Michael E. Hümmer
1950 Michael Edwin Hümmer wird am
26.02.1950 als ältester von drei
Söhnen des Verbandsdirektors
Dr. Karl-Ernst Hümmer und seiner
(zweiten) Frau Maria C. C. Hümmer
-Fey in Bonn geboren. Der Vater
- ein hochgewachsener, sportlicher
Mann - stammt aus einer boden-
ständigen Bäckersfamilie in Wald-
büttelbrunn / Würzburg. Er ist -
da "freigeborener Franke" - ein
"Mußbayer", der Ende der 20-er
Jahre aus beruflichen Gründen
aus Franken in's Rheinland in
den Raum Köln/Bonn verschlagen
wird. Die Familie wohnt in der
Bonner Nordstadt, Oppenhoffstraße/ Ecke Adolfstraße gegenüber dem
damals noch unbebauten Frankenplatz. Die Mutter - Maria C. C. Hümmer
geb. Fey - stammt aus einer Baumschulistenfamilie in Meckenheim (bei
Bonn), wohin die Familie sonntags - wenn sie nicht das "Strandbad Beuel"
bevölkert - zu Besuch fährt.
Der Vater - Karl-Ernst Hümmer - war ein
guter Beobachter und Zeichner. Während
seines Studiums (Literatur und Volkswirt-
schaft) in Würzburg hatte er Kontakt zu
der dortigen künstlerischen Bohemien
aufgenommen, die sich in der "Neuen
Welt", einer Künstlerkolonie von Malern,
Literaten und Interlektuellen nahe
Würzburg traf. Karl-Ernst Hümmer war
zunächst ein talentierter Laien-Zeichner,
der "Gott und die Welt" auf seinen Aus-
flügen portraitierte. In der "Neuen Welt"
erhielt er Zeichenunterricht von der
Malerin Gertraud Rostowsky, die zum
direkten Umfeld der Dichter Max
Dauthenday und Ludwig Röder sowie der
Würzburger Malerin Rita Kuhn und des
Malers Otto Moderson gehörte. Karl-Ernst
war vom unabhängigen Leben eines Bo-
hemien begeistert. Es fehlte nicht viel
und er hätte sein Studium sausen lassen, um in der "Neuen Welt" ein "freier
malender Literat" zu werden.
Seine Eltern "bändigten" den "studen-
tischen Freigeist" ihres Sohnes und
riefen ihn "in die Niederungen eines
ordentlichen Erwerbslebens" zurück.
Karl-Ernst schloß daraufhin sein Stu-
dium mit einer Promotion über den
"Ständegedanken und die Entwicklung
des bäuerlichen Standesbewußtseins"
ab. In Köln wurde ihm daraufhin eine
Stelle in der Kreisbauernschaft ange-
boten, von der er später als Geschafts-
führer in das Regionalbüro nach Bonn
wechselte. Karl-Ernst Hümmer war kein
ausgesprochener Kunstsammler, hatte
aber zeitlebens viel Kontakt zu Künstlern und Künstlerinnen, die er - so-
fern sie ihm wirklich notleidend erschienen - mit dem Notwendigsten
(vom Bonner Erzeuger-Großmarkt, den er mitgegründet hatte) versorgte.
So kam insbesondere in den kargen Nachkriegszeiten das ein oder andere
Kunstwerk - sicherlich nicht systematisch, sondern eher beiläufig gesam-
melt - in seinen Besitz.
1955 Umzug der Familie infolge eines ausgeprägten, chro-
nischen Keuchhustens der Kinder Michael, Christian
und Georg aus der Bonner Nordstadt in die "Höhen-
luft" nach Ippendorf. Die Familie kauft ein Mehrfami-
lienhaus an der Ippendorfer Allee (Nr. 66) mit einem
großen Nutzgarten, in dem neben Kirschen, Äpfeln
und Nüssen auch jede Menge Beeren zu finden sind.
Hier wachsen die Kinder - im Spielumfeld von
Kreuzberg, Melbbachtal und dem Katzenloch(tal)
relativ naturverbunden auf.
1956 Zusammen mit 56 anderen Erstklässlern wird Michael in die katholische
Volksschule Ippendorf - bei Lehrer Böger eingeschult. Konrad Böger war
Kriegsveteran, hatte einen Arm verloren und konnte damit seinem Hobby,
der angewandten Volkskunde, nur noch begrenzt fröhnen, da ihm Ausgra-
bungsarbeiten verwehrt waren. Er war aber ein überaus profunder Kenner
aller historischen (altgermanischen, römischen und mittelalterlichen) Sied-
lungsstätten im näheren Umfeld von Ippendorf und schickte deshalb seine
Schüler regelmäßig auf Entdeckungs- und Suchtouren, um an abgelegenen
Stellen entsprechende Artefakte auszugraben. Die Ausbeute war nicht
unerheblich. Sie lagert heute überwiegend in den Depots des Rheinischen
Landesmuseums in Bonn.
