Horst Spranger (1931)
Vorläufiger Entwurf eines Künstlerprofils von Horst Spranger. Die redaktionellen Recherchen dauern zur Zeit noch an. Geplant ist eine Recherchereise Anfang April 2019 nach Küps. Dort hoffe ich, weitergehende Informationen zu erhalten.
1931 Horst Spranger erblickt als Weihnachtskind am 31.12. 1931 in Niedersalz-
brunn im schlesischen Kreis Waldenburg "das Licht der Welt". Leider ist
über Horst Sprangers Familie, seine Eltern, mögliche Geschwister und die
Zeit seiner Kindheit in Niedersalzbrunn nichts oder nur sehr wenig bekannt.
Niedersalzbrunn - heute das polnische Szczawienka und einer der Stadtteile
der Stadt Walbrzch - war im 19. Jahrhundert zunächst als "Stadt der Weber
und Tuchmacher" bekannt.
Im Jahr 1849 wurde in Niedersalzbrunn die Porzellanmalerei Prause
gegründet. Sie hatte nachhaltigen Erfolg und vergrößerte in wenigen Jahren
ihren Personalbestand erheblich. 1893 traf man die Entscheidung, den
ursprünglichen Porzellan-Veredelungsbetrieb zur eigenständigen Porzellan-
fabrik Franz Prause auszubauen.
Parallel dazu nahm 1881 eine weitere Porzellanfabrik ihre Arbeit in Nieder-
salzbrunn auf. Die Porzellanfabrik Hermann Ohme produzierte vor allem
Gebrauchsporzellan, das - dem damaligen Geschmack entsprechend - über-
wiegend mit blauen Dekormotiven bemalt und gebrannt wurde. Auch dieser
Betrieb florierte.
Ob und in welchem Maße Horst Spranger bereits in seinen Kindertagen von
den porzellangewerblichen Infrastrukturen in seiner Geburtsstadt beeinflußt
und geprägt wurde, ist nicht exakt zu ermitteln. Möglicherweise haben Fami-
lienmitglieder oder Verwandte in einem der Porzellanbetriebe gearbeitet.
Eventuell hat auch sein Vater dort sein Geld verdient.
Allerdings verzeichnet das Meldeverzeichnis des Kreises Waldenburg 1935
keinen Eintrag mehr mit dem Namen Spranger. Auch im historischen Adress-
buch von Niedersalzbrunn findet sich - wohl weil infolge des 2. Welkrieges
weite Teile fehlen bzw im Zuge der Vertreibung abhanden gekommen sind -
kein Hinweis auf die damalige Wohnadresse der Familie Spranger.
1937 Horst Spranger wird wohl zu Ostern 1937 eingeschult. Auch zu seinen wei-
teren Schulbesuchen gibt es keine gesicherten Informationen.
1945 Host Spranger ist 14 Jahre alt, als der 2. Weltkrieg zu Ende geht und die
Vertreibung der Bevölkerung aus den deutschen Ostgebieten zu entspre-
chenden Flüchtlingsströmen in den Westen führt. Wo und wie Horst Spranger
das Kriegsende erlebt, ist nicht belegt.
Nach dem Krieg bewirbt sich Horst Spranger bei der Porzellanfabrik J.
Kronester & Co in Schwarzenbach (an der Saale) um eine Ausbildung als
gewerblicher Porzellanfacharbeiter zu absolvieren. Schwarzenbach liegt in
Oberfranken, südlich der Stadt Hof und beherbergte neben Kronester noch
eine weitere große Porzellanfabrik (Gebr. Winterling).
Die Porzellanfabrik Kronester wurde 1906 gegründet. Sie stellte sehr erfolg-
reich im Jugendstil gestaltete Ess-Service und hochwertiges Gebrauchs-
geschirr her. Der im Familienbesitz befindliche durchaus traditionsbewußte
Betrieb wurde über vier Generationen weitergeführt, ehe der Umsatz
Mitte/Ende der 90-er Jahre einbrach. Nachdem große Unternehmensteile
veräußert und ausgelagert worden war, zog sich die Familie Kronester aus
dem Unternehmen zurück. 1998 wurde das Unternehmen in Schwarzenbach
endgültig aufgelöst.
