

           dort wechselt er 1878/79 auf eine weiterführende Kadettenschule nach Wien.

           Schon früh lernt der Junge dort exerzieren, reiten und fechten. Auf Drängen

           des Vaters soll er - ganz der Familientradition entsprechend - eine militärische

           Laufbahn als Kavallerieoffizier einschlagen. Allerdings scheint ihm der

           Mix aus schulischem Lernen und militärischem Drill in der Kadettenschule

           nicht besonders zu liegen. Irgendwie gewinnt er innerlich Abstand. Ihm 

           geht die "staatstragende Funktion des Militärs" auf, einer nicht nur in

           Österreich überaus angesehenen Gesellschaftsschicht und eines poli-

           tischen Milieus, als deren Vertreter er sich - ob er es will oder nicht - von

           seiner Familie her zugeordnet fühlt.

           Ferdinand "muckt" zwar nicht auf (zumindet nicht aktenkundig), nutzt aber

           seine Zeit an der Kadettenschule, um seine bis dahin noch weitgehend

           brachliegenden kreativ-künstlerischen Ambitionen systematisch weiterzu-

           entwickeln. Er beginnt. "analytisch" zu zeichnen und lernt, mit "schnellem

           Strich" das Wesentliche und Charakteristische einer Situation zu erfassen.

           Schon bald merkt Ferdinand, dass er professionelle Anleitung benötigt, um

           seine zweifellos vorhandene zeichnerische Begabung weiter auszubauen.

           Da er eine solche Förderung in der Kadettenschule nicht erhalten kann,

           orientiert er sich um.

Der Künstler Ferdinand (Franz) von Reznicek

1886   Wien ist zu diesem Zeitpunkt ein Schmelztigel für

           neue künstlerische Ansätze in fast allen Diszipli-

           nen, von der Architektur über die Bildende Kunst

           bis zur Dichtung und zum angewandten Kunstge-

           werbe. In dieser Zeit finden unter anderem die-

           jenigen Kunstschaffenden in Wien zusammen, die

           nach dem Vorbild der englischen "Art's and Crafts -

           Bewegung" die später weltberühmten "Wiener

           Werkstätten" gründeten. Die von Ferdinand bereits

           in dieser Zeit durchaus kritisch gesehene restau-

           rativ-konservative Geisteshaltung und das elitär,

           klassenbezogene Kulturverständnis der Habsbur-

           ger Monarchie, des österreichisch-ungarischen

           Adelsstandes und des vermögenden Großbürger-

           tums ("Geldadel") bilden die "Zutaten" zu einem

           spezifisch österreichischen "Aufbruch in die Moderne".

        Fin de Siecle

           In der französischen Zeitschrtift "Le Decadent" erscheint ein Artikel, der das

           spezifische Lebensgefühl jener Zeit beschreibt: Irgendwie wird man sich in

           den gesellschaftlich relevanten (kulturtragenden) Kreisen bewußt, dass die

           Epoche des Ancien Regime mit der Vorherrschaft des Adels endgültig vor

           dem Aus steht. Die zunehmend Fahrt aufnehmende Industrialisierung und

           die Gewerbefreiheit verändern die sozialen Strukturen und das Selbstbe-

           wußtsein im "gemeinen Volk" grundlegend. Die Kirchen ziehen sich mehr

           und mehr auf einen ethisch-moralischen Verhaltenskodex mit Betonung

           der persönlichen Verantwortung jedes einzelnen Gläubigen für sein Handeln

           zurück. Sie verlieren zunehmend ihren staatstragenden Einfluß und bieten,

           da sie sich von ihren christlichen Grundwerten her politisch nicht "outen"

           wollen, keine wirkliche Alternative zum aufkommenden Nationalismus.

