Hans Neumann (1873 bis 1957)
Expertise-Objekt:
Gerahmte Grafik in Holzrahmen
Rahmenmaß: 41,5 x 32,0 cm (h x b)
Blattmaß: 27,5 x 19,8 cm
Passepartout: 25,0 x 17,6 cm
Abzug eines 3-Farben-Holzschnittes
Im Blatt (rechts unten) monogrammiert:
HN (Signetmarke)
Unter dem Abzug (rechts) per Bleistift:
"Hans Neumann" (in Druckschrift);
sonst unbetitelt, unsigniert und undatiert
keine Angabe zur Auflagenhöhe.
Motiv: Strandbadszene
Im Vordergrund eine junge
Frau in zeitgenössischer Voll-
körper-Badekleidung
(Modestil um 1900)
Abb. links: Rückseite Abb. rechts: Detail Rückseite
Der Abzug ist offensichtlich schon Beschriftung mittig unten:
mehrfach gerahmt und passend "HANS NEUEMANN"
beschnitten worden. Die früheren Der Schriftzug ist offensichtlich bei
Klebebefestigungen sind noch zu der Erstrahmung teilweise überklebt
sehen. worden.
Daten zur Person des Künstlers
1873 Hans Neumann wird am 26.10. 1873 als Sohn des Landschafts- und
Marinemalers Friedrich Emil Neumann (1843-1903) in Kassel geboren.
Der Vater ist ein durchaus angesehener, akademisch gebildeter Maler,
dessen Ölgemälde in den Wohnungen vieler Kasseler Patrizierhäusern
hängen.
Dem damals allgemein vorherr-
schenden Geschmack entspre-
chend - vielleicht auch aus der
Sehnsucht der Deutschen nach
einem starken und mächtigen
großdeutschen Kaiserreich -
hat sich Friedrich Emil Neumann
schon früh auf die vaterländische
Marinemalerei spezialisiert.
Seine heroisch in bewegter See
dargestellten Schiffsmotive kom-
men hervorragend an. Er ver-
kauft seine Bilder gut. Der Familie
geht es nicht schlecht.
Emil Neumann lässt es sich nicht nehmen, seine beiden Söhne - Hans
hat einen zwei Jahre älteren Bruder - in seinem Atelier zum Zeichnen
und Malen anzuleiten. Die beiden haben offensichtlich das "künstlerische
Gen" ihres Vaters geerbt. Beide stehen schon früh in einem brüder-
lichen Konkurrenzkampf um die Anerkennung ihres Vaters.
Ernst Neumann - im Jahre 1871 in Kassel geboren, wird als erster
der beiden Söhne eingeschult. Der von allen meist nur "Junior" ge-
rufene Hans Neumann folgt seinem Bruder zu Ostern 1880.
1884 Ernst und Hans Neumann wachsen in
gut-bürgerlichen Verhältnissen auf.
Sie gehen ins Gymnasium, machen
ihr Abitur und beginnen beide gegen
Mitte der 90-er Jahre ein Kunststu-
dium an der Kunstakademie in
Kassel. Hier lehrt seit 1891 ihr Vater
Friedrich Emil Neumann als Kunst-
professor. Noch ist die Familie zu-
sammen, doch nach Absolvierung
des Grundstudiums drängt der Vater
darauf, dass seine Söhne selb-
ständig werden und "seine Fittiche, wie die der Familie" verlassen, um sich
"frischen Wind um die Ohrfen blasen zu lassen." Ihre Wege trennen sich.
1896/97 Ernst Neumann wechselt an die Kunstakademie in München; Hans geht
zur Kunstakademie nach Berlin. Der Vater - Emil - bleibt als Professor
in Kassel. Der Kontakt reißt aber nie ab. Man besucht sich gegenseitig
und diskutiert - teilweise sehr engagiert und heftig - die neuesten Trends
und aktuellen Stömungen in der Kunst. In München erscheinen 1896
- fast parallel zueinander - die Zeitschrift: "Jugend - Münchner Wochen-
schrift für Kunst und Leben" sowie die satirische Wochenzeitschrift:
"Simplizissimus"
1900 Hans Neumann (der "Junior") schließt in Berlin sein Kunststudium als
Maler und grafischer Zeichner ab. Auf Drängen seines Bruders Ernst
zieht er nach München um. Ernst Neumann steht - begünstigt durch
sein Studium an der Kunstakademie in München - im engen Kontakt
mit den Münchner Redaktionen der Zeitschrift "Jugend" und des
"Simplizissimus". Schon bald erhalten beide Brüder Verträge als "freie
Mitarbeiter" der Zeitschriften und so arbeiten beide nach dem Studium
zunächst einige Zeit in München als "Illustratoren".
