Firmenhistorie Porzellanfabrik Eversberg
Die Porzellanfabrik Eversberg in Burggrub existierte unter diesem Namen seit 1946. In den Zeiten des bundesdeutschen Witschaftsaufschwungs nach dem 2. Weltkrieg ("deutsches Wirtschaftswunder") florierte das Unternehmen, beschäftigte in seiner Hochphase über 250 Mitarbeiter und geriet, wie viele andere Porzellanmanufakturen auch, bis 2005 in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten. Die Porzellanfabrik Eversberg stellte in der Folgezeit nach und nach ihren Produktionsbetrieb in Burggrub ein und wurde noch eine Zeit lang als offene Handelsgesellschaft weitergeführt. Die Fabrik selbst ging - wenig erfolgreich - in die Hände verschiedener Investoren über, die das vorhandene Produktionsequipment zerlegten, verkauften und (weiter) ausschlachteten. Dem Vernehmen nach sind beispielsweise alle früheren Porzellanabgußformen im Zuge der Vermarktung der Archivregale in den Depoträumen zerschlagen und vernichtet worden. Heute erinnert - ausser dem verwahrlost erscheinenden Fabrikgebäude - leider nicht mehr viel an dieses ehemals blühende Porzellanunternehmen.
Vorläufer
Mit dem Bau und der Inbetriebnahme der Eisenbahnstrecke von Sonneberg nach Stockheim wurde der damals ländlich orientierte Ort Burggrub wirtschaftlich er-
schlossen und für mittelständische Produktions- und Gewerbebetriebe interessant.
Porzellanfabrik Burggrub Schoenau & Hoffmeister
1901 Die erfolgreichen Fabrikanten Arthur Schoenau und Carl Hoffmeister be-
saßen in Sonneberg zu gleichen Teilen eine florierende Puppenfabrik, die sie
1884 von den Voreignern: Bauersachs & Henninger übernommen hatten .
Mit dem Anschluß Burggrubs an das Eisenbahn-Streckennetz fassten sie ge-
meinsam den Beschluß, am Rande des Ortes Burggrub eine eigene Porzellan-
fabrik zu erbauen, um eine kontinuierlichen Versorgung mit qualitativ hoch-
wertigen Puppenköpfen für Ihre Fabrik in Sonneberg sicherzustellen und von
fremden Zulieferbetrieben unabhängig zu sein.
Nachdem der Bau bezugsfertig war, ver-
lagerte man zunächst auch Teile der
Puppenproduktion von Sonneberg nach
Burggrub. Schwerpunkt in Burggrub
wurde aber die Produktion von hoch-
wertigen Porzellanpuppenköpfen, die
überwiegend mit beweglichen Augen
ausgestattet waren und durch versierte
Porzellanmaler und -malerinnen höchst
kunstfertig und dekorativ mit individuel-
len Gesichtszügen bemalt wurden. Die
Porzellanmodelleure schufen laut Modell-
verzeichnis rund 20 verschiedenen Modellköpfe, die in unzähligen Varianten
mit jeweils unterschiedlichen Echthaarperücken, variierenden Augenfarben,
Taintfärbungen und individuellen Gesichtszügen "bestückt" werden konnten.
1907 Über die Frage, in welcher "Anschluß-Form" die Puppenköpfe produziert
werden sollten, entzweiten sich die beiden Geschäftspartner. Carl Hoffmeister
wollte die Puppenköpfe mit komplett ausgeformten Schultern (zum Arm- und
Rumpfanschluß) produzieren, während Artur Schoenau weiterhin die tradi-
tionellen ("Stiftekopf"-Versionen) bevorzugte. Infolge dieses Streites verließ
Carl Hoffmeister das Unternehmen und ließ sich von seinem Partner Arthur
Schoenau auszahlen. Dieser verkaufte bzw. verpachtete (notgedrungen) die
Porzellanfabrik Burggrub Schoenau & Hoffmann an Magnus Leube, der die
Firma unter gleichem Namen und mit gleichem Produktionsprogramm weiter-
führte.