           Die Stimmung im Volk schwankt zwischen Zukunftseuphorie und gleich-

           zeitiger Zukunftsangst. Die latente Furcht vor Regression erzeugt eine

           gewisse Endzeitstimmung, erzeugt Lebensüberdruss, Weltschmerz und das

           Gefühl von Instabilität und Vergänglichkeit. Dies alles versucht man zu

           "übertünchen": Leichtlebigkeit, Frivolität und ein "guter Schuß Dekadenz"

           - wohl Ausdruck und Gegenpart der Krisenerscheinungen und der Ver-

           änderungsangst, werden in den "Salons des Fin de Siecle" gepflegt. Es

           wird zunehmend in, "Dekadenz" zu zeigen und den kulturellen Verfall zum

           Objekt einer neuen künstlerischen Bewegung ("Dekadentismus") zu

           machen. Eine Subkultur entsteht, die bewußt zur enorm anwachsenden

           Militarisierung und dem begleitenden "Hurra-Patriotismus" kontrastiert

           und im weiteren alle bis dahin gültigen ethisch-moralische, politische und 

           gesellschaftlich-soziale Konventionen in Frage stellt.

Wiener Satirezeitschrift (1861-1933)

           Die "Kunstfiguren" des Bohemien, des Dandys, des

           Snobs und der "Femme fatale" entstehen. Auch

           Ferdinand von Reznicek springt auf den "Zug der

           Zeit" auf. Er beginnt schon in Wien, seine analy-

           tischen "Situationszeichnungen" den einschlägigen

           Druckverlagen anzubieten. Seine Bemühungen zei-

           gen Erfolg. Unter anderem druckt die satirische

           Zeitschrift "Kikeriki" einige seiner "Beobachtungen

           aus der vornehm-mondänen (Halb-)Welt der Wiener

           Salons" ab. Die Zeitschrift Kikeriki (1861-1933) ver-

           stand sich als "humoristisch politisches Volksblatt"

           (Untertitel) und war damals Vorbild für eine ganze

           Reihe ähnlicher Wochen- und Monatsjournale im

           deutschsprachigen Raum. Ferdinand von Reznicek

           sammelt bei Kikeriki seine ersten Redaktions-und Editionserfahrungen. Die

           Arbeit prägt ihn. Fortan sieht er in der zeichnerisch auf den Punkt gebrachten

           Gesellschaftssatire sein spezielles Betätigungsfeld.

        Der Wiener "Jugend"stil

           Stilistisch sind es zunächst sicherlich die "Importe" aktueller künstlerischer

           Strömungen aus Frankreich (Art Nouveau), Italien (Art Liberty), Großbritan-

           nien (Art's and Crafts-Bewegung) sowie des nach der Zeitschrift Jugend

           benannten "Jugendstils" aus Deutschland - hier vor allem aus München - die

           unter den Künstlern Wiens einen "unbändigen Veränderungswillen" wach-

           rufen. Der künstlerische Historismus, der - getragen durch die Monarchie -

           seine feste Verankerung in der gehobenen Gesellschaftsschicht hat, hat

           ausgedient!  Etwas Neues, etwas Moderneres muß her.

           Die spezifische "Wiener Melanche" dafür ist angerichtet: Gustav Klimt und

           Egon Schiele (als Maler), Josef Maria Olbrich (als Architekt) und Hermann

           Behr (als Dichter und Poet) werden zu wesentlichen Aushängeschildern der

           sich zunehmend entwickelnden "Wiener Sezession", die allerdings erst 1903

           formal gegründet wird.

           (Die "Wiener Sezession" wird heute kunsthistorisch-stilistisch als eigene

           Ausprägung eines österreichischen Jugendstils angesehen).