Mit jeder Entdeckung wuchs natürlich auch die Begeisterung der kleinen
Ausgräber und so vermochte es der ansonsten doch recht strenge Lehrer
Böger, in Michael eine tiefe Achtung vor "kulturbehafteten Objekten"
zu wecken - selbst wenn sie z. B. als Tonscherben zunächst noch so un-
scheinbar erschienen. Und so hat der kleine Michael ganz elementar am
praktischen Beispiel gelernt, dass das Äußere eines Objektes zwar wichtig,
aber keineswegs entscheidend ist - dass hinter jedem Kulturobjekt eine
Geschichte steckt und häufig erst diese Geschichte es ist, die den Objek-
ten eine eigene Werthaltigkeit verleiht.
1960 Nach einer recht happigen Aufnahmeprüfung "darf" Michael das natur-
wissenschaftlich-mathematische Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium (EMA) in
Bonn besuchen. Sein Schulstart im Gymnasium fällt nicht gerade glänzend
aus: In Latein 'ne glatte 5! In Mathe so la-la. In Sport, Musik und Kunst
dafür eine Eins! Dennoch, die Versetzungen sind und bleiben in der
Folgezeit stets gefährdet und es bedurfte schon einer Menge teuren
Nachhilfeunterrichts (vor allem in Latein), um "dabeizubleiben".
Der daraus resultierende Schulfrust ist nicht unerheblich und frisst sich
bei dem Jungen ein. Dann zeigen sich plötzlich Alternativen.
1963 Die Beatles lassen erstmals aufhorschen, nur
wenig später die Rolling Stones. Deren "Lieder"
sind nach Meinung des Vaters: "reine Neger-
musik" und alleine schon deshalb interessant
für Michael. Er läßt sich einen gebrauchten
Plattenspieler schenken und "dudelt" die Neger-
musik in voller Lautstärke rauf und runter ab.
Logische Konsequenz: Ein heftiger, häuslicher
Konflikt mit seinem Vater. Der erste, innere
Widerstand äußert sich in lautem Protest:
Neue Songs, neue Zeiten. Michael lässt seine
Haare - für die damalige Zeit - lang wachsen,
liest Spiegel, Pardon und Konkret und droht
nach Meinung des Vaters ein "Trotzkist" zu
werden. Er geht auch zu einigen Demos und
Sit-Ins in Bonn. Aber das Ausleben alternativer
politischer Ansichten reizt den Jungen nicht
wirklich. Statt dessen zieht er sich in sich selbst zurück und beginnt zu
zeichnen. Kuba-Krise, die Ermordung Kennedys, das Flächenbombarde-
ment in Vietnam, der kalte Krieg", das Wettrüsten in Ost und West,
zuletzt der sogenannte "Nato-Doppelbeschluß", das alles läuft in dem
Jungen auf das Gefühl hinaus, dicht und völlig wehrlos vor einen "Eve
of Destruction" (Song von Barry McQuire) zu stehen. Nachträglich läßt
sich feststellen, dass die Menschheit damals tatsächlich mehrfach vor
einem atomaren "Overkill" stand "und nur mit sehr, sehr viel Glück einem
Desaster entgangen ist" (amerik. Verteidigungsminister Robert McNamara).
Die Angst vor einem 3. Weltkrieg ist auch im EMA-Gymnasium zwar
inhaltlich nur latent, aber dennoch allgegenwärtig spürbar. Michael singt
in einer Bonner Folk-Gruppe Protestsongs (Bob Dylan; Joan Baez etc.)
und zeichnet sich - soweit es geht - auf seine Art von seiner Angst frei.
Längst ist dem Jungen klar geworden, dass er mehr künstlerisch-kreative
Talente als manch einer seiner Mitschüler hat. Zeichnungen wie "Das
Weltauge", "Die Welt ist gut!" und "Stimmen aus dem Massengrab"
entstehen.
Michael Hümmer: freie Gedichtinterpretationen nach Erich Kästner (1966)
links: "Die Welt ist gut" rechts: "Stimmen aus dem Massengrab"
Am EMA - Gymnasium kommen erste "radikal-kritische Schülerproteste"
auf, die politisch motivierte studentische '68-Revolte zeichnet sich ab.