1911 Arthur Schoenau verstirbt. Sein älterer Sohn Hans Schoenau übernimmt das
Familienunternehmen in Sonneberg und leitet es, bis er mit Ausbruch des 1.
Weltkrieges eingezogen wird. Er fällt 1914/15 im Fronteinsatz.
1915 Arthurs Witwe Caroline Schoenau und der jüngere Sohn Carl Schoenau
übernehmen die Geschäftsleitung in Sonnenberg. Carl Schoenau gibt u.a.
dem Bildhauer, Skulpteur und Porzellanmodelleur C.(aesar) Schneider
den Auftrag, für die Porzellanfabrik Burggrub den Kopf der englischen
Prinzessin Elisabeth nachzuformen. Die "Princess Elisabeth II" wird prompt
im Inland wie im Ausland - unabhängig vom Ausgang des 1. Weltkrieges -
ein Riesenerfolg.
bis
1939 Die Qualität der Puppenköpfe spricht sich herum. Porzellanpuppen - für
Externe erkennbar an der Feine des Hautbildes - gelten nicht nur bei Kindern
als Kostbarkeit. Im Laufe der Jahre werden hochwertige Puppenköpfe aus
Bisquit-Porzellan von Burggrub aus an viele namhafte Puppenhersteller im
In- und Ausland geliefert. Unter anderem beziehen Kurt Bruckner, Canzler
& Hoffmann, Cuno & Otto Dressel, Edmond Edelmann, Gebrüder
Eckhardt, Edmond Knoch, Kley & Hahn, Rudolf Leschhorn, Ernst
Liebermann, (Mick) Ernst Luthardt, Werner Luthardt, Ernst Maar &
Sohn, Hans Süssenguth, Friedrich Voight und Hermann VonBerg ihre
Puppenköpfe aus der Porzellanfabrik Burggrub.
Auswahl von Porzellanpuppenköpfen aus der Porzellanfabrik Burggrub Schoenau & Hoffmeister
In der Regel ist die Herstellermarke unter der Haarperücke am Hinterkopf der Puppen angebracht.
1939 Kriegsbedingt stellt die Porzellanfabrik Burggrub ihre Geschäfte ein.
Das Unternehmen wird von Seiten der Eignerfamilie - mehr oder minder
freiwillig - an die Siemens AG verpachtet. Siemens stellt mit dem Produk-
tionsequipment der Porzellanfabrik Burggrub im Auftrag der Wehrmacht
kriegswichtige elektrische Bauteile - unter anderem keramische Zündsysteme,
Hochspannungsisolatoren und hochfeste Rückschlagventile für die Strahl-
steuerung von V1-Waffen - her (unbestätigt).
1946 Nach dem Ende des 2. Weltkrieges übernimmt ein Enkel von Magnus Leube
- Horst Eversberg - die Geschäfte der ehemaligen Porzellanfabrik Burggrub
Schoenau & Hoffmeister. Er arrangiert sich mit den amerikanischen Be-
satzungskräften, die vor allem an den Konstruktionsplänen und Produktions-
mitteln der wehrtechnischen Abteilung von Siemens interessiert waren.
Die "alten" Einrichtungen zur Porzellanherstellung und insbesondere die
Abgußformen für die Porzellan-Puppenköpfe blieben erhalten, so dass Horst
Eversberg nach der Instandsetzung der technischen Geräte relativ schnell
das 1939 gestoppte Geschäft mit Puppenköpfen wieder aufnehmen konnte.
Er kauft das Unternehmen und firmiert es zur Porzellanfabrik Horst Eversberg
GmbH um.