Ferdinand von Reznicek (FvR); Entwurfszeichnung für einen mehrteiligen Jugendstil-Paravent

1887  Der 19-jährige Ferdinand von Reznicek nimmt in 

          Wien (privaten) Zeichenunterricht bei Julius Victor

          Berger (1850-1902), einem Wiener Genre-Maler, 

          der ab 1881 auch an der renommierten Wiener

          Kunstgewerbeschule des k.k. Österreichischen

          Museums für Kunst und Industrie als Professor un-

          terrichtet. Julius Berger empfiehlt dem jungen

          Freiherren Ferdinand von Reznicek, sich "frischen

          Wind" um die Ohren blasen zu lassen und eine Reise

          nach Paris zu unternehmen. Dort könne er sich mit

          der "Belle Epoque" und dem plakativ-grafischen Stil

          der neu aufkommenden französischen "Art Nouveau"

          auseinanderzusetzen. Möglicherweise gibt er ihm

          auch die Adresse von Alphonse Mucha weiter, der im

          selben Jahr - unterstützt von dessen Mäzen, dem

          kunstsinnigen Wiener Grafen Khuen von Belasy, zu

          Studienzwecken in Paris weilt und dort ein eigenes

          Künstleratelier einrichtet. Graf Khuen von Belasy ist

          mit der Familie Reznicek durch gesellschaftliche Kon-

          takte in Wien verbunden. In Belasys Wiener Stadt-

          palais wurden mehrfach Konzerte mit Kompositionen

          der Rezniceks gegeben, die diese in einzelnen Fällen

          auch selbst dirigierten. Ob sich Ferdinand, Freiherr

          von Reznicek und Alphonse Mucha jemals persönlich begegnet sind, ist wahr-

          scheinlich, bisher aber nicht eindeutig belegt. Viele Indizien sprechen aller-

          dings dafür, da Ferdinand von Reznicek später eigene Studienzeichnungen

          und Entwurfsskizzen von Jugendstil-Schönheiten anfertigt, die bis in's Detail

          dem damaligen "Style Mucha" entsprechen und im übrigen auch ähnliche

          inhaltlich-allegorische Bildelemente aufnehmen, die auch Mucha als Attribute

          junger Frauen in seiner Portraitmalerei benutzte.

1888  Anlässlich einer weiteren Bildungsreise nach München, sieht sich Ferdinand

          von Reznicek an der "Königlichen Akademie der Bildenden Künste" um. Die

          Akademie hat weltweit einen ausgezeichneten Ruf ("Münchner Schule") auf-

          zuweisen, befindet sich aber bereits im Umbruch: Auch hier sind künstle-

          rische Spaltungstendenzen zu beobachtern. Unter den Studenten ist die Unzu-

          friedenheit mit dem festgefahrenen, durch die Müncher "Malerfürsten" (Franz

          von Defregger, Franz von Stuck, Franz von Lenbach, Wilhelm von Kaulbach,

          Karl Theodor von Piloty etc.) gegründeten und strikt hochgehaltenen "Akade-

          mischen Historismus" deutlich spürbar.

Paul Höcker, Ferdinands Zeichenlehrer an der Kunstakademie München

1889  Am 21.10.1889 schreibt sich Ferdinand - damals 21

          Jahre alt - unter der Matrikelnummer 601 in die

          "Naturklasse" der Münchner Kunstakademie ein.

          Seine Klasse wird von Paul Höcker (1854 - 1910) be-

          treut. Paul Höcker war zunächst (mit Unterbrechun-

          gen in Berlin) als akademischer Zeichenlehrer an 

          der königlichen Kunstakademie tätig. Ab 1988 wand-

          te er sich verstärkt der Lichtwirkung in der Freiluft-

          malerei zu und bereitete damit den Weg zum späte-

          ren Impressionismus in der Landschaftsmalerei vor. 

          Ende 1890 wurde er zum Professor auf den vakan-

          ten Lehrstuhl von Friedrich August von Kaulbach an

          der Königlichen Kunstakademie München berufen.