Dagegen steht die Hippy-Bewegung, Flower-Power, Pop-Art, Op-Art,
Love and Peace. "Gammeln statt Leistungsstress" ist angesagt! Michael
wird ein überzeugter Mitläufer dieser Bewegung, wohl auch - weil wieder
einmal eine "Wiederholungsrunde" auf dem Gymnasium droht.
1968 Michael verläßt "auf eigenen Wunsch" das Gymnasium, um - wie es in
seinem Abgangszeugnis vermerkt ist - "ein Praktikum in der Industrie
zu beginnen". Zunächst "werkelt" er übergangsweise einige Monate in
der Bonner Buchbinderei Dormagen. Dann unterschreibt er einen ein-
jährigen Maschinenbau-Praktikumsvertrag bei der Ford AG in Köln.
Nach dreimonatiger "Sägerei, Feilerei und Hohnerei" in der Lehrwerk-
statt wird Michael an's Band in die Produktion geschickt. Nicht um dort
zu arbeiten, sondern um den Kollegen vor Ort bei ihrer Arbeit zuzusehen!
Die Kollegen vor Ort machen dem Jugendlichen schnell klar, was "das
echte Leben" ausmacht. Als Praktikant steht Michael auf der untersten
Stufe der betrieblichen Rangordnung. Er erhält überaus praxisnahen
"Lebensunterricht" und muss mehr als einmal "die Zähne fest zusammen-
beißen". Immerhin lernt er sehr eindringlich, dass "Kohle" das Maß aller
Dinge ist und dass man "richtig viel Kohle" nicht als Arbeiter (im Blaumann)
an der Werkbank, sondern als Techniker/Ingenieur (im weißen Kittel) oder
gar als Sektions- oder Hallenchef (im Anzug) verdient.
Die Begegnung mit der sozialen Wirklichkeit tut Michael "für sein Leben
gut". Es klickt in ihm, seine Schalter sind mit einem Schlag umgestellt:
Gammelei, Flower-Power, Love and Peace und die begleitende "Alles-
Easy-Mentalität" ist plötzlich verflogen.
1969 Michael geht wieder zur Schule, macht das Fachabitur in der Fachober-
schule für Technik in Bonn nach und verläßt die Schule mit dem schul-
besten Zeugnis, um an der Ingenieurschule in Köln Maschinenbau mit
der Fachrichtung Konstruktionstechnik und der Vertiefungsrichtung Robotik
zu studieren. Die "alten" Ingenieurschulen wurden damals gerade in "neue"
Fachhochschulen umgewandelt. Michael, den man zur damaligen Zeit
wegen seiner gelben Regenschutzjacke überall nur mit seinem Spitz-
namen "Der Gilb" kannte, kam im Maschinenbaustudium zügig voran,
wurde in den Fachbereichsrat und als studentischer Vertreter in den
Konvent/Senat der Hochschule gewählt.
1970 Hier durfte "der Gilb" unter anderem an der Institutionalisierung der Fach-
hochschule (Ausarbeitung einer Verfassung, Verabschiedung der Studien-
ordnungen, Überleitung der Ingenieurgraduierungen in Diplomprüfungen
etc.) mitarbeiten.
Ministeriellerseits wurde entschieden, dass die am Ubierring in Köln ansäs-
sigen Kölner Werkschulen ebenfalls in die Fachhochschule Köln zu inte-
grieren seien. Das war eine "kleine" Revolution, führte es doch dazu, dass
die ehedem so freien Künstler nun ebenfalls ihr neues "Kunst- und Design-
studium" mit einem Diplom abzuschließen hatten und - was viel schwerer
wog - die Prüfung nach einem jederzeit revisionsfähigen, benoteten
Leistungssystem erfolgen mußte. Für Künstler undenkbar, warf dies natür-
lich gleich wieder die altbekannte Frage auf, wie man denn Kreativität,
respektive kreative Kunst bewerten solle, also was im Ergebnis sehr
gute, gute, befriedigende, mangelhafte oder gar ungenügende Kunst sei.
Im Nachherein betrachtet, gab's damals sowohl unter den Kunstprofes-
soren wie auch unter den Kunststudenten nur "Bedenkenträger", die viel
lieber die Freiheit einer Kunstakademie nach dem Düsseldorfer Vorbild
genossen hätten und insofern eine "Verschulung" ihrer renommierten
Kölner Werkschulen als Fachbereich 7 an der Fachhochschule Köln stikt
ablehnten. Keiner wollte an dieser "feindlichen Zwangsfusion" mitwirken.