Von dieser Entwicklung bekam der damals noch jugendliche Horst Spranger
nur wenig mit. Im Gegenteil. Das Unternehmen florierte und Horst Spranger
lernte im Zuge seiner Ausbildung alle Phasen der Porzellanherstellung bei
Kronester "aus dem Eff-Eff" kennen.
gewerbliche Ausbildung als Porzellanmodelleur
Schon bald zeigt sich das besondere gestalterische Talent des Lehrlings,
der insbesondere ein Faible für die "kreative" Porzellanmodellierung ent-
wickelte. Fast zwangsläufig verschob sich sein Ausbildungsprofil vom
Porzellanfacharbeiter mehr und mehr in Richtung Porzellanmodelleur.
1950 Im Rahmen seines Berufschulunterrichts beteiligt sich Horst Spranger an
einem Gestaltungswettbewerb zum offiziellen Abschluß seiner gewerblichen
Ausbildung als Porzellanmodelleur. Für die gezeigte Gestaltungsleistung wird
er mit dem Staatspreis des Bayrischen Unterrichtsministeriums ausgezeich-
net. Dem jungen Porzellanmodelleur steht mit diesem Abschlußzertifikat
"die Welt offen".
1951 Horst Spranger erhält einige lukrativen Jobangebote von verschiedenen Por-
zellanfirmen. Mehr noch aber reizt ihn ein Studium an der Staatlichen Kera-
mischen Fachschule in Selb. Er zieht nach Selb. In den folgenden 3 Jahren
studiert er bei Karl Leutner, der seit 1942 als Dozent und Leiter der Model-
lierklasse in Selb tätig ist und einen ausgezeichneten Ruf genießt.
Studium zum staatlich gepr. Fachschulmodelleur
Horst Sprangers Lehrer, Karl Leutner, Jahrgang 1915, war selbst von 1933
bis 1936 Absolvent der Staatlichen Fachschule für Porzellan in Selb gewesen.
Er studierte danach bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges an der Kunsthoch-
schule Weimar. 1940 verdingte er sich als Gestalter und Werkstoff-Spezialist
bei den Messerschmitt-Flugzeugwerken in München, ehe er 1942 den Ruf
zur Staatlichen Fachschule für Porzellan annahm. Bis zu seinem Ruhestand
1978 war er dort in der Lehre tätig.
Nebenberuflich "inspirierte" Karl Leutner mit seinen Gestaltungsentwürfen
namhafte Porzellanfabriken, für die er beratend tätig war, so die staatliche
Porzellanmanufaktur in Berlin, die Porzellanfabrik Heinrich & Co in Selb
sowie in den späten 70-er und 80-er Jahren die Firma Ceramano-Kunstkera-
mik in Ransbach-Baumbach.
Horst Spranger wird Meisterschüler bei Karl Leutner. Er lernt vor Ort den fast
zwei Jahre älteren Studienkollegen Ludwig Lindner kennen, der bereits sei-
nen Abschluß als künstlerischer Porzellangestalter/Modelleur "in der Tasche"
hat, aber zur Vertiefung seines produktionstechnischen Wissens noch ein
weiteres technisches Semester anhängt, ehe er in den Betrieb seines Vaters
(Lindner Porzellanfabrik in Küps) einsteigt.
1954 Horst Spranger macht mit dem jahrgangsbesten Abschlußzeugnis seinen
Abschluß als "Staatlich geprüfter Fachschulmodelleur" an der staatlichen
Fachschule für Keramik in Selb.
Die Bekanntschaft zwischen Horst Spranger und Ludwig Lindner erweist sich
in der Folgezeit als überaus "nützlich und tragfähig". Mit dem Eintritt Ludwig
Lindners in die väterliche Lindner-Porzellanfabrik KG in Küps kommt im
Herbst 1951 "frischer Wind" in das Produktionsprogramm des Unternehmens.
Natürlich möchte Ludwig Lindner seine in Selb erworbenen Fachkenntnisse
sowohl produktionstechnischer wie gestalterischer Art zügig umsetzen und
den väterlichen Betrieb modernisieren. Der Vater - Ernst Lindner - läßt
seinen Sohn "mit einigem Bauchgrimmen" gewähren. Nach und nach stellt
Ludwig Lindner in den Folgejahren das Verkaufsprogramm auf modernes,
künstlerisches Zierporzellan und - zumindest für damalige Verhältnisse unge-
wöhnlich gestalteten Tafelschmuck (Vasen, Krüge, Dosen, Tischfiguren etc.)
um. Wie die konkurrierende Firma Rosenthal "wittert" auch Ludwig Lindner
einen steigende Nachfragetrend nach zeitgemäß modernen Porzellanobjek-
ten und werthaltigen Geschenk- und Sammelstücken.