          Das hinderte Höcker aber nicht daran, im Folgejahr

          1891 - zusammen mit knapp 90 anderen Künstler-

          kollegen - die "oppositionelle" Münchner Sezession zu gründen, als Vorstand

          zu kandidieren und sich zum Schriftführer dieses auf Anhieb wichtigsten und

          einflußreichsten Münchner Künstlervereins wählen zu lassen.

          Paul Höcker ist in München "bestens verdrahtet". Sein Wort hat bei nahezu

          allen Münchner Kunstschaffenden Gewicht und seine Personalempfehlungen,

          mit denen er seine Studenten "in Brot und Arbeit" bringt, erweisen sich stets

          als Volltreffer.

          Ferdinand von Reznicek verlegt seinen Wonsitz von Wien nach München. Er

          findet sich schnell in München ein und sammelt einen weitgefächerten Freun-

          des- und Bekanntenkreis um sich herum. Seine Wohnung (mit Atelier) befin-

          det sich im 3. Stock eines Hauses in der Franz-Joseph-Straße 18 in München.

          Er wohnt zwar alleine, jedoch keineswegs asketisch. Um die Damenbesuche,

          die der junge, charmante Freiherr in seiner Atelierwohnung empfängt, ranken

          sich Legenden. Direkt über ihm im 4. Stock haben zwei Freunde - sein Stu-

          dienkollege Rudolf Thöny (1866-1950) und dessen Freund, der Zeichner und

          Illustrator Rudolf Wilke (1873 - 1908) - deutlich bescheidenere Unterkünfte.

          Das Trio ist abends meist gemeinsam unterwegs. Man genießt die studen-

          tische Freiheit, das Münchner (Nacht-)Leben (und die Liebe) in vollen Zügen.

          Um zumindest etwas unabhängiger von der finanziellen "Apanage" des

          Elternhauses zu sein (und vielleicht auch, um bezüglich seines relativ frei-

          zügen Lebensstiles nicht stängig Rechenschaft gegenüber den Eltern ablegen

          zu müssen), arbeitet Ferdinand neben seinem Studium freiberuflich als

          Grafiker für den jungen Münchner Buchverlag des aus der Kölner Zucker-

          produzenten-Dynastie Langen & Söhne stammenden Albert Langen.

Der Verleger, Freund und Förderer Albert Langen (um 1896)

          Wahrscheinlich machte Paul Höcker den aus Paris

          zunächst nach Dresden und von dort nach München

          zugezogenen Albert Langen (1869-1909) auf seine

          talentierten Zeichenstudenten aufmerksam, denn

          auch Ferdinands Freunde Eduard Thöny und Rudolf

          Wilke arbeiten für dessen Verlag. Es entstehen Pla-

          kate, Einladungskarten, Werbeanzeigen, vor allem

          aber Bucheinbände und Illustrationen. Innerhalb des

          Langen-Verlages betreut Ferdinand die "Kleine Bib-

          liothek Langen", eine Buchreihe, die sich zur Aufga-

          be gestellt hat, die Werke junger aufstrebender

          Autoren bekannt zu machen. Seine ausgezeichneten

          französischen Sprachkenntnisse und das geschliffene

          Auftreten helfen dem Kunststudenten Ferdinand von

          Reznicek, Kontakt zu den von Albert Langen wäh-

          rend dessen Volontärszeit in Paris an den Verlag ge-

          bundenen französischen Autoren zu halten und sie während ihrer Aufenthalte

          in München persönlich zu betreuen. Daraus entstehen eine Reihe enger

          Freundschaften, so unter anderem mit dem angesehenen französischen

          Modeautor Marcel Prevorst. Bei Albert Langen hat "FF"  - der "flotte Franz"

          wie man Ferdinand im Verlag tituliert - schon bald ein Stein im Brett.