Bildreihe oben:
Auszug aus der Bewerbungsmappe zum Nachweis der künstlerischen
Eignung für ein Industrial Design Studium (Zeichnungsskizzen)
1971 Irgendwie traf es sich in dieser Situa-
tion gut, dass "der Gilb" als fast fer-
tiger Maschinenbauer und ohnehin
gewähltes Konvent-/Senatsmitglied
schon immer Designer, speziell In-
dustrial-Designer werden wollte und
so konnte "der Gilb" mit Sonderge-
nehmigung des damaligen Rektors
(Prof. Dr. Atrops) modellhaft gleich in
zwei Fachhochschul-Studiengängen
"interdiszipinär und parallel zueinan-
der" studieren. Voraussetzung für
die Sondergenehmigung war die
Vorlage einer "ordentlichen Künst-
lermappe", anhand derer die künst-
lerische Eignung des Studienkandidaten für den Designberuf festgestellt
wurde. Als "Gegenleistung" für das Doppelstudium war "der Gilb" ange-
halten, seine Stimme zusätzlich auch als Vertreter der Kunststudenten
im Gründungskonvent/Senat der Fachhochschule zu erheben. So war
dem Rektor und dem Gilb geholfen.
1973 Abschluß des Maschinenbaustudiums
bei Prof. Dr. Schleiffer mit dem
Thema: "Konstruktion und Berech-
nung eines pneumatisch gesteuer-
ten Industrie-Roboters" mit Pädi-
katsexamen (1,7). Das Maschinen-
baustudium erwies sich in der
Folgezeit als ideale Grundlage
für das Industrial-Design-Studium
bei Prof. Glasenapp/ Prof. Burandt.
Während Prof. Werner Glasenapp
(1904-1977) - ein gestandener De-
signer, der 1947 bereits die Designabteilung der Essener Folkwangschule
aufgebaut hatte - die formal-gestalterischen Aspekte der Designarbeit
lehrte, vertrat Prof. Ulrich Burandt - ein Absolvent der Hochschule für
Gestaltung in Ulm - die nutzungsorientierten, insbesondere die technisch-
ergonometrischen Voraussetzungen der Produktgestaltung. Das ergänzte
sich hervorragend.
Bildreihe oben:
Zeichnungsübungen (Renderingtechnik) und Entwurfsübungen:
Design von Stadtmöbelsystemen/ Transport- u. Verkehrssystemen
Bildreihe unten:
"Oskar lebt!" Umriss-Gelenkschablone zur Überprüfung situations-
bedingter Körperhaltungen, Blickfelder und Greifräumen.
Ulrich Burandt war "von Leib und Seele" Ergonom. Ein Lehrer, der vom
Typ her weniger Künstler als vielmehr Wissenschaftler war und der sein
Wissen eloquent und mitreissend weitergeben konnte.
"Der Gilb" lernt viel von ihm. Um er-
gonomische Studien (beispielsweise
zur bedienungsoptimierten Ausle-
gung von Produkten) schnell und
sicher durchführen zu können, fer-
tigt Michael spezielle Gliederpuppen
und mit Gelenken ausgestattete
Zeichen(umriß)schablonen in ver-
schiedenen Normgrößen an (Mann,
Frau, Kind, jeweils in großer, kleiner,
dicker und dünner Ausführung).
Die Zeichenschablone des ergono-
metrischen Norm-Durchschnittstypen wird feierlich auf den Namen "Oskar"
getauft und dieser "Oskar" taucht auch in späteren Jahren immer wieder
als "Projektbegleiter" in Michael Hümmers Arbeiten auf.
Auf Empfehlung von Prof. Burandt belegt "der Gilb" als ordentlicher Design-
Student (nebenbei) zwei Semester im Fachbereich: "Experimentelle Um-
weltgestaltung" an der HfbK Braunschweig bei Prof. Dr. Maser. Dieses Zu-
satzstudium kommt allerdings aus Zeitgründen kaum über den Gasthörer-
status hinaus, vermittelt aber wertvolle Erkenntnisse zur "soziokulturellen
Bedeutung" des Designs, zur schwindenden "Nachhaltigkeit industrieller
Produktionsformen" sowie zur damals noch relativ neuen Forderung nach
einer möglichst vollständigen "Recyclebarkeit von Produkten".
1974/ Abschluß des Industrial-Designstudiums bei
1975 Prof. Ulrich Burandt mit dem Thema: "Praxis-
orientierte Methoden und Hilfsmittel im kon-
struktiv-gestalterischen Produktentstehungs-
prozeß". In dieser Diplomarbeit wird die Kom-
binationsfähigkeit von computergestützten Ent-
wurfsprogrammen mit individuellen Kreativi-
tätstechniken untersucht. Als begleitende prak-
tische Arbeit entwickelt "der Gilb" eine Reihe
neuer Druckluft-Manometer für den Lehrmittel-
bereich der Leybold-Heraeus GmbH in Köln.