Bildfolge Hans Neumann: "Eine moderne Seeschlacht" (ca. 1901)
Abb. links: Ernst Neumann Abb. rechts: Ernst Neumann
"Frauensport" " In der Nähe - In der Ferne"
Hans Neumann lernt in München
den Maler und Grafiker Otto Eck-
mann (1865-1902) kennen. Spä-
testens mit dem von ihm entwor-
fenen Titelblatt der 4. Ausgabe der
Zeitschrift "Jugend" gilt Otto Eck-
mann als einer der bedeutensten
und einflußreichsten "Jugendstil-
maler" seiner Zeit. Tatsächlich hat
der "Jugendstil" durch die prä-
genden Veröffentlichungen in der
Münchner Kulturzeitschrift "Jugend"
seinen (deutschen) Namen als ei-
gene Kunst- und Stilrichtung erst
erhalten. Allerdings war die
"Jugend" als "illustrierte Wochen-
schrift für Kunst und Leben" nicht
nur dem Jugendstil verpflichtet,
vielmehr haben Illustration und
Ornamentik der Zeitschrift auch
das "art nouveau" sowie auch an-
dere zeitgenössische Stilrichtungen,
beispielsweise den (Münchner) Impressionismus, in breiten Kreisen der
Bevölkerung bekannt und "hoffähig" gemacht.
1901 Otto Eckmann, damals 36 Jahre alt, drängt seinen 28-jährigen Freund
und Künstlerkollegen Hans Neumann dazu, den überwiegend "floralen"
Jugendstil systematisch zu überwinden und weiterzuentwickeln.
"Konzentriere Dich auf Holzschnitte! - Die Technik der Holzschnittes zwingt
Dich unweigerlich dazu, Deinen stilistischen Ausdruck auf das Wesentlichste
zu konzentrieren!" So Otto Eckmanns Kredo. Ein Jahr später ist er tot.
Hans Neumann nimmt dies als "Ottos Vermächtnis" an. In der Folgezeit
konzentriert er sich auf farbige Holzschnitte. Er hat damit den von
Otto Eckmann prognostizierten Erfolg. Schon bald zählt auch er zu den
bekannten Vertretern des Jugendstils.
Hans Neumann: Farbige Holzschnitt-Arbeiten ab 1900 bis 1903:
links: mitte: rechts:
Spaziergang im Park Reise nach Venedig Münchner Carneval
1903 Der Vater - Friedrich Emil Neumann - verstirbt in Kassel. Hans
empfindet das Ableben seines Vaters auch unter künstlerischen
Gesichtspunkten als eine tiefgreifende Zäsur in seinem Leben.
Im Umfeld der grafisch-illustratorisch tätigen Mitarbeiter der Zeitschrift
Jugend wird die "Gruppe G." (G. steht für Grafik) als eigenständige künst-
lerische Vereinigung in München gegründet. Hans Neumann engagiert sich
in dieser "Gruppe G." Man will sich bewußt von der vorher allbeherrschen-
den MKG (Münchner Künstler Genossenschaft) abgrenzen, die unter dem
"Diktat des Malerfürsten Franz von Lenbach dem Historismus frönte".
Der Aufstand der "jungen modernen Künstler" führt zur "Münchner
Sezession" die überwiegend von einer fast 100-köpfigen Gruppe unzufrie-
dener malender Künstlern gebildet wird. Die "Gruppe G." steht der
"Münchner Sezession" (der Maler) sehr nahe und bildete praktisch
deren "Grafiker-Zweig".
Hans Neumann ist mitten drin in dieser künstlerischen Revolte. Unter
seiner Mitwirkung wird die "Gruppe G." in die Künstlervereinigung: "Die
Scholle" überführt, die ihren freiheitlich-individualistischen Anspruch
regelmäßig in der Zeitschrift "Jugend" definiert und veröffentlicht.
Hans Bruder - Ernst Neumann - entflieht den Münchner Wirrnissen. Er
wird als hochtalentierter "Tausendsassa", Tüftler und Erfinder be-
schrieben, der "in allen kreativen Sesseln Platz nehmen kann" und
als Bohemien ein ungezwungenes Leben führt. Ernst Neumann geht
zunächst nach Paris, später dann für einige Jahre in die USA. Nicht
dass er damit in ruhigere Gefilde wechselt. Im Gegenteil. Paris ist zur
damaligen Zeit die Welthauptstadt der Kunst. Im Schmelztiegel der Stadt
finden sich alle Kunstzweige - von der Baukunst bis zur Bildenden
Kunst- alle angewandten Künste, - von der Interieurgestaltung bis zur
Bekleidungsmode - und alle Stilrichtungen - vom "art deco" über den
"Kubismus" bis zur völligen "Abstraktion" wieder.