Und wie auch sein Konkurrent bemüht er sich darum, ein unverwechselbares
Design und damit eine eigene Hauslinie zu kreieren. Während Rosenthal aber
auf die Zugkraft bereits bekannter Künstler und Designer vertraut und diese
projektbezogen beauftragt, vertraut Ludwig Lindner ganz auf seine eigene
Stilistik und Kreativität. Er ist fasziniert von den vielfältige Gestaltungs- und
Ausdrucksmöglichkeiten asymetrischer Porzellanobjekte, vor allem von
Vasen. Sicher sind diese individueller und schwieriger herzustellen und
erfordern auch von dem Gestalter eine gehörige Portion Mut, "ausgetretene
Wege" zu verlassen. Die tradierten Gestaltungsnomen, wie man üblicher-
weise Teller, Schüsseln, Schalen, Tassen und andere Porzellanobjekte in
Gestalt, Form, Farbe und Dekor formt, sind tausendfach erbrobt und weit-
weitgehend "durchdekliniert". Insbesondere in den Zeiten des Neuanfangs
nach dem 2. Weltkrieg "gieren" die Menschen nach Neuem und Modernem.
Lindner liefert es. Nach und nach baut Ludwig Lindner ein "modernes",
stilistisch weitgehend auf dem Prinzip der Asymetrie beruhendes Angebots-
segment auf. Seine Porzellanobjekte erregen Aufsehen und kommen gut an.
Lindner sieht sich gezwungen, nahezu die gesamte Fertigung auf das neue
Programm umzustellen. Das "deutsche Wirtschaftswunder" der beginnenden
50-er Jahre beschert vielen Betrieben einen dynamischen Verkaufsboom -
sowohl im Inland wie in internationalen Exportmärkten. Das sichert auch
Lindner ein dynamisches Wachstum. Die Belegschaft wächst stetig an.
Leitender Modelleur bei der Lidner-Porzellan KG
Horst Spranger heuert 1954, noch im Jahr seines Studienabschlusses - als
Porzellanmodelleur bei der Lindner-Porzellanfabrik in Küps an.
Schon nach kurzer Zeit arbeiten Ludwig Lindner und Horst Spranger - wie
berichtet wird - "kongenial" zusammen. Sie sprechen "stilistisch" die gleiche
Sprache. Sie verstehen sich. Ihre Entwürfe ergänzen sich.
Horst Spranger : Detailansichten der "Vase", Lindner-Modellnr.: 522/4, Sammlung M. Hümmer,
Teilweise findet man für die Vase auch die Bezeichnung: "Dreiecksvase Mura"
Die Vase wurde in 3 Größenvarianten produziert:
522/2 - Höhe 17,0 cm, Sammlungsnr.: G7.6 2017.023
522/3 - Höhe 23,6 cm, Sammlungsnr.: (nicht im Bestand)
522/4 - Höhe 27,5 cm, Sammlungsnr.: G7.6 2018.012
Horst Spranger: Dekorvarianten der "Deckeldose", Lindner-Modellnr.: 526
obere Reihe: "Rheingold" Sammlung M. Hümmer, Sammlungsnr.: G7.6 2018.020
untere Reihe: "Bavaria" Sammlung M. Hümmer, Sammlungsnr.: G7.6 2018.002
Beiden Modelleuren gelingt es Mitte der 50-er Jahre, der nur ein Jahrzehnt
dauernden Stilrichtung des deutschen Nierentisch-Designs" eine ad-
äquate stilreine Umsetzung im Bereich des Porzellandesigns zu geben.
Die Entwürfe von Ludwig Lindner und Horst Spranger werden später von
einer Vielzahl von Porzellanmodelleuren in anderen Firmen aufgenommen
und kopiert. Qualitativ reichen die "Nachempfindungen" aber kaum an die
Lindner-Originale heran. Insofern sind die asymetrischen Lindner-Objekte
bereits zu gesuchten Sammlerstücken - exemplarisch für die Zeitströmung
der 50-er Jahre geworden.