1895  Ferdinand von Rezniceks akademisches Kunststudium endet wohl per

          schleichenden Übergang in eine mehr oder minder "auskömmliche" Fest-

          einstellung als redaktioneller Mitarbeiter im Albert-Langen Verlag. Ein genauer

          Exmatrikulationstermin ist jedenfalls nicht verzeichnet und auch ein regulärer

          Studienabschluß, im Allgemeinen dokumentiert durch die Überreichung des

          "Akademiebriefes" ist nicht dokumentiert.       

       Simplicissimus

1896  Zusammen mit dem deutschen Schriftsteller, Dramatiker und Schauspieler

          Frank Wedekind (1864-1918) konzipiert Albert Langen nach dem Vorbild

          der französischen Zeitschrift "Gil Blas Illustre" eine illustrierte Literaturrevue,

          die vierzehntägig in deutscher Sprache erscheinen soll. Ihr Ziel ist es, neue

          literarische Texte vorzustellen und diese durch einfühlsame - oder auch

          reißerisch-provozierende Illustrationen dem Publikum näherzubringen.

          Ferdinand von Reznicek ist von Anfang an ausführend an dem Projekt be-

          teiligt. Albert Langen wählt für seine Literaturrevue den Namen:

          "Simplicissimus" Am 4.4.1896 erscheint die Erstausgabe. Zurückzuführen auf

          den Einfluß des Gesellschafts-Dramatikers Frank Wedekind wandelt sich mit

          der Aufnahme sozialkritischer Texte rasch und nachhaltig der Zuschnitt des

          Blattes.  Die Literaturrevue wird zum Satiremagazin Simplicissimus.

          Ferdinand von Rezniceks Erfahrungen mit dem Wiener Satiremagazin Kikeriki

          zahlen sich nun aus. Er erhält seine Festeinstellung und avanciert alsbald zu

          einem der wichtigsten Zeichner des Magazins, dessen Publikumserfolg zu

          einem nicht unerheblichen Maße auf seine gezeichneten "Beobachtungen" in

          den Salons der "feinen (Münchner) Gesellschaft", in Boudoirs, Separees,

          Nachtbars, in Schlafzimmern, Theater- und Ballsäälen zurückzuführen ist.

          Vielleicht mag auch eine Rolle gespielt haben, dass Ferdinand gerne einen

         "guten Schuß Erotik" in seine Zeichnungen "verpackte". Nichts richtig Nacktes,

          aber dennoch viel situationsbedingt Anregendes, eben Frivoles und Dekaden-

          tes. Ferdinand thematisierte gerne Paarbeziehungen, vor allem Frauen aller

          Gesellschaftsschichten, die durch ihre Bekleidung, durch ihr situations-

          spezifisches Verhalten und die liebevoll ausgearbeiteten Interieurdetails ein

          beredetes - weil pointiert überzeichnetes - Abbild der jeweiligen Lebens-

          verhältnisse der "upper class" wiedergeben. Die gezeichneten "Beobach-

          tungen" erhielten häufig erst ihre bissig-satirische Würze durch die Bildunter-

          schriften, die in aller Regel durch die Textredaktion nach Vorlage der Zeich-

          nungen spezifisch dazuerfunden wurden und vielfach eine boshafte Kritik an

          den herrschenden Usancen in der vermeindlich "guten" Gesellschaft, vor

          allem natürlich des (noch) priviligierten Adels sowie des Miltärs beinhalteten.

          Später wurden auch die "Neureichen" mit ihrer Sucht, vornehm und mondän

          zu erscheinen, auf's Korn genommen.

1900  Ferdinand (Franz) Freiherr von Reznicek lernt seine

          spätere Frau Anni (oder Anny) kennen. Sie ist bür-

          gerlicher Abstammung und soll aus einer Kunsthand-

          werkerfamilie stammen. Eine ausgesprochen schöne

          Frau, deren damenhafte Erscheinung Ferdinand fort-

          an in vielen seiner Zeichnungen wiedergibt. Sie steht

          ihm für situationsbedingte Haltungsstudien Modell.