Ernst Neumann erhält hier die Impulse,
die ihn - abseits der bildenden Kunst -
zu einem der fortschrittlichsten Form-
gestalter des neu angebrochenen Jahr-
hunderts werden läßt. Seine Karosserie-
entwürfe für Rennwagen und Automobile,
vor allem aber seine auch technisch
hochmodernen Motorradlösungen wirken
futuristisch und nehmen - wie sich später
herausstellt - mindestens eine Dekade
automobiler Entwicklungsarbeit vorweg.
Zurück in Deutschland macht er ein eigenes Entwicklungsbüro auf und
arbeitet in der Folgezeit für die Rennsportabteilungen von Opel und
Mercedes-Benz. Unter anderem stammen die raketengetriebenen
Experimentalfahrzeuge von Opel zu großen Teilen aus seiner Werk-
statt. Parallel dazu macht er in der Nähe von Düren/Eifel einen eigenen
Rennstall "Fahrmaschinen Neander" auf. Er läßt es sich - trotz einer
Knieversteifung - nicht nehmen, selbst in den Sattel seiner Motorräder
zu steigen und Langstreckenrennen zu fahren.
Ernst nennt sich fortan nach dem Namen seines Rennstalls:
Ernst Neumann-Neander (Kürzel: EN²).
1914 Hans Neumann steht - wie er einmal sagte - "tief im Schatten" seines
2 Jahre älteren Bruders. Er bleibt in München und führt dort ein deutlich
weniger "glamouröses" Leben als sein Bruder.
Er ist 41 Jahre alt, als der erste Weltkrieg ausbricht. Es ist nicht überliefert,
ob und wo er aktiv als Soldat gedient hat.
1918/19 Nach Beendigung des 1. Weltkrieges nimmt Hans Neumann seine
Tätigkeit als freier Mitarbeiter der Wochenzeitschrift "Jugend" sowie
des Satiremagazins "Simplizissimus" wieder auf. Die Zeiten sind rauh
und alles andere als erquicklich für bildende Künstler. Sein Bruder
unterstützt ihn nach Kräften, verliert aber selbst infolge des "schwar-
zen Freitags" und der Geldentwertung sein gesamtes Vermögen. Seine
Firma und sein Rennstall "Neumann-Neander" gehen bankrott.
Hans - der Junior - übersteht die Zeit "mit der
Hand im Mund". Er besinnt sich seiner während
des Kunststudiums in Berlin erworbenen Kennt-
nisse als Radierer, vervollständigt sie und fer-
tigt Auftragsportraits verschiedener "Honora-
tioren" der Stadt München an, mit denen er sich
finanziell "über Wasser" hält.
Gelegentlich arbeitet er erneut für die Zeitschrift
"Jugend", bis diese nach der Machtergreifung
Hitlers ihre inhaltliche Ausrichtung ins "Völkisch-
Nationale" ändern muss und Anfang der 40-er
Jahre ihr Erscheinen ganz einstellt.
Die Radierung: "Im Atelier" zeigt im Vorder-
grund (s)eine (?) junge Frau; im Halbdunkel
des Hintergrunds hat der Künstler sich selbst
portraitiert.
1936 Im Zuge der ab 1933/34 beginnenden nationalsozialistischen "Gleich-
schaltung der Deutschen Kunst" (siehe Kap: "Künstler in der NS-Zeit")
wird Hans Neumann - wie fast alle seiner Kollegen - Mitglied in der
Fachschaft Grafik der Reichskulturkammer in Berlin. Das sichert ihm
öffentliche Aufträge. Er erhält eine (Halbtags-) Festeinstellung in einer
Plakatdruckerei, bis er schließlich sein Ruhestandsalter erreicht. Um sich etwas Geld dazu zu verdienen, arbeitet Hans Neumann in der Folge-
zeit noch als angewandter Gebrauchsgrafiker für verschiedene Münchner
Verlage und Druckunternehmen weiter. Seine eigeninitiativen, künst-
lerischen Ambitionen schlafen darüber weitgehend ein.
Nur noch selten ist er - unterstützt von seinem Bruder Ernst, der
inzwischen wieder auf die Beine gekommen ist und als Designer für
deutsche Automobilunternehmen arbeitet - als "freier Künstler" tätig.
Nach und nach verblaßt sein Name als bekannter deutscher Vertreter
des Deutschen Jugendstils- vor allem aber als veritabler Holzschnitt-
Künstler. Mit zunehmendem Alter wird es ruhig um ihn.