In Anwendung der Diplomarbeit demonstriert
"der Gilb" dabei die Vorteile einer systematisch
durchgeführte Funktions- und Wertanalyse,
die bei den Druckluftmanometern zu einem
produktionstechnisch günstig herzustellenden
und einfach zu montierenden Bausatz von nur
7 Bauelementen aus Plexi-Glas führt.
1975 Aufnahme eines Drittstudiums an der Rheinischen-Friedrich-Wilhelm
Universität in Bonn. Im Hauptfach studiert Michael Hümmer Kommunika-
tionsforschung und Werbepsychologie bei Prof. Gerold Ungeheuer am IPK
Bonn, im Nebenfach Kunstgeschichte und Kunstpädagogik bei Prof. Justus
Müller-Hofstede. Obwohl er durch die beiden vorherigen Studienabschlüsse
einige Semester angerechnet bekommt, merkt Michael schnell, dass ihn
der akademische Lehrbetrieb an der Universität von seinem eigentlichen
Berufsziel, ein ingenieurtechnisch-konstruierender Industrial Designer zu
werden, immer weiter entfernt. Er zieht die Reißleine, möchte mehr Gestal-
tungspraxis "eintanken" und fragt bei Leybold-Heraeus um eine Halbtags-
stelle an. Die kann man ihm nicht in der Konstruktionsabteilung, wohl aber
in der Werbeabteilung anbieten.
Hier trifft Michael Hümmer 1976 auf den damaligen
Werbeleiter Jochen Groß - ein wahrer "Menschen-
fänger" - der den Berufsanfänger in der Folgezeit
unter seine Fittiche nimmt, ihn fördert und aufbaut.
Jochen Groß setzt seinen Schützling als "Agent Pro-
vokateur" im Unternehmen ein, fordert ihn zum
Querdenken auf und läßt ihn (als außenstehende
Halbtagskraft!) eine kritische "Studie zur Produkt-
gestaltung", später eine "Studie zur Farbgestaltung"
und schließlich eine umfangreiche "Studie zum
Corporate Design des Gesamtunternehmens"
schreiben.
1976 Die Studien sind provokant und "erregen" das
Interesse des Unternehmensmanagements. Man erkennt schnell, dass
(ergonomisch) gut gestaltete Produkte nicht nur im Konsumgüterbereich
sondern auch im Hightec-Investitionsgüterbereich ein wichtiges Quali-
tätskriterium darstellen und zudem auch ein probates Mittel zur Konkur-
renzabgrenzung sind. Und so bietet man Michael Hümmer einen Fulltime-
Job in der Werbeabteilung der Leybold-Heraeus AG mit der Auflage an,
in Köln ein kleines Industrial-Design-Team aufzubauen.
1977 Michael Hümmer beendet sein Drittstudium an der Uni Bonn. In den
folgenden Jahren hat er berufsbedingt nur wenig Zeit, sich selbst
künstlerisch zu betätigen. Wie sich herausstellt, sind drei seiner Kollegen
in der Kölner Werbeabteilung aktive Künstler (Rudolf Linden, Claus
Harnischmacher und Otfried Mahnke). Sie arbeiten halbtags als fest
angestellte Grafiker und Illustratoren, um sich und ihre Familien "über
Wasser zu halten". Die restliche Zeit verbringen sie in ihren Ateliers,
bereiten "mit langer Hand" Ausstellungen ihrer aktuellen Werke vor und
"lassen den lieben Gott einen guten Mann sein" (Zitat Rudi Linden).
Michaels Sammelleidenschaft wird - wohlwollend
unterstützt von seinem Chef Jochen Gross - geweckt.
Beide besuchen die Ateliers "ihrer" Künstler, disku-
tieren mit ihnen über die Köln-Bonner Kunstszene,
über Künstlerkollegen und deren Projekte und erteilen
Ihnen auch den ein oder anderen privaten Auftrag.
Michael macht innerhalb des Unternehmens Karriere,
steigt vom Teamleiter Industrie Design bis zum Abtei-
lungsleiter der Zentrale Marketingkommunikation auf.
Mehrfach werden Arbeiten von ihm und seinem Team
mit internationalen Designpreisen ausgezeichnet.