          Ihre nach der damaligen Mode aufgesteckt-hochge-

          bundene Haarpracht, die Ferdinand mit liebevoller 

          Akuratesse zu Papier bringt, ist Vorbild für viele

          junge Frauen des "Jugendstils".

          Zu welchem Termin das Paar heiratet, ist nicht über-

          liefert. Wahrscheinlich, wie die Gelatineabzüge von

          einigen Münchner Photo-Studios vermuten lassen,

          zwischen 1902 und 1903. Die Ehe bleibt kinderlos.

          

Ferdinand (Franz) Freiherr von Reznicek und seine Frau Anny von Reznicek

Reznicek-Zeichnung aus der Reihe: "Deutscher Sport"

Ferdinand von Reznicek: "Zählen Sie doch nicht deutsch, Sie blamieren ja unseren ganzen Klub!" Aus Simplicissimus 14. Jahrgang, Ausgabe Nr. 9 , Seite 188, Albert Langen-Verlag, München Grafik-Sammlung M. Hümmer, Sammlungsnummer. G2-2017.024
Paula von Reznicek am Rotherbaum, Hamburg

           Ferdinands "Zeichnungen aus der mondänen Welt" 

           entstehen stets aufgrund eigener, gut vorbereite-

           tern Recherchen und Beobachtungen des Künstlers.

           Die Anregung zu der Zeichnung "Deutscher Sport"

           (siehe oben) erhielt Ferdinand beispielsweise von

           seiner angeheirateten Verwandten Paula von

           Reznicek, die als Journalistin und Schriftstellerin

           tätig war und "nebenbei" große Erfolge als Tennis-

           spielerin für sich verbuchen konnte. Sie stand ihm

           u.a. für die notwendigen Bewegungsstudien (Arm-

           und Handhaltung) Modell. Zudem lieferte sie ihm

           Hintergrundsinformationen aus der Welt des Sports.

           Paula von Reznicek (geborene Heimann) war später in zweiter Ehe mit dem

           Rennfahrer Hans Stuck verheiratet. Ferdinand hatte bereits über die Gebrü-

           der Hans und Ernst Neumann, die beide für die Zeitschrift "Jugend" zeichne-

           ten, Kontakt zur deutschen Motorsportszene, die um die Jahrhundertwende

           zwar noch in der Entwicklung war, aber im gemeinen Volk bereits die Aura

           von Rasanz, Hochleistung, technischem Fortschritt und Exklusivität besaß.     

Zünftiger Automobil-Ausflug einiger Simplicissimus-Freunde (um 1904) : (vlnr) Prof. Hans Thoma, Anny von Reznicek, Ferdinand von Reznicek, Olaf Gulbransson, Mariette Thoma, Eduard Thöny, Albert Langen

           Die Motorsportszene war damals ausgesprochen mondän. Sie lebte im We-

           sentlichen von mehr oder minder vermögenden "Herrenfahrern", die um

           sich herum einen eigenen Kreis von Enthusiasten versammelten und als

           Schlüsselkäufer von den Automobilfirmen massiv umworben wurden.

           Ernst Neumann war ein umtriebiger "Tausendsassa" in München. Neben

           seiner Zeichnertätigkeit für die Zeitschrift "Jugend" konstruierte er die

           seinerzeit sehr bekannten und erfolgreichen "Neander-Fahrmaschinen",

           fertigte sie in einer eigenen Werkstatt und gründete einen eigenen Rennstall

           mit Neander-Motorrädern und Neander-Rennautomobilen.

           Unter anderem baute Ernst Neumann in seiner in der Eifel bei Düren gele-

           genen Werkstatt für Opel die früheren, raketengetriebenen Opel-Rennwagen

           und auch "Auto Union" und "Daimler-Benz" griffen auf sein spezifisches

           Konstrukteurswissen beim Aufbau ihrer eigenen Rennwagen zurück.