1957 In den folgenden vier Produktionsjahren (1954 - 1957) weist das Lindner-
Modellnummernverzeichnis 105 neue Porzellanobjekte aus, die der "asyme-
trischen" Periode zugerechnet werden können. Nachweislich stammen rund
20 dieser Objekte aus der Hand von Horst Spranger. Daneben gestalteten
beide Modelleure gemeinsam die Figurengruppe "Fabula" (Tierserie mit 21
abstahierten Einzeltieren)
Erfolg macht neidisch. Die Rosenthal AG klagt gegen Lindner und geht vor
Gericht. Rosenthal beansprucht das Recht zur "Asymetrischen Porzellange-
staltung" als stilistisches Merkmal alleinig für sich. Andere Firmen - so ihr
Standpunkt - produzierten letzendlich nur Rosenthal-Produktplagiate und
"billige Kopien". Rosenthal argumentiert mit einem asymetrischen Vasen-
entwurf von Fritz Heidenreich, der - 1952 für Rosenthal gestaltet - als
"schwangere Luise" bekannt geworden war. Zudem führt sie in ihrer Klage-
schrift das Design mehrerer Orchideenvasen an, die ebenfalls asymetrisch
gestaltet sind und wegen ihres Verkaufserfolges schnell Nachahmer ge-
funden haben.
Nachfolgend überzieht Rosenthal die Lindner-Porzellanfabrik mit einer Flut
von Urheberrechts- und Verkaufsunterlassungsklagen und drohte auch
anderen Unternehmen, die ebenfalls asymetrische Entwürfe produzieren
wollen, kostspielige Prozeßauseinandersetzungen an. Die meisten Firmen
sehen sich existenziell bedroht, da sie befürchten, finanziell nicht mithalten
zu können und ziehen ihre diesbezüglichen Produkte vom Markt zurück.
Einzig Ludwig Lindner hält dagegen. Nach vierjähriger Prozeßdauer und
mehreren Revisionsanträgen urteilt der Bundesgerichtshof im Dezember
1958 in letzter Instanz, dass das Prinzip der "Asymetrie" für sich nicht
urheberrechtlich für ein Untenehmen geschützt werden könne, weil es als
ein grundlegendes allgemeines Gestaltungsprinzip der Kunst gelte und viele
individuelle Formen und Varianten einer kreativen Gestaltung erst ermög-
liche. Zudem sei Ludwig Lindner kein billiger Kopist und so sei ihm aufgrund
seiner Ausbildung an der Porzellanfachschule ein "ehrliches Bemühen um
die Gewinnung moderner (Porzellan-)Formen" zu unterstellen.
Ein Sieg auf ganzer Linie. Allerdings etwas spät, da "der Zug zu einer
größeren Verbreiterung des asymetrischen Produktdesigns zu diesem
Zeitpunkt bereits abgefahren ist" und dieser Designstil in Deutschland
durch das Wiederaufleben des Bauhaus-Gedankens (Ulmer Schule) bzw.
international durch das Aufkommen der Pop- und OP-Art stilistisch sub-
stituiert wurde.
In den 80-er Jahren hat Lindner Porzellan - wie auch die anderen mitttel-
ständischen Firmen der Branche - mit massiven Veränderungen im Pub-
likumsgeschmack und im Käuferverhalten zu kämpfen. Das frühere "feine
Sonntags- und Gästebewirtungsgeschirr" in dessen weiteren Ausbau häufig
generationenübergreifend investiert (und das dann auch entsprechend
generationenübergreifend vererbt) wurde, muss nach und nach billigerem,
"spülmaschinengeeignetem" Alltagsgeschirr weichen. Preisgünstige Komplett-
service - meist aus asiatischen Billiglohnländern importiert - überschwemmen
den Markt. Eine Nachkauf-Garantie wird nur noch selten nachgefragt.
Zudem wirkt sich auch die zunehmende Anzahl von Single-Haushalten auf die
Programmbreite des Angebots aus.
Ende der 80-er /Anfang der 90-er Jahre wird auch die Situation für die Firma
Lindner Porzellan kritisch. Die Umsätze brechen ein. Das Unternehmen steht
vor der Auflösung.
1990 In einem Management-Bay-out übernimmt der bisherige kaufmännische Leiter
Werner Gossel, der den Betrieb seit 1979 kennt, die Firma. Zusammen mit
seinem Sohn Walter Gossel reorganisiert er das Traditionsunternehmen. Man
schrumpft, baut Personal ab, flexibilisiert die Produktionsprozesse und spe-
zialisiert sich auf Lohn- und Zulieferaufträge für andere Porzellanfirmen sowie
Einzel- und Musterfertigungen für externe Fremd-Designer.
Horst Spranger war 37 Jahre als leitender Modelleur und Entwerfer für die
Firma Lindner tätig, ehe er 1991 in den vorgezogenen Ruhestand geht.