1989 Michael wechselt die Firma, geht als Leiter Marketing-Kommunikation zur
Klöckner-Moeller Gruppe nach Bonn und ist dort in den Folgejahren für die
Werbung, für das Corporate Design des Unternehmens und die Entwicklung
und Einführung elektronischer Medien (Kataloge und Online-Medien) ver-
antwortlich. Unter anderem wird er auch Geschäftsführer der konzern-
eigenen Moeller-Publishing GmbH (vormals FLS-Studio, Bonn). Aus Zeit-
mangel kommt Michael Hümmer nicht dazu, seine eigenen künstlerischen
Ambitionen zu verwirklichen. Nur an einem bereits seit 1978 aufgelegten
MOM Kunstprojekt, das er MOM (Measure of Man) nennt, arbeitet er gelegentlich
weiter. MOM analysiert die menschlichen Idealmaßen, die in der Kunst
der verschiedenen Kulturepochen gebräuchlich waren. Die Ergebnisse
dieser Analysen sind als ästhetische Maßsysteme auf 5 Bildtafeln doku-
mentiert und in Form farbiger Temperazeichnungen exemplarisch
dargestellt:
Tafel 1: das altägyptische Maßsystem
Tafel 2: das griechisch/römische Maßsystem (verschollen)
Tafel 3: das Maßsystem Leonardo da Vincis und Albrecht Dürers
Tafel 4: das Maßsystem von LeCorbusier und dem Bauhaus (verschollen)
Tafel 5: das ergonometrisch-designorientierten Maßsystem
Abb links: MOM-Projekt Abb. rechts: MOM-Projekt
Tafel 1 Tafel 5
120 x 45 cm 120 x 45cm
1998 Michael Hümmer verläßt die Firma Klöckner Moeller und nimmt neben-
beruflich einen Lehrauftrag an der Hochschule Niederrhein im Fachbereich
Design in Krefeld an. Für nahezu 10 Jahre lehrt er dort jeweils freitags
das Fach "Medienmarketing". Es ist eine wild bewegte Zeit, geprägt
durch einen - wie man nachträglich weiß - überwiegend spekulativen
Börsen-Hype im Bereich der Neuen Medien.
Michael Hümmer ist mittendrin.
Er wird Mitgründer einer Leverkusener Medienagentur - der Rationet
Multimedia AG - und wird zu deren Vorstandsvorsitzenden bestellt. Die
Rationet AG erstellt im Kundenauftrag elektronische Kataloge für
Industrieunternehmen und greift dabei auf die neuentwickelte Cross-
media Publishing-Software COMELION der Firma Codes Communication
Design zurück.
2001 Die Spekulationsblase platzt. Schlagartig fallen wichtige Kundenaufträge
weg. Sowohl die Rationet Multimedia AG wie die Codes Communication
Design GmbH verfehlen ihre wirtschaftlichen Entwicklungsziele, werden
insolvent und schließlich liquidiert. Michael Hümmer verliert - auch privat -
viel Geld, muß "kleine Brötchen backen" und sieht sich als teilweise
persönlich haftender Gesellschafter von Seiten der Banken gezwungen,
große Teile seines Privatbesitzes (und seiner Kunstsammlung) herzu-
geben. Er steht plötzlich vor dem beruflichen Aus. Der Lehrauftrag an
der Hochschule Niederrhein hält ihn aufrecht. Zusammen mit seinen
Freunden Friedrich Engstfeld und Claus Lottis gründet er ein kleines
Pressebüro (Medialectures GmbH) in Bonn und hält sich in den Folge-
jahren mit journalistischer Arbeit (Presseartikel, Public Relation und
Lobbyarbeit) über Wasser.
2007 Michaels Mutter - Maria Hümmer-Fey- ver-
stirbt im Alter von 84 Jahren in Bonn. Er
selbst erleidet wenig später einen Herz-
infarkt, nach einem halben Jahr dann
einen zweiten. Michael Hümmer sieht sich
gezwungen, ruhiger zu treten und "Ballast"
abzuwerfen. Er kündigt (mit großem Be-
dauern) seinen Lehrauftrag in Krefeld,
schließt das Pressebüro (Medialectures
GmbH) und geht in den vorgezogenen
Ruhestand. Die Zeit der Rekonvaleszenz
(Reha) verbringt er mit künstlerischen
Arbeiten. Unter anderem entstehen ver-
schiedene collagierte Werke sowie erste
dreidimensionale Objekte
Weltkrieg
Collage, bestehend aus zwei über-
einander angeordnete Tafeln.