Porzellanfabrik Horst Eversberg GmbH
1947 Mit der Währungsreform 1947 organisiert sich in den Westzonen auch der
Spielzeugwarenmarkt neu. Übergangsweise produzierte die Porzellanfabrik
Eversberg ausschließlich Ersatzteile und Puppenköpfe zur Reparatur und
Wiederherstellung von Puppen, die durch Kriegseinwirkungen beschädigt
waren.
1949 Die Messegesellschaft der Stadt Nürnberg bemüht sich, zusammen mit dem
Verband westdeutsche Spielwarenhersteller, die vor dem Krieg traditionell in
Leipzig ausgerichtete "Deutsche Spielwaren-Schau" nach Nürnberg zu ziehen.
1950 Die erste "Deutsche Spielwaren-Fachmesse" nach dem 2. Weltkrieg findet im
nahen Nürnberg statt. Die Porzellanfabrik Eversberg nimmt mit einem kleinen
Stand daran teil. In der Folge intensiviert sie ihre Vertriebskontakte und
knüpft neue Export-Verbindungen nach Kanada und in den weltgrößten Pup-
penmarkt USA.
Im Fabrikgebäude in Burggrub geht man von der manuellen Einzelproduktion
in eine Serienproduktion mit Fertigung in entsprechenden Losgrößen über.
Erstmals produziert man wieder "auf Lager", um Bestellungen schneller ab-
wickeln zu können.
1952 Horst Eversberg sucht nach weiteren Marktnischen, um die Porzellanproduktion
in Burggrub gezielt ausweiten zu können. Er stellt die Produktion auf techni-
sche Keramik und Gebrauchsteile um. Von einer mainfränkischen Brauerei
erhält er einen Auftrag zur Produktion werblich bedruckter Porzellanköpfe für
Bierflaschen-Bügelverschlüssen. Auch ganze Likörflaschen aus Porzellan, ver-
schiedenste Griffe, Möbelknöpfe und Besteckteile, diverse Porzellan-Inlays und
Zulieferteile für die Badhygiene- und Kosmetikindustrie werden bei ihm ange-
fragt. Alles Aufträge, die einerseits eine preisgünstige serielle Fertigung
und gleichzeitig eine wertsteigende Individualisierung durch Porzellanmaler
und Dekorateure erfordern. Man richtet sich nach dem "Geschmack" der Nach-
kriegskonsumenten. Und so liegt der sogenannte "Gelsenkirchener Barock"
(geprägt durch üppige Verzierungen und Blümchenmuster) und "modernes
Design" (als Renaissance der Bauhaus-Idee "form follows function") im Trend
der "Wirtschaftswunderzeit" fast gleichrangig nebeneinander. Auch die Ver-
triebskanäle ändern sich.
Der Katalogversandhandel wird als Bezugsquelle für viele Käufer zuneh-
mend akzeptabel, so dass deren Einkaufsorganisationen neue, mächtige Ver-
handlungspartner mit sortimentsspezifisch relativ großen Auftragsvoluminas
für die Porzellanfabriken werden. Sie diktieren die Ausführungen und Preise
der Produkte, die sie in ihr Katalogprogramm übernehmen.
Beispiele für die Diversifikation der Porzellanproduktion in der Porzellanfabrik Horst Eversberg in den 50-er Jahren 1+2: Porzellan-Verschlussstücke für Bierflaschen; 3+4: Badutensilien hier Seifenschale; 5+6: Porzellan-Zifferbätter für Wanduhren; 7+8 Porzellangehäuse für Leuchten.
1955 Ab Mitte der 50-er Jahre stellt Horst Eversberg die Porzellanproduktion in
seiner Fabrik erneut um. Dem Trend der Zeit entsprechend wechselt er von
der technischen Keramik zur Herstellung von Geschirr-, Zier- und Schmuck-
porzellan. Das Unternehmen wächst stetig und erreicht in seiner "Glanzzeit"
einen Personalbestand von über 250 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Die Ab-
teilung für Porzellanmalerei/Dekoration ist personell bestens besetzt und gut
ausgelastet. Man beherrscht alle einschlägigen Verfahren der Porzellanver-
edlung - von Cobalt-Unterglasuren bis zur Poliergold-Malerei und Echtgold-
Ätzungen.