1939 Hans Neumann ist 66 Jahre alt, als der zweite Weltkrieg ausbricht.
Er erlebt sowohl den anfänglichen Jubel wie auch die Schrecken des
Krieges in München.
1949 Nach dem Krieg gibt es noch einmal
ein "kreatives Aufbäumen". Wie
viele seiner deutschen Künstlerkol-
legen möchte Hans Neumann die
im Vergleich zur internationalen
Kunstszene "verlorene Zeit" auf-
holen. Er experimentiert mit ver-
schieden Stilrichtungen, versucht,
die so andersartigen Sichtweisen
der modernen französischen, englischen und amerikanischen Maler nach-
zuempfinden und in eigenen Werken umzusetzen. Schließlich wendet er
sich der "Abstraktion und Auflösung" grafischer Grundmotive zu. Einige
größerformatige grafische Arbeiten entstehen, kommen aber - bis auf
wenige Ausnahmen - nicht mehr in den öffenlichen Verkehr.
1957 Am 31.12.1957 verstirbt Hans Neumann im Alter von 84 Jahren in
München.
Expertise
Im Kunstauktionshandel ist vor
Jahren der Probeabzug eines
3-Farben-Holzschnittes angebo-
ten worden, der vom Künstler
manuell signiert, datiert und
rückseitig handschriftlich be-
titelt ist. Das Motiv ist identisch
mit dem Expertiseobjekt.
Offensichtlich hatte Hans Neu-
mann ursprünglich vor, neben
der roten (Gewand-)Farbe
einen hellen Blauton zur
Darstellung von Wasser und
Himmel sowie einen dunkle-
ren Blauton für alle übrigen
kontrastierenden Bildasses-
soires zu verwenden.
In der "Expertiseversion" ist
das Hellblau einem grün-beigen
Farbton gewichen und das
Dunkelblau durch Grün-Anthra-
zit ersetzt worden. Hierdurch
wurde insbesondere der Haut-
ton der Badenden natürlicher
darstellbar.
Im Vergleich zum Probeabzug
(oben) sind weitere Detailver-
änderungen erkennbar: So ist
der Faltenwurf der Badebeklei-
dung bei der Hauptfigur durch
Übereinanderdruck der roten
und der gün-anthrazitenen Far-
be deutlich klarer. Es ergibt
sich partiell ein weiterer Farb-
ton, wodurch insbesondere die
Schattenpartie des Kleidaus-
schnittes an der Schulter sowie
der Faltenwurf an den Knie-
gelenken der badenden Frau
durchgearbeiteter wirken.
Beim Expertiseobjekt ist der
Schriftzug: "Hans Neumann"
rechts unten auf dem Blattrand
offensichtlich später in Bleistift
hinzugefügt worden.
Der Schriftzug entspricht nicht
der typischen Handschrift des
Künstlers. Eine Bilddatierung
fehlt ebenfalls. Wie bei dem
Holzschnitt: "Talfahrt" nachge-
wiesen ist, hat Hans Neumann
seine Druckstöcke mehrfach benutzt und Nachdrucke seiner Motive -
teilweise im mehrjährigem Abstand - hergestellt - respektive herstellen
lassen. Möglicherweise ist dies auch hier der Fall.
Das Expertiseobjekt ist dennoch mit hoher Sicherheit ein Originalabzug
aus Hans Neumanns Hand.
Wie dem Auszug aus einem
Signetverzeichnis des Künst-
lers zu entnehmen ist, hat
Hans Neumann seine in ein
Quadrat eingeschriebene
Paraffe HN in dieser Form
in der Frühzeit seines künst-
lerischen Schaffens (bis 1903)
und später wieder (ab 1919)
zur Kennzeichnung seiner
Werke verwendet. Das Signet findet sich - negativ ausgespart - jeweils
unten rechts im Bild.
Die Darstellungsweise entspricht in Stil und
Duktus (Machart) anderen Mehrfarb-Holz-
schnitten, die Hans Neumann zwischen 1900
und 1903 geschaffen hat. Möglicherweise
ist das Bild "Badefreuden" nur eines aus
einer ganzen Reihe ähnlicher Werke, in
denen der Künstler die "Freizeitbeschäf-
tigungen" mondäner junger Frauen in der
"Belle Epoque" thematisiert hat.
Der nebenstehende Holzschnitt: "Spazier-
gang im Park" ist ebenfalls ein Probedruck,
der auf dem unteren Blattrand handschrift-
lich gezeichnet "Hans Neumann - München"
sowie mit der Datierung 1903 und dem Zu-
satz: "Probedruck" versehen ist.
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