           Es sind solche persönlichen "Jet-Set-Kontakte", die Ferdinand von Rezniceks

           Simplicissimus-Zeichnungen so authentisch und lebensecht machen. Zudem

           waren alle seine Frauengestalten jeweils nach der neuesten Mode gekleidet.

           Ob als Hausherrin oder als Bedienstete, ob als mondäne Dame oder als

           Straßenmädchen, ob als brave Gattin oder als ausgehaltene Kurtisane,

           immer portraitierte Reznicek seine Modelle in ihrer (mehr oder minder)

           schönen Weiblichkeit, zu der - der damaligen, eigentlich recht prüden Zeit

           entsprechend - nun auch körperbetont eng anliegende Bekleidung, geschnür-

           te Mieder, Wespentailien, aufwändige Hüte und Frisuren gehörten.

           Tatsächlich wurde der Simplicissimus - eben wegen seiner pikanten "Mode-

           zeichnungen" - auch als "trendsetzendes Unterhaltungsmagazin" hoch ge-

           schätzt.

Reznicek - Alben

           Mit der Zeit gab der Albert-Langen Verlag eine Sammlung der besten

           Simplicissimus-Zeichnungen von Ferdinand von Reznicek in Form farbiger

          "Modealben" heraus. Sie fanden reißenden Absatz, wurden mehrfach in

           Nachauflagen nachgedruckt und gelten heute als gesuchte Sammelstücke,

           die exemplarisch den "Geist" der damaligen Zeit wiedergeben.       

Ferdinand von Reznicek: "Galante Welt" Albert-Langen-Verlag, München 1902

Ferdinand von Reznicek: Zeichnungsalben, Albert-Langen Verlag, München

         oben links:  Verliebte Leute (1904)         oben rechts:  Der Tanz (1907)

         unten links: Sie (1908)                          unten rechts: Unter vier Augen (1909)

           Wer den Simplicissimus las, gab damit auch seiner "oppositionellen" Ein-

           stellung zu den herrschenden (gesellschafts-)politischen Verhältnissen Aus-

           druck. Ein Faktum, dass durchaus zur Modernität, zu einer beflissendlich

           zur Schau gestellten mondänen Dekadenz und zum ausgeprägten Fatalis-

           mus in Offiziers- und Adelskreisen um die Jahrhundertwende gehörte.

           Ferdinand Freiherr von Reznicek war von 1896 bis zu seinem Tod 1909

           ununterbrochen beim Simplicissimus beschäftigt. Von Anfang an war er    

           einer der prägendsten Zeichner des Blattes. Der Gründer und Inhaber des

           Verlages - Albert Langen - trug seinem inzwischen auch zum guten persön-

           lichen Freund avancierten Chefzeichner die Mitherausgeberschaft am

           Simplicissimus an. Ferdinand nahm diese Herausforderung dankend an,

           behielt sich aber vor, darüber hinaus noch weitere freiberufliche "Engage-

           ments" bei verschiedenen Münchner Zeitschriften - unter anderem bei der

           teilweise konkurrierenden Münchner Zeitschrift: "Die Jugend" - anzunehmen.

           Er wollte um jeden Preis vermeiden, zuviel "Stallgeruch" beim Simplicissimus

           zu erlangen und dadurch in seiner Zeichnungsstilistik auf ewig festgelegt zu

           sein. Tatsächlich hat er es geschafft, auch für andere Münchener Publika-

           tionen - wie beispielsweise die "Fliegenden Blätter" und andere gesellschafts-

           satirische Wochen- und Monatsmagazine prägend zu werden. Vielleicht nicht

           ganz so, wie er den Simplicissimus in seiner inhaltlichen Ausrichtung als

           interlektuelles literisches Satiremagazin mitgeprägt hat, wohl aber in der

           Durchsetzung eines Zeichnungs- und Darstellungsstils, den man heute in

           Deutschland - in Analogie zum Namen des einschlägigen Münchner Ver-

           öffentlichungsorgans - als "Jugendstil" bezeichnet. Ferdinand Freiherr von

           Reznicek war als bildender Künstler überaus produktiv. Im Laufe seines

           Berufslebens hat er alleine für den Simplicissimus weit über 1000 Druck-

           vorlagen, darunter etliche Titelblätter gezeichnet.        