Wann genau Horst Eversbergs Bruder - Paul Eversberg - (eine andere Quelle
bezeichnet ihn als seinen Sohn) in das Unternehmen eintritt, ist heute leider
nicht mehr exakt feststellbar. Er soll ein ausgebildeter "Porzelliner" gewesen
sein, dem nachgesagt wurde, einen ausgeprägten "Riecher" für stilistische
Modeströmungen zu besitzen. Nachweislich hat Paul Eversberg das Produk-
tionsprogramm der Porzellanfabrik Horst Eversberg in den Folgejahren
stark beeinflußt.
Neben "üblichen" Ess-, Kaffee- und Teeservicen bietet
man auch einige außergewöhnliche Porzellanobjekte
an, die im weitesten Sinne dem asymmetrischen
"Nierentischdesign der 50-er und 60-er Jahre" zuge-
rechnet werden können. Insbesondere die konsequent
in schwarz-weißer Grafik gehaltene Dekorserie
"Schwalbenflug", die eine Zeit lang auf alle neuen
Tischobjekte übertragen wurde, sorgt für Aufsehen
und stößt als Beispiel für zeitgemäß-innovatives
deutsches Porzellandesign auch im Ausland auf ein
größeres Sammlerinteresse.
Abbildung rechts: Bemusterungsmodell
eines Porzellangehäuses für eine Wanduhr der Firma
Kienzle
Produkte der Porzellanfabrik Horst Eversberg in der Dekorvariante: "Schwalbenflug"
1964 Wann der wirtschaftliche Niedergang des Unternehmens genau begann und
durch welche Umstände er ausgelöst wurde, lässt sich kaum noch verifizieren.
Die Entwicklung findet schleichend statt. Aus dem Ausland - überwiegend aus
den asiatischen Niedriglohnländern - drängt billige Massenware auf den deut-
schen Markt. Geschirr wird mehr und mehr zur modisch-schnellebigen Konsu-
merprodukt. Viele der traditionellen deutschen Porzellanfirmen sehen sich
über einen längeren Zeitraum gezwungen, wegen der Überkapazitäten die
Produktion Schritt für Schritt zurückzufahren. Bis in die späten 80-er Jahren
läuft der Betrieb der Porzellanfabrik Horst Eversberg nachweislich noch "auf
kleiner Flamme" weiter. Dannach werden die Räumlichkeiten - soweit dies im
strukturschwachen damaligen Zonenrandgebiet überhaupt möglich war - an
Fremdfirmen untervermietet.
Gleiche Form, anderes Dekor: Massenproduktion von Kaffee-Servicen Ende der 80-er Jahre
1989 Durch die Wiedervereinigung Deutschlands 1989/90 verschärfte sich die
wirtschaftliche Situation in der Porzellanindustrie noch einmal erheblich, zu-
mal nun auch die meist unrentablen volkseigenen Porzellanbetriebe (VEB's)
in der ehemaligen DDR durch die Deutsche Treuhand "abzuwickeln" waren.
2005 Die Porzellanfabrik Eversberg wird formell noch einige Zeit als offene Han-
delsgesellschaft (oHG) weitergeführt, ehe sie nach diversen Teilaufspaltungen
und Betriebsübergaben an meist branchenfremde Investoren (Schrotthändler,
Recycling-Unternehmer, Lager- und Deponiebetreiber) endgültig liquidiert
wird.
Anhang:
Marken (-historie) der Porzellanfabrik Horst Eversberg
(ohne Anspruch auf Vollständigkeit)
(Redaktions-/Recherchestand: 20.04.2019)
Dokumentation: Besuch vom 9.4.2019
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