Tafel 1 subsummiert Hitler und
seine Gegenspieler (Roosevelt,
Churchill, Stalin). Der Bombenkrieg,
die "Blitzkrieg"-Eroberungsfeldzüge,
der erbitterte finale Häuserkampf,
dies alles wird durch gemalte
schwarze Silhuetten angedeutet.
(Die Silhuetten sind nach bekannten
Pressefotos von Kriegsbericht-
erstattern entstanden).
Tafel 2 behandelt die Folgen des
Weltkrieges. Schwarz dominiert
die Erde. Der Tod ist allgegen-
wärtig. Leere Konturen und Ab-
sperrungen prägen den Hinter-
grund. Menschliche Kultur und
Geschichte zählt nicht mehr, ist
rot gestrichen. Der EAN-Code
als Chiffre für die digitalisierte
Nachkriegswelt tritt seinen
Siegeszug an.
2008 Michael Hümmer belegt einen Elektro-
schweißer-Lehrgang für Künstler am
HBZ (Handwerk-Bildungszentrum) in
Siegburg. In den Folgejahren ent-
stehen hier viele Eisen-/Stahlskulp-
turen aus seiner Hand, die überwie-
gend als Tisch- oder Gartenplastiken
ausgelegt sind.
Die Skulpturen sind für ihn dreidimen-
sionale Materialbilder. In der Regel
sind sie aus zufällig vorgefundenen
Schrottteilen zusammengeschweißt,
die erst in ihrer spezifischen Kombi-
nation Konturen und damit auch ihre
figurale Wirkung erhalten. Da auch
die Oberflächen bewußt die groben
Bearbeitungsspuren des Rohmaterials
unverfälscht wiedergeben, entsteht
eine fast archaische wirkende Anmutung
von Kraft, Energie, Härte und Dauer-
haftigkeit beim Betrachter. Und genau dieses Spiel von elementarer An-
mutung, vager Erinnerung, Erkennung und Deutung fasziniert den
Künstler.
Neben der künstlerischen Arbeit betätigt sich Michael Hümmer gelegentlich
als Restaurator für Ölgemälde. Die Säuberung und Wiederaufarbeitung
eines größeren Gemäldes von Carl Nonn "setzt ihn innerlich wieder auf
die Spur".
Er recherchiert die Lebensdaten dieses Bonner Malers und stößt dabei auf
die Gruppe der Eifelmaler rund um Fritz von Wille. Die gegenseitige Beein-
flussung aber auch die feststellbaren Gegensätze in der Malweise der
Düsseldorfer Landschaftsmaler faszinieren ihn. Er besucht Ausstellungen
und Museen, recherchiert in Antiquariaten nach Künstlerverzeichnissen
regionaler und lokaler Künstlervereinigungen, nach Künstlermonografien
und Ausstellungsverzeichnissen. Auf privaten Geschenk-CD-ROMs hält
Michael Hümmer die Ergebnisse seiner Recherchen und Bildanalysen fest.
Das spricht sich rund und so arbeitet Michael Hümmer auf Bitten von
Verwandten und Bekannten in der Folgezeit die persönlichen Nachlässe
verschiedener Künstler (u.a. Adam Radermacher, Heinz Brustkern etc.) auf.
2012 Im Juli 2012 beantragt Michael Hümmer die Einrichtung einer
1&1 Do-it-yourself-Homepage unter dem Namen "treffpunkt-kunst.net".
Die journalistischen Erfahrungen, die er im Medialectures-Pressebüro
gesammelt hat, helfen ihm. Im ersten Schritt stellt er die Inhalte der
zwischenzeitlich auf CD-ROM produzierten Künstlerbiografien von Carl
Nonn, Paul Magar, Erich Beck, Adam Radermacher, Heinz Brustkern und
Anton Schmitz in's Netz.
In der Folgezeit arbeitet er den Nachlass seiner Eltern und seine eigene
Kunstsammlung auf, fotografiert und digitalisiert die Werke und stellt
auch diese zu Recherchezwecken in's Netz. Eine rege Korrespondenz -
meist mit Ergänzungen zu den veröffentlichten Künstlerbiografien und
Werkverzeichnissen- entsteht. Recherchen im Bonner Stadtarchiv -
insbesondere zur "vergessenen" Bonner Künstlergeneration - soweit
diese zwischen den Weltkriegen und später bis 1960 gewirkt hat - liefern
weitere Details.
2013 Seit Mitte März 2013 wird die Anzahl der Besuche auf Treffpunkt-Kunst.net
erfasst. Die Anzahl der Besucher/innen steigt ständig. Im ersten Jahr
werden bereits 90.509 Besuche erfaßt. Der 100.000. Besucher wird am
29.04.2014 gezählt. Besucherstatistik siehe Kapitel: Intention
Nach und nach wächst die Zahl der neu recherchierten und/oder neu
editierten Künstlerportraits an.