Zusammenstellung von Simplicissimus-Titelblättern

(gezeichnet von Ferdinand von Reznicek)

(Zur Vergrößerung bitte auf die Abbildungen klicken)

1906  Im Laufe des Jahres 1906 - Ferdinand ist gerade 38 Jahre alt geworden, wird

          bei ihm eine chronische Magen-Darmentzündung diagnostiziert, aus der sich in

          den folgenden Jahren ein Darmkrebs entwickelt. Der Künstler sieht sich

          gezwungen, seine Arbeit im Albert-Langen-Verlag deutlich einzuschränken.

          Es ist ihm allerdings eine Herzensangelegenheit, die jährlichen Sonderaus-

          gaben des "Simpl", wie das Magazin im internen Jargon genannt wird,

          weiterhin federführend zu gestalten. Vor allem die Sonderausgaben zum

          Karneval, respektive zum "Münchner Fasching", der für die "Upper-Class"

          stets mit mondän-eleganten Bällen und für das gemeine Volk stets mit hand-

          fest-zünftiger Kneipen- und Bierzelt-Unterhaltung verbunden ist, erreichen

          quer durch alle Gesellschaftsschichten hohe Auflagen. Ferdinand läßt diese

          Gegensätze "lustvoll" aufeinandertreffen.

         "Nichts ist emotional so ansteckend, wie gesellschaftlicher Voyeurismus und

          die Freude, selbst zum Kreis der "Erlauchten" zu gehören, respektive der

          unverhohlene Neid, wenn man selbst nicht mitmachen darf und zusehen

          muß, wie andere sich vergnügen."

Simplicissimus-Sonderausgaben zur Münchner Karnevals-/Faschingszeit

Die letzte von Ferdinand von Reznicek zu Lebzeiten herausgegebene Sonderausgabe des Simplicissimus (Karnevals-Nummer 1909)

1909  Am 30.04.1909 verstirbt überrraschend Ferdinands Freund und Förderer,

          der Verleger Albert Langen im Alter von 40 Jahren in München. Dieser hatte

          zuvor Ferdinand zum künstlerischen Leiter des Gesamtverlages, verantwort-

          lich für das Erscheinungsbild des literarischen Buchprogramms ebenso wie für

          die verschiedenen Periodikas des Hauses - vor allem natürlich für das

          Satiremagazin Simplicissimus - bestellt. Ferdinand wollte unter allen Um-

          ständen dem Wunsch seines Freundes gerecht werden. Er plante, sich

          bezüglich seines chronischen Darmleidens schnellstmöglich in einer Münchner

          Klinik operieren zu lassen. Noch drei Tage, bevor er sich in die Klinik begab,

         "werkelte" er in seinem Verlagsbüro und stellte in Nachtarbeit die letzten drei

          Zeichnungen für die anstehenden Ausgaben des Simplicissimus her.

Ferdinand von Rezniceks letzte drei Zeichnungen für den Simlicissimus wurden später posthum veröffentlicht (Zur Vergrößerung bitte auf die Abbildungen klicken).

11.05. Die Operation verlief leider nicht reibungslos. Ferdinand (Franz) Freiherr von

1909   Reznicek erlitt am 11.05.1909 - knapp zwei Wochen nach dem Tod seines

           Freundes Albert Langen - wohl infolge der Darmoperation - einen Blutsturz

           und verstarb kurz vor seinem 41. Geburtstag. 

Original-Nachruf auf Ferdinand von Reznicek im Simplicissimus Jahrgang 14, Ausgabe 09, Seite 138.

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