2014 Der inhaltliche Schwerpunkt der Seite "treffpunkt-kunst.net" verändert sich
zugunsten der Künstler aus dem Köln-Bonner Raum. Zudem werden erste
Absprachen zur Aufnahme und Dokumentation anderer privater Samm-
lungen getroffen, darunter die "Sammlung Budweg", die "Design-Sammlung
Reichert" sowie die "Le-Mans-Sammlung". Die Zahl der Kontakte und Inter-
views mit Angehörigen verstorbener Bonner Künstler wächst ständig. Inte-
ressante Details und Querverweise werden kurzfristig in die Lebensläufe
eingearbeitet. Zunehmend referenzieren die deutschen Kunstauktionshäuser
auf Künstlerprofile in "treffpunkt-kunst.net".
2015 Exemplarisch werden einzelne Kunstexpertisen - in der Regel Zuschreibungen
von Gemälden zu ihren Urhebern - veröffentlicht. Zudem werden Beispiele
für die Reinigung und Restaurierung von Kunstwerken aufgenommen, um
dem Leser Anregungen für die Anlage und Pflege eigener Kunstsammlungen
zu geben. Mitte 2015 geht eine neue Rubrik: "Projekt Beethoven heute" an
den Start. An dieser Stelle werden zukünftig Beiträge von (bildenden) Künst-
lern und Künstlerinnen sowie von Künstlergruppen aufgeführt, die sich mit
dem Thema "Beethoven heute" in Vorbereitung auf seinen 250. Geburtstag
im Jahr 2020 beschäftigen.
"Treffpunkt-Kunst" will damit all denjenigen Künstlern eine Veröffentlichungs-
plattform bieten, die faktisch keine institutionelle Kulturförderung durch die
Stadt Bonn erfahren und dennoch ihren Beitrag zu einer zeitgemäßen Profi-
lierung Beethovens leisten wollen.
2016 Zusammen mit dem Witterschlicker Künstler Erich
Beck stellt Michael Hümmer einen kleinen Ausschnitt
seiner in den vergangenen Jahren entstandenen
Skulpturen aus. Aktuell arbeitet er thematisch die
Rolle der Farbgebung in der bildnerischen Plastik
auf: "Wer glaubt, griechische Tempel, Friese und
Statuen wären von Natur aus weiß gewesen, irrt.
Sie waren bunt, sehr bunt!" Genau diesem Aspekt
spürt der Künstler nach. Er zeigt auf, wie Statuen
und Skulpturen durch Farbe eine veränderte Be-
deutung - zumindest aber zusätzliche Bezüge -
erhalten. (Exponate und Programm der Ausstellung in der Witterschlicker
Galerie PfisterScheune siehe unter Impressionen)
2017 Angeregt durch die ständig anwachsende Sammlung
weißer Kaiser-Vasen aus Biskuit-Porzellan besucht
Michael Hümmer den Porzellanmodelleur Manfred
Frey in dessen Privatatelier in Bad Staffelstein. Der
Künstlerkontakt zeigt nachhaltige Wirkung, zumal da-
mit das Interesse an der mainfränkischen Porzellan-
szene weiter intensiviert wird. Neben Kaiser Porzellan
(mit den Vorläufern Alboth & Kaiser sowie ALKA -
Kunst) geraten die Porzellanmanufakturen Lindner,
Edelstein und Eversberg (Burggrub) vor allem mit
den Entwürfen ihrer Designer im "Nierentischdesign"
der 50/60-er Jahre (= neues Sammlungsgebiet) in
das spezifisches Recherche-Blickfeld.
2018 Die in Vorbereitung auf den 250. Geburtstag des in
Bonn geborenen Komponisten laufende Kunstaktion:
"Beethoven heute" findet überraschenden internatio-
nalen Widerhall: Vom MOMA in NewYork wird ein Set
der "Lubebo"- Autogrammkarten (Ludwig Beethoven
Bonn) bei Treffpunkt-Kunst (TK) angefordert. Leider
war da die auf 30 Stk. limitierte Edition bereits kom-
plett vergriffen. Neben Joseph Schnorrenberg, Gina
Rohrsen, Maren Katelaan und Erich Beck bearbeiten
inzwischen auch andere bildende Künstler, die einen
unabhängigen Beitrag zur Profilierung des "Großen
Sohnes der Stadt Bonn" leisten wollen, das Thema:
"Wie sähe Beethoven denn heute